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Unerträglich langer Atem

■ Die Frankfurter Theatercompagnie »Tagträumer« zeigt im SchwuZ »halt mich, pack mich, küss mich...« frei nach dem Tagebuch eines HIV-Infizierten

Auf der Suche nach Liebe und in der Leichtigkeit des Glücks habe ich mich infiziert, nur weil ich meinen Freund ganz nah bei und in mir haben wollte und weil ich ihm vertraut habe.« (aus dem Tagebuch eines HIV-Infizierten)

Seit wieviel Jahren (über)leben wir nun schon mit dem Virus? Aus den Schlagzeilen der Boulevard- Presse ist Aids schon lange verschwunden, es sei denn der HIV-Infizierte hat wie im Falle Freddy Mercury Mega-VIP-Format. Und doch bleibt das Thema virulent, nicht nur, aber gerade in der Schwulenszene. Die Probleme sind ganz simpel, und doch scheinen sie fast unlösbar.

Im SchwuZ zeigt die Frankfurter Theatercompanie »Tagträumer« nun noch bis einschließlich Freitag einen dramatischen Versuch, sich dem Thema Aids anzunähern. Frei nach dem Tagebuch eines HIV-Infizierten erzählen Claus Rüttinger und Egon- Manfred Otte unter der Regie von Herbert Fischer die Geschichte des SM-Schwulen Robert, der von seinem Freund infiziert wurde und nun mit seinem positiven Überleben fertig werden muß.

Auf Schritt und Tritt verfolgt ihn sein mittlerweile gestorbener Geliebter. Am Tag, in der Nacht, zwischen den Zeiten fühlt er sich von ihm wie aus dem Jenseits dirigiert und kann gleichzeitig nicht fassen, daß sein Freund nun für immer »nur noch ein Bild« ist. — Aber Robert ist nicht nur Opfer, sondern auch Täter, er ist nicht das letzte Glied in der HIV- Kette. Selbst seinerzeit ahnunglos von seinem Lover infiziert, wiederholt er nun sein eigenes Schicksal mit einem vermeintlich unschuldigen Bauernjungen. Weil die Lederjacke mit den Kondomen eben zu weit weg lag und Robert schon im richtigen Moment »zurückziehen wollte«, gibt es am nächsten Morgen einen weiteren Infizierten. Das ist der Aids- Reigen.

Die Idee, die halt mich, pack mich, küss mich zugrunde liegt, könnte durchaus einen Theaterabend tragen. Das bizarre Lebensgefühl, gleichzeitig Täter, Opfer und Hinterbliebener zu sein, verlangt Aufarbeitung, verdient Aufmerksamkeit, findet ein verständiges Publikum. Leider hat die Dramaturgin Veronika Brendel bei ihrer Aufgabe, aus dem der Inszenierung zugrunde liegenden Tagebuch ein funktionierendes Theaterstück zu machen, fast zu hundert Prozent versagt. Mit unerträglich langem Atem erzählt sie Roberts Geschichte, motiviert sein Schwulsein mit einem ausufernden szenischen Rückblick bis hin zu den Pubertätsphantasien des neunjähren Robbys, wechselt die wenigen klugen, dichten Momente, in denen Roberts Schmerz und Trauer sichtbar und fühlbar werden können, mit viel unnötigem Schnickschnack, gegen den selbst der hervorragend agierende Hauptdarsteller Claus Rüttinger keine Chance mehr hat. Zu allem Überfluß kieksen und hampeln sich noch zwei dümmliche Clowns durch das eh schon zähe Stück. Was sie zwischen viel Akrobatik und Tamtam zu vermitteln haben, wurde zumeist vorher bereits mit anderen Worten gesagt. Und nicht einmal ihrer Aufgabe als melancholische Stimmungsheber werden sie gerecht.

Wo war bei den »Tagträumern« die starke Hand der Regie, die doch hätte erkennen müssen, daß dreieinhalb Stunden Theater auch dreieinhalb Stunden Stoff beeinhalten müssen? Wo war der Rotstift, der aus dem theatralen Debakel halt mich, pack mich, küss mich... ein dichtes, sehenswertes Stück hätte herausstreichen können? Zwei, vielleicht drei wirklich überzeugende Szenen retten bei aller Wichtigkeit des Themas beileibe nicht über einen ganzen Abend. Schade, eigentlich. Klaudia Brunst

Weitere Veranstaltungen: halt mich, pack mich, küss mich... 24.-26. Juni um 20 Uhr im SchwuZ, Hasenheide 54, 2. HH, 4. Stock, Kreuzberg

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