: Schwarze Schafe gegen Immobilienhaie
Die „Bunte Republik Neustadt“ in Dresden feierte ihren zweiten Geburtstag mit Tempo 30 und Haifischflossensuppe ■ Aus Dresden Detlef Krell
Soviel Stadt war noch nie. Mitten auf der Straßenkreuzung staut sich tanzendes Volk. Auf dem Kopfsteinpflaster der Louisenstraße hat sich eine Kneipe eingerichtet. Auch das Café im Projekttheater serviert nach draußen. Eingerahmt von graffitibunten Brandmauern wird „to late“ georgelt, doch „zu spät“ ist es noch nicht für den Dresdner Amateurrock, wie die paar hundert ZuhörerInnen vor der Bühne klarstellen. Ein Autofahrer bitten das Fußvolk händeringend um grünes Licht. Tempo 30 hat keine Chance. Kinder laufen frei herum.
Die „Bunte Republik Neustadt“ feiert ihren zweiten Geburtstag. Schon zum vierten Mal hat ihre „Ordentliche Provisorische Regierung“ ein Stadtteilfest ausgerufen, bei dem das Unterste zuoberst gekehrt wird, wo auf die Straße geht, was im größten Gründerzeitwohngebiet Europas an Alltagskultur lebt. Dazu gehören nicht nur die Cafés in den grünen Hinterhöfen, die winzigen Galerien und Läden. Malwina, die Waschküche der Republik, lockt Kinder zu Farbe und Pinsel. An den Abbruchhäusern der Böhmischen Straße lehnen quadratmetergroße Fotos, Ergebnisse einer Werkstatt des Fotografen Günther Starke mit Neustadtkids. Und tatsächlich geht Radio BRN 3 auf Sendung. Als öffentlich- rechtlicher Sender der alternativen Republik borgt er sich die Frequenz Hundertkommasechs — eine höhnische Ohrfeige für die Allianz der Verhinderer, die sich im Streit um die Zukunft von DT64 gern auf physikalische Argumentationen zurückzieht.
Häuser gehören denen, die darin wohnen. Stadtteile gehören denen, die darin leben. Wenn es so einfach wäre, bräuchte die BRN keine „Haifischflossensuppe für jeden“ zu fordern. Längst haben sich die Immobilienhaie über das lukrative Viertel hergemacht. Nach den Jahren der einstürzenden Altbauten, die den Stadtteil fast ausgeblutet hätten, sollen nun auch die Leute gehen, die sich gegen den Verfall trotzig eingerichtet hatten. Die Äußere Neustadt liegt zwischen dem neuen Regierungsviertel der Landeshauptstadt und einem künftigen Beamtenwohngebiet.
Einer, der schon zugebissen hat, heißt Burkhard Peters und lebt in Bonn. Sebastian Pflugk, Mitarbeiter des Stadtteilbüros, erzählt im Festtrubel von den finsteren Umtrieben der B+P Immobilien GmbH auf der Pulsnitzer Straße 1. Erstes Opfer war Wanda, Dresdens bekannteste Galeristin. Sie mußte vor zwei Jahren bereits die Villa Marie verlassen, ein Märchenschloß am Blauen Wunder, das seitdem verwunschen ist und zusammenbricht. Nun bekam Wanda von Makler Peters zu hören, er wolle in seinem Haus keine Galerie. Und nach der Modernisierung könne sie „die Miete sowieso nicht mehr bezahlen“. Ähnliche Drohungen erhielten alle BewohnerInnen des Hauses, eines von 25, die der Mann gekauft hat. Mit Datum vom 2. Juni bekamen sie einen Brief, der ihnen das Mietverhältnis zum 30. September kündigt — vollständig geräumt, ansonsten „unverzüglich“ Räumungsklage, basta. „Viel Erfolg“ noch bei der Wohnungssuche.
„Mit diesem Schreiben wird er zwar bei jedem Gericht durchfallen“, ist sich Sebastian sicher. „Aber wir fordern schon seit eineinhalb Jahren einen Rahmensozialplan für das Sanierungsgebiet, wie ihn das Gesetz vorschreibt. Dieser Tage erst ist der dritte Entwurf in der Beigeordnetenkonferenz durchgefallen, nur weil sich das Amt für Stadterneuerung nicht dazu entschließen kann, kompetente Leute mit dieser Aufgabe zu betrauen, statt dessen alles selber macht.“ Wer von der dringend notwendigen Sanierung der Äußeren Neustadt betroffen ist, solle dadurch nicht sozial absteigen, „denn Sanierung hat doch nicht nur mit Häusern zu tun, sondern zuerst mit den Menschen darin“.
Deshalb nehmen sich die ungeliebten Schmuddelkinder des Landes, was ihnen zusteht. Auf einigen Häusern wehen wieder die Fähnlein der BesetzerInnen. Vor der Louisenstraße 44 verkauft „Schwarzes Schaf“ heute Bücher aus DDR-Verlagen, Grafiken und Kram. Jan Frintert, eines der schwarzen Schafe, erzählt, wie sie seit einem Jahr um dieses Haus kämpfen. „Seit wir mal am Runden Tisch gegen Gewalt gesessen haben, will uns sogar der Landtagspräsident unterstützen. Das haben wir schriftlich.
Das Volk trommelt, trinkt und redet miteinander. TouristInnen lassen sich mit dem Bus vorfahren, entzückt über soviel Lebenslust im Osten, „mitten in den Ruinen“. In der Bunten Republik haben sich Leute bereit erklärt, Flüchtlingen Asyl in Wohnungen zu gewähren; hier wird für Kurdistan gesammelt, werden Aktionstage gegen den Weltwirtschaftsrummel in München vorbereitet.
Neueste Vision ist das Stadtteilhaus. Heute von Wunden genarbt, könnte es eines Tages den vielen Initiativen der Bunten Republik ein Heim bieten. Die Stadt hat signalisiert, daß sie mitziehen will.
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