piwik no script img

Warum in die Ferne schweifen?

■ Das Reiseverhalten der Ostberliner hat sich seit der Wende kaum geändert/ Dänemark und Tunesien hoch im Kurs

Berlin. Auf den Autobahnen im Berliner Umland herrschte gestern gespenstische Ruhe wie vor einem großen Sturm. Spätestens am kommendenen Wochenende, wenn Tausende von Berlinern und Norddeutschen gleichzeitig mit dem Auto in die Großen Ferien losstürmen, wird sich das Bild schlagartig gewandelt haben. Der ADAC rechnet mit Staus und Verkehrsbehinderungen auf fast allen bundesrepublikanischen Autobahnen.

Im Gegensatz zu den Westberlinern, die zunehmend mit dem Flugzeug in den Urlaub jetten, steht die Reise mit dem Auto bei den Ostberlinern hoch im Kurs. »Die meisten unserer Kunden haben sich ein Auto gekauft und wollen es in den Ferien ausprobieren«, weiß der Mitarbeiter des Reisebüros Bex im Bezirk Mitte. Auf der Hitliste der Urlaubsziele steht bei den Ostberlinern Dänemark an erster Stelle, gefolgt von der Ostseeküste, Ungarn, Oberbayern und Österreich. »Wer mehr als ein Kind hat, macht in der Regel lieber in einer Ferienwohnung in Dänemark Urlaub, als daß er sich eine Pauschalreise kauft«, so Bräuniger. Eine preiswerte Ferienwohnung sei schon für 700 bis 1.000 Mark die Woche zu haben, während zwei Wochen Pauschalreise nach Tunesien pro Person 1.200 Mark aufwärts kosteten. Ungarn stehe bei den Ostberlinern »aus alter Verbundenheit« hoch im Kurs, außerdem seien Essen und Unterbringung vorzüglich und das Geld »mehr wert als hier«. Nach Polen und Rumänien wolle kaum jemand reisen. »Das ist da doch wuschi wuschi, weil man für sein Geld kaum was kriegt«, fügt Bräuniger hinzu. An der Ostseeküste, weiß Helmut Schemm vom Märkischen Reisebüro, ist bis zum Ende der Großen Ferien schon alles längst ausgebucht. »Die Nachfrage auf Rügen, Usedom und Hiddensee ist viel größer als das Angebot.« Schuld daran sei vor allem die ungeklärte Eigentumsfrage. Dies führe dazu, daß viele Unterkünfte leer stünden und nicht vermittelt werden könnten.

Griechenland im Kommen

Aber auch die Pauschalreisen sind bei den Ostberlinern nach wie vor beliebt. Am meisten gefragt sind hier immer noch Tunesien, Spanien und Mallorca. Auch Griechenland ist mächtig im Kommen. Nach Erfahrung der Reisebüros fahren die Ostberliner durchschnittlich zwei Wochen weg, aber auch mehrmalige Kurzreisen im Jahr nähmen zu. Fernreisen seien bei Familien noch nicht so gefragt, weil diese sehr teuer seien. Ein Mitarbeiter des RS-Studentenreisebüros hat jedoch die Erfahrung gemacht, daß deutlich mehr Studenten als im Vorjahr eine Flugreise in die USA gebucht haben. Beliebtestes Ziel die West-Coast: San Francisco und Los Angeles. Aber auch nach Thailand wollten immer mehr junge Leute fliegen, meist in kleinen Gruppen zu dritt oder viert. Finanziert würde dies in der Regel durch Jobs in den Semesterferien.

Eine 20jährige Fachhochschülerin, mit der die taz in der Friedrichstraße sprach, kennt jedoch keinen Kommilitonen, der eine Fernreise gebucht hat. »So was ist für unsereinen doch unerschwinglich, wenn man 600 Mark Miete für ein Zimmer bezahlen muß«, erklärte sie. Ein 26jähriger Jurastudent antwortete auf die Frage nach seinem diesjährigen Sommerreiseziel: Mecklenburg. »Warum in die Ferne schweifen, wenn man bei uns noch nicht alles kennt?« Sein größter Traum sei, einmal nach Australien zu fahren, gibt er dann aber doch zu. »Aber wovon soll ich das bezahlen, wenn ich im nächsten Jahr heiraten und Kinder haben will?« Auf Kinder wolle er auf keinen Fall verzichten, »das ist doch das schönste im Leben«. Und Australien laufe ihm auch nicht weg: »Da fahre ich hin, wenn die Kinder aus dem Haus sind und es meine wirtschaftliche Situation erlaubt.« plu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen