: „De Klerk ist nicht willkommen“
Nach dem Massaker in Boipatong hat sich der ANC von den südafrikanischen Verfassungsgesprächen zurückgezogen/ Die Polizei läßt sich mit der Aufklärung des Verbrechens Zeit ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
Die Verfassungsgespräche in Südafrika sind vorläufig suspendiert, nachdem der Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) sich am Montag auch aus dem multilateralen „Konvent für ein demokratisches Südafrika“ (Codesa) zurückgezogen hat. Bereits am Sonntag hatte der ANC angekündigt, daß er die bilateralen Gespräche mit der Regierung unterbrechen werde. Südafrikas Außenminister forderte den ANC dennoch am Sonntag zu Gesprächen über die Ermordung von mehr als 40 Menschen in Boipatong südlich von Johannesburg letzte Woche auf. Das Massaker war Anlaß für den Rückzug des ANC.
Präsident Frederick de Klerk, der sich auf einem Privatbesuch in Spanien befindet, wird seine Reise vorzeitig abbrechen. Er will zu einem Kabinettstreffen am Mittwoch wieder in Südafrika sein.
„Ich kann unseren Menschen nicht mehr erklären, warum wir weiter mit einer Regierung Gespräche führen, die unsere Leute ermordet.“ So begründete Nelson Mandela am Sonntag den vorläufigen Abbruch direkter Gespräche mit der südafrikanischen Regierung. Für den ANC ist politische Gewalt schon seit Beginn des Reformprozesses im Februar 1990 das zentrale Problem. Dennoch haben wiederholte Versuche, die Gewalt einzudämmen, kaum Erfolg gebracht: weder die Friedensverträge mit der Zulupartei Inkatha noch die Ultimaten an die Regierung oder das nationale Friedensabkommen mit aufwendigem Kontrollmechanismus. Allein seit Mitte September sind etwa 3.000 Menschen bei politisch motivierten Kämpfen in Südafrika ums Leben gekommen.
Nach dem vorläufigen Scheitern der Verfassungsverhandlungen Mitte Mai hat das Massaker in Boipatong den gesamten Prozeß in eine tiefe Krise gestürzt. Die ANC-Führung hat schon seit Monaten Schwierigkeiten, den Unmut an der Basis der Organisation über den Mangel an Fortschritten in den Verhandlungen zu kontrollieren. Die monatelange Protestkampagne, mit der der ANC letzte Woche begann, war schon seit Wochen geplant. Aber durch die Greuel von Boipatong erhält diese Kampagne zusätzliche Energie.
Für die Regierung ist das Massaker ein Desaster. Schon die Versuche von Regierungssprechern letzte Woche, den ANC und seine Protestkampagne als Auslöser der Morde darzustellen, waren gefühllos und zynisch. Aber de Klerks Versuch, sich am Samstag in Boipatong umzusehen, zeigt eine Naivität über die Situation in den schwarzen Wohngebieten, die man nicht erwartet hätte. Der ANC hatte schon am Samstag morgen eine Erklärung ausgereicht, in der es heißt: „De Klerk ist nicht willkommen.“ Dennoch wagte sich der Präsident nach Boipatong.
Dort erfuhr er wohl zum ersten Mal am eigenen Leibe, mit welcher Leidenschaft er und seine Regierung gehaßt werden. De Klerk war deutlich schockiert. Aber seine erste Reaktion erinnerte an die alten Apartheid-Fürsten: „Wir werden es nicht zulassen, daß in diesem Land Anarchie ausbricht.“ Er sprach von der Möglichkeit, einen Ausnahmezustand einzuführen — die eiserne Faust.
Dabei ist die beste Lösung dieser Krise die offensichtlichste: Die Täter müssen gefaßt und verurteilt werden. Polizisten, die nach übereinstimmenden Berichten von Dutzenden von Augenzeugen das Massaker unterstützten, müssen aus den Reihen der Polizei entfernt und vor Gericht gebracht werden. Dabei darf sich die Polizei nicht, wie so oft, selbst untersuchen. Eine unabhängige Kommission muß die Untersuchungen führen.
Aber genau das ist bisher nicht passiert. Die Polizei hat sich Zeit gelassen bei der Durchsuchung des Wohnheimes, aus dem sogar nach überzeugung der Polizei die 200 Inkatha-Anhäger kamen, die die Morde verübten. Die eindeutige Sympathie von Polizei und Regierung für Inkatha macht Beteuerungen einer zügigen, gründlichen Untersuchung um so unglaubwürdiger.
Es ist nicht das erste Mal, daß der ANC aufgrund der Gewalt Gespräche abbricht. Auch im April letzten Jahres stellte die Organisationen ultimative Forderungen, die die Kontrolle von Gewalt zum Ziel hatten. Die Regierung ging darauf nur beschränkt ein. Erst als Zeitungen im Juli aufdeckten, daß die Sicherheitspolizei Millionenbeträge an Inkatha gezahlt hatte, um gegen den ANC mobil zu machen, wurde de Klerk zu Konsequenzen gezwungen. Das führte letztendlich zum Nationalen Friedensabkommen, das im September feierlich von Mandela, de Klerk, Zuluchef Mangosuthu Buthelezi und anderen politischen Führern unterzeichnet wurde.
„Die Regierung selbst ist das größte Hindernis auf dem Weg zum Frieden“, sagte der ANC nach dem Inkatha-Skandal. Die Organisation versuchte, den Verhandlungsprozeß zu beschleunigen, um sich so schnell wie möglich selbst an einer Interimsregierung beteiligen zu können. Wenn ANC-Minister an der Kontrolle der Sicherheitskräfte beteiligt wären, hoffte die Organisation, könnte den Provokateuren das Handwerk gelegt werden. Aber die Bildung einer Interimsregierung liegt nach dem Scheitern der Gespräche im Mai wohl in weiter Ferne.
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