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CAFÉSATZ VONCHRISTOPHBUSCH

Cafésatz-Rezept: In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier?

Das „Palmencafé“ liegt über der Tiefgarage. Die unauffällig gekleidete Frau im mittleren Alter hat den Kuchenteller von sich weggeschoben und studiert ein dickes buntes Buch. Auf die 'Brigitte‘ hatte sie keine Lust. Darum hat sie sich den Katalog von Otto gekauft und genießt ihn hier.

Mit Versandhaus-Katalogen ist sie von klein auf vertraut: „Zu Anfang hab' ich mir immer Spielzeug ausgeschnitten und aufgeklebt, was ich mir wünsche. Puppen habe ich ausgeschnitten. Auch Betten mit Tagesdecken und diesen Bommeln an der Seite, die Bettläufer davor und dann den Himmel obendrüber. Und mich hat interessiert, was die Frauen für Kleider anhatten. So mit vierzehn habe ich mir Miniröcke und Petticoats angeschaut. Und was ich immer reizend fand, war die Unterwäsche. Das hatte was damit zu tun zu gucken, wie man eventuell später aussieht, wenn der Körper ausgereift ist.

Meine Eltern haben nie nach Katalog bestellt. Wir haben immer nur drin geblättert, jeder so für sich. Das war die große weite Welt auf so einem Dorf. Wir hatten auch kein Auto, und wenn ich mal mit meiner Mutter in die Stadt gefahren bin, hatte die ihren Plan, was sie alles einkaufen mußte und ging nicht mit mir durchs Kaufhaus, um Shopping zu machen. Aber im Katalog konnte ich in Ruhe gucken.

Das tue ich auch heute noch gerne. Ein Traum, wie das fotografiert ist. Die Gesichter schaue ich mir überhaupt nicht an. Sondern es geht immer — da habe ich mich schon des öfteren bei ertappt —, es geht immer um den Körper, um die Vorstellung, so eine Figur zu haben, genauso auszusehen. Tu ich ja nicht. Ich hab' eben nicht diese Idealfigur und diese Beine. Trotzdem guck' ich mir das gerne an. Ganz ohne Neid. Denn mit den Sachen, die ich trage, kann ich auch das nicht so schöne Bein positiv unterstreichen. Aber die Sachen kauf' ich nicht bei Otto. Bei Otto hol' ich mir das, wovon ich mir vorstelle: Wenn ich das anziehe, könnte ich genauso gut aussehen.“

„Was haben Sie denn bestellt?“ „Ich kann's Ihnen zeigen: Ein gestreiftes, hautenges Kleid, wo ich denke, daß mir das unheimlich gut steht. Warten Sie mal — wo ist es denn hier?“ Sie blättert und liest dann: „Macht an! Hautenges Stretchkleid mit aktuellen Blockstreifen auf Weiß. Vorn und hinten läßt es tief blicken, Gesamtlänge circa 85 Zentimeter, aus 95 Prozent Baumwolle und 5 Prozent Elastan, Maschinenwäsche. (Zitatende) Am liebsten möchte ich dann auch in diesem Kleid so fotografiert werden wie im Katalog.

Hier, Nr. 6 hab' ich auch noch bestellt. (liest:) Neue Aussichten! Atemberaubendes Kleid in hautenger Stretchqualität, vorn schlicht, mit Rundhalsausschnitt, hinten ganz sexy verarbeitet, Maschinenwäsche. (Zitatende) Bei mir gucken dann die kleinen Pölsterchen aus den großen Löchern hinten. Das gilt besonders auch für die Strumpfhose, hier die Nummer vier, mit den Schlitzen auf der Seite. (liest:) Garantieren bewundernde Blicke! Leggings, seitlich raffiniert offen. (Zitatende) Wenn ich die anhabe, hab' ich das Gefühl, ich bin ein Klavier!

Wenn das Paket kommt, ist das erstmal eine Überraschung, es passiert wieder was. Ich pack' das zu Hause aus, ungefähr wie Weihnachten. Ich hab' meinen Spaß, ziehe das an und stell' dann fest: Es steht mir, oder es steht mir nicht. Wenn ich sowas trage, sehe ich ja völlig anders darin aus als die Models. Wenn's mir nicht steht, kann ich das problemlos zurückschicken und umtauschen. Ich kann mir das eben aus lauter Jux und Dollerei nach Hause bestellen, anders als im Geschäft.

Manche Frauen, wenn sie diese Sachen kaufen, halten daran fest, daß sie genauso aussehen wie die Models. Das sieht man auch im Sommer in der Stadt. Wer trägt schon so hautenge Hosen oder Miniröcke? Das sind meistens Frauen, die's nicht tragen können. Eine Kollegin, die bestellt fast ihre ganze Kollektion bei Otto. Tausende von Mark gibt die für Otto-Sachen aus: Die Schuhe, der Armreif und die Haarspange, das muß alles zusammenpassen. Streckenweise sieht sie gnadenlos darin aus. Aber sie legt dann trotzdem in den neuen Sachen so ein Selbstbewußtsein an den Tag, daß sie wirklich wie eine Prinzessin rumläuft, während alle anderen auf dem Boden liegen. Sie nimmt das nicht wahr.

Ich weiß ja von vornherein, daß mir das nicht steht. Ich muß doch immer hochgeschlossen tragen und etwas länger. Im Grunde genommen bin ich für das schlicht Ergreifende. Figur hätte ich vielleicht ganz gerne eine andere. Aber gut, ich bin nun mal so, und ich find' mich akzeptabel in dem Alter, in dem ich jetzt bin. Wenn ich keine Sachen anhabe, ist alles okay.

Ach, hier sind wir in der Unterwäscheabteilung. Die gefällt mir sehr gut bei Otto. So einen BH mit Spitzen fand ich immer schon reizend, wirklich. Ich kann mich noch daran erinnern, daß es noch sowas wie einen Hüftgürtel gab, als ich meine ersten Strümpfe trug. Hier, wie diese Strapse hier. Es gab ja noch nichts anderes. Mit den Strumpfhosen fiel das dann weg. BH bekam ich einen ganz normalen. Wo haben wir die denn jetzt? Hier, glatt, weiß, in dieser Richtung. Und dann wurde ich von meiner Mutter in so eine Miederhose gezwängt. (Zeigt auf Korsetts:) Sogar in solche Dinger. Das mußte ich tragen, damit ich meine Figur behalte: Da müßte man schon frühzeitig mit anfangen. Als ich dann unter den Fittichen meiner Mutter weg war, wurden diese Teile auch gleich weggeschmissen.“

Was ist mit den Männern im Katalog? Sie blättert in die bisher vernachlässigte Abteilung: „Ich würde schon nach Männern gucken, wenn da attraktive drin wären. Aber was ist denn da an Männern? Da ist doch nichts. Wer fliegt denn auf solche Typen? Da ist kein Mann dabei, der mich ansprechen würde. Bei Frauen gucke ich nicht auf das Gesicht, sondern ich seh' mir die Sachen an, die sie tragen. Bei der Männermode ist es umgekehrt, daß ich zuerst auf das Gesicht gucke und dann, was er anhat. Das ist bei mir im realen Leben genauso. Ich guck' erst: Was passiert im Gesicht? Was hat der für Augen?

Hier, solche lila Abendjacketts, die trägt unser Zweigstellenleiter immer tagsüber, als wenn er an der Bar stünde. Das merkt der nicht. (liest:) Edler Spencer in neuer Farbauswahl. Eleganter Auftritt in luftiger, seidenweicher Mikrofaser. (Zitatende und Blättern:) So Unterhemden im Boxerstil, das ist vielleicht was für Männer, die ein schönes Kreuz haben. Warten Sie mal. Hier, Michael Groß, wenn Sie diese Hose tragen würden, bekämen Sie die ganzen Goldmedaillen dazu. Da sind die Unterhosen.“ „Welche würden Sie mir denn aussuchen?“ „Diese hier, Nummer sechs, die goldfarbene. (liest, nicht ganz ernst:) Total sexy, der Tanga- Slip mit schillerndem Glanzdruck, von Les Joggers. (Zitatende) Und bei der hier würde ich mich totlachen. Bei der roten mit der Schildkröte vorne drauf: Zieht sich gleich zurück und verschwindet im Panzer.“

OTTO?MACHTAN!

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