: „National gesinnte Menschen in führende Berufe“
■ Studentische Korporationen haben wieder Rückenwind/ Kritische Konferenz in Marburg
Marburg (taz) — Herr Wreden, der Archivbeauftragte der Deutschen Burschenschaft, hält seinen Bundesbruder Eberhard Diepgen „für einen Schisser, weil er sich nicht öffentlich zum Burschentum bekennt“. Die Kritik steht für das neue Selbstbewußtsein der Verbindungsstudenten: Inzwischen wird die „Rückkehr an die Hochschule“ betrieben. Deren vorläufiger Höhepunkt soll im kommenden Oktober die Feier zum 175.Jahrestag des Wartburgfestes werden.
Mit Blick auf dieses Jubiläum fand am vergangenen Wochenende in Marburg die Konferenz „Studentische Korporationen gestern und heute“ statt. Veranstalter waren die Geschichtswerkstatt Marburg, der Bund demokratischer Wissenschaftler und WissenschaftlerInnen und der Asta der Marburger Uni. Die Diskussionen machten vor allem deutlich, daß ein oberflächliches Ressentiment, dem die in über 30 Dachverbänden und 1.000 Einzelverbindungen organisierten Korporierten als ewiggestrige Schläger und Bierfreunde erscheinen, an der Realität vorbeischrammt. Dagegen betonen Dietrich Heither und Michael Lemling von der Geschichtswerkstatt den „neuerwachten Kampfgeist“, mit dem sich die Verbindungen „als Normalfall studentischer Lebensweise und Gesinnung in Hochschule und Gesellschaft zurückmelden“ wollen. Im Klima „neokonservativer Hegemonie“ seien die Lieblingsthemen der Korporierten — Elite und Nation — mittlerweile vom Ruch des gedanklichen Outsidertums weitgehend befreit.
Daher verwundert kaum, daß die propagierte „geistige Offensive“ der studentischen Männerbündler ziemlich konventionell mit dem Anspruch daherkommt, „Angehörige einer Führungsgruppe mit besonderen Verantwortlichkeiten“ zu sein. Erstaunen muß allerdings die Offenheit, mit der die selbsternannte Elite Vetternwirtschaft nicht nur betreibt, sondern auch propagiert. Im August 1988 berieten korporierte Unternehmer in Hamburg über die Verbesserung „arteigener Stellenvermittlung“, ein Motto des Workshops lautete: „Können ist gut, kennen ist besser.“ Manfred Kanther, hessischer CDU- Chef und Mitglied des Corps Guestphalla et Suevoborussia Marburg brachte es im Mai 1990 auf den Punkt: „Wir wollen auch weiterhin national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft entsenden.“
Beim Stichwort Nation stehen nicht nur, aber vor allem die 25.000 Mitglieder des Dachverbandes „Deutsche Burschenschaft“ (DB) stramm. Auf dem Eisenacher Burschenantrag von 1991 überwog die Sorge um die „Rechte der Deutschen“ jenseits von Oder und Neiße. In Anträgen wurde der deutsch-polnische Vertrag von 1990 als „Super-Versailles“ bezeichnet, der Verzicht auf die „einstige Korn- und Kartoffelkammer“ Deutschlands sei „nationale Selbstbeschneidung.“ Das von der „Gesellschaft der Satisfaktionsfähigen“ (Norbert Elias) systematisch wiederbeglückte Gebiet zwischen Rostock und Dresden heißt hier durchgängig „Mitteldeutschland“, Mitglieder der DB mischen folgerichtig im Spektrum zwischen Reps und FAP mit; Rolf Schlierer etwa, Landesgeschäftsführer der Reps in Baden- Württemberg, gehört der Burschenschaft Germania (Gießen) an. Ralf Schröder
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