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»Als der große Wal...«

■ Antonio Cisneros las im Rahmen einer lateinamerikanischen Lyrikwoche

Antonio Cisneros dürfte in Berlin nicht ganz unbekannt sein. Er war 84/85 Daad-Stipendiat, gehört seit Ende der sechziger Jahre zu den bekanntesten peruanischen Dichtern, und 1986 ist im Vervuert Verlag eine zweisprachige Gedichtsammlung von ihm erschienen. Das heißt trotzdem nicht viel im zeitgenössischen kulturellen Wirrwarr. Das erste Problem beginnt mit der Übersetzung, wozu Cisneros eine Bemerkung macht, bevor Monika López ihre Übertragung von Nocturno en Berlin vorliest: »Monika und ich haben botanische, biologische Diskrepanzen. Sie meint, daß Vögel und Pflanzen, die in meinen Gedichten vorkommen, nicht so sind, wie ich sie mir vorstelle.« Doch das ist gerade, was Cisneros' Lyrik charakterisiert: die außergewöhnlichen Adjektive, die überraschenden sinnlichen Wahrnehmungen des Alltäglichen. »Der Blütenstaub von den jungen Lärchen fliegt durch die backsteinrote Nacht.«

Antonio Cisneros hat eine volle, sichere Stimme. Seine Sprache klingt fließend, wie von einem natürlichen Rhythmus bewegt, Ebbe und Flut von runden, offenen Vokalen, die leider in der deutschen Übertragung verlorengehen.

Stilleben auf der Innsbrucker Straße erntet den Beifall des Publikums aus anderen Gründen. Cisneros beschreibt mit treffender Ironie die anscheinend so gesunde Lebensart seiner Berliner Nachbarn: »sie schauen mich an (wenn sie mich / sehen) wie einen Toten, der seine letzte Zigarette zwischen / den Lippen hält«. Der peruanische Dichter ist kein Freund des Pathos, der Trauer oder der Selbstthematisierung. In einem seiner ersten Bücher: Comentarios reales (Wahrhaftige Beschreibungen), nahm er sich vor, eine Chronik der peruanischen Geschichte in 80 Seiten zu erzählen, eine Geschichte von unten im Sinne Brechts. Es war 1964, nach der Niederlage der ersten Guerilla, als das Wort »Revolution« noch vielversprechend für die Studenten der Universität von San Marcos klang.

Die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Antonio Cisneros liest das einzige politische Gedicht, das er in den letzten zehn Jahren geschrieben hat: Ein schwarzer Hund. »Warum nur eins in zehn Jahren«, möchte jemand aus dem Publikum wissen. »Ich habe kein Interesse mehr an Politik«, antwortet lakonisch Cisneros.

Nerudas letzte Werke, die Antigedichte von Nicolás Guillén, Ernesto Cardenal und diese ganze Richtung sind für ihn endgültig vorbei. »Von der Poesie eine Machtwirkung zu verlangen, die sie nicht hat, ist ein anmaßender Wahnsinn von vielen. Und das ist wirklich konterrevolutionär«, behauptete Cisneros schon 1971. In Canto ceremonial contra un oso hormiguero (Zeremonieller Gesang gegen einen Ameisenbär) gab er die anmaßenden Ansprüche seiner früheren Gedichte auf und beschränkte sich auf die Chronik des Konkreten, der eigenen Erlebnisse.

Antonio Cisneros' Lyrik hat sich in jedem neuen Gedichtband ein wenig verändert, so daß sie jetzt weit weg von der Poesie des jungen revolutionären Dichters der sechziger Jahre steht. Aber Cisneros hat seinen Humor behalten, seine heitere Ironie, und deswegen verlangt das Publikum nach weiteren Gedichten von ihm, die er gern vorträgt: »Der große Wal schwamm noch schön, zwischen den eisigen Wellen. / Noch wunderschön. / Auf daß sein Fleisch für 10.000 Münder sei. / Auf daß seine Haut Dach für 100 Heimstätten werde. / Auf daß sein Öl Licht für die Nächte und für alle Braten / des Sommers werde.« Teresa Delgado

Antonio Cisneros: Gedichte. Vervuert Verlag, 1986. Übersetzt von C. Müller. Am 24. Juni liest Idea Vilarino Gedichte in der Daad-Galerie. Am 25. ist Pablo-Neruda- Abend mit Lesung und einem Film von Antonio Skarmeta in der Filmbühne am Steinplatz. Beginn: jeweils 20 Uhr.

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