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»Da sind wir aber immer noch«

■ Nach einer großen Benefiz-Party am kommenden Wochenende im Tacheles geht Radio Prenzlauer Berg wieder auf Sendung

Die Titelzeile eines längst vergessenen Songs der berühmten FDJ-Singegruppe »Oktoberklub« ist der programmatische Satz schlechthin im Station-Jingle des kleinen Lokalradios in Prenzlauer Berg. Von böswilligen Zungen »Piratensender« genannt, bezeichnen sich die Macher des hartnäckigen Kiezfunks selbst stolz als Freies Radio — und frei sind sie allemal: frei von einer offiziellen Sendelizenz, frei von finanziellen Vergütungen aller Art und vor allem frei von Hemmungen gegenüber geltendem Medienrecht.

Ihr selbstgestellter »Programmauftrag« scheint ihnen wichtiger zu sein als die fünf Jahre Gefängnis, die das illegale Betreiben von Sendeanlagen im härtesten Falle bedrohen. Also stürmen sie seit nunmehr über zwei Jahren mit dem gezückten Mikrophon in der Hand durch Prenzlauer Berg, laden sich die berühmtesten Szene-Bands zur Welturaufführung ihrer neuesten Platten ins Studio oder verpflichten namhafte Underground- Künstler zu mehr oder weniger tiefsinnigen Wortbeiträgen über die Probleme der Menschheit unter dem Aspekt der ostdeutschen Identitätsabsonderlichkeiten — was immer das auch sein mag. Wenn es mal Nachrichten gibt, dann sind sie fast immer falsch — Schlagzeilen in der Art von »Wolf Biermann verstorben / Sascha Anderson neuer Bezirksbürgermeister« sind da nur milde Beispiele.

Dabei bleibt das Programm (dreimal in der Woche eine halbe Stunde) aber durchaus hörbar, wenn man bei Umfragen in den einschlägigen Lokalen allerdings auch immer wieder feststellen muß, daß zehnmal mehr Anwohner des Prenzelberges von dem Radio als das Radio gehört haben. Trotzdem sind die Enthusiasten von Radio P unermüdlich bei der Sache, klettern mit halsbrecherischem Mut auf den Dächern ihres Stadtteils herum, um den Hörern auch empfangstechnisch ein einmaliges Erlebnis zu vermitteln, basteln ständig an Antennen und Sendern herum und denken sich immer neue Sicherheitskonzepte aus, um den Häschern von Telekom und Polizei zu entgehen.

Denn so schön das alles auch klingen mag, es gibt doch immer wieder Leute, die diese engagierte Art, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in die Tat umzusetzen, nicht mögen. Und so schickt denn die Telekom zu fast jeder Sendung des kleinen Radios ihre großen, weiß-orangen Peilwagen in die Spur, mitunter, wenn sie mal ganz sauer ist, sogar in Begleitung von mehreren grün-weißen Mannschaftswagen voller übelgelaunter Polizeibeamter. So geschehen zuletzt am Karfreitag diesen Jahres, wo an die 40 Polizisten in Kampfanzügen gleichzeitig diverse Dächer zweier Parallelstraßen stürmten, um einen 30-Watt-Sender und eine Antenne gefangenzunehmen. Obwohl die Sendefahrer wie immer in den letzten zwei Jahren entkommen konnten, war der technische Verlust doch ein herber Schlag für Radio P. Nach einer Protest- und Trotzsendung (»Da sind wir aber immer noch!«) am Montag darauf, die dank guter Beziehungen zur Ostberliner Volksbühne nicht staatlicherseits abzubrechen war, ging das Radio deshalb vorerst ins innere Exil und organisierte von dort aus eine öffentliche Benefiz-Party, die nun am kommenden Freitag und Samstag im Kunsthaus Tacheles stattfinden wird. Versprochen sind für diese Veranstaltung nicht weniger als zehn Bands (Fluchtweg, Space Hobos, Prussia, The Sweets of Sin, Ruby Tuesday, Steve Binetti u.v.a.), diverse Lesungen, Performances, Filme und Videos.

Ebenfalls versprochen haben die Radiomacher, mit dem Partyerlös technisch nachzurüsten und den Sendebetrieb wieder aufzunehmen. Dann allerdings gehen auch die Probleme wieder von vorn los. Denn letztendlich, so zeigen alle Erfahrungen mit Freien Radios in Deutschland, hat das Wettrüsten mit der Telekom wenig Sinn, und das Versteckspielen mit der Polizei zermürbt nur die Kreativität. Die einzige Hoffnung, so meinen jedenfalls die Betreiber von Radio Prenzlauer Berg, liegt darin, daß Deutschland endlich seine reaktionäre Sonderrolle in bezug auf das Medienrecht aufgibt und sich beispielsweise französischen Verhältnissen nähert, wo Lokalradios, wenn sie auf Werbung verzichten, von den großen Kommerzsendern alimentiert werden müssen. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Das deutsche Fernmeldegesetz, das in seinen Grundzügen aus dem Jahr 1937 stammt, sichert der Telekom nach wie vor das Monopol auf den Äther zu, und wer da unerlaubt dazwischenfunkt, wird hierzulande behandelt wie ein Krimineller. Jörg Köhler

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