: HIV-POSITIVE IN SCHWEDEN: KRANKHEIT VERSCHWEIGEN, SONST DROHT KÜNDIGUNG
Ständig Ausreden erfinden
Stockholm (taz) — „Wir empfehlen den HIV-Positiven, über ihre Krankheit am Arbeitsplatz strengstes Stillschweigen zu bewahren.“ Mit diesem Rat hat der schwedische Reichsverband der HIV-Positiven (RFHP) jetzt auf die Erfahrungen reagiert, die seine MitgliederInnen in den letzten Jahren in punkto Diskriminierung machen mußten: Obwohl es seit 1988 ein Übereinkommen zwischen den Gewerkschaften und dem Arbeitgeberverband gibt, wonach eine HIV-Infektion kein Grund für Kündigung oder Umsetzung am Arbeitsplatz ist, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. RFHP-Vizevorsitzender Per Olof Persson: „Die Leute sind reihenweise gegen Abfindungszahlungen entlassen worden. Und die Gewerkschaft hat dabei mitgespielt.“
Laut Persson, dessen Organisation etwa 1.500 der 2.300 HIV-positiven SchwedInnen vertritt, ist deren Behandlung am Arbeitsplatz schlicht diskriminierend: „Das Verständnis fehlt, und KollegInnen sind aus Unwissenheit ängstlich.“ Die Gewerkschaften kümmerten sich nicht um das Problem, Kündigungen unter fadenscheinigen Vorwänden würden akzeptiert. Es reiche den Betriebsräten, wenn die Firma „Zusammenarbeitsprobleme“ vorschiebe. „Es klingt schlimm, aber dahinter steckt die Haltung: Warum um eine sterbende Krähe kämpfen?“ Dabei, so Persson, wäre es für die Kranken eine große Hilfe, mit ihren KollegInnen über ihre Krankheit reden zu können, nicht ständig neue Ausreden für Arztbesuche und Krankschreibungen erfinden zu müssen.
Der RFHP will jetzt versuchen, für HIV-Positive eine ähnliche Rechtsstellung wie für Behinderte zu erreichen, mit entsprechend erschwerten Kündigungsschutzbestimmungen. Persson: „Dank des medizinischen Fortschritts steigt die Lebenserwartung trotz HIV beständig, sie liegt im Schnitt jetzt bei 10 bis 15 Jahren nach der ersten Diagnose. HIV muß deshalb einen ähnlichen Status wie andere chronische Erkrankungen bekommen.“ Die Verantwortung für die Diskriminierung von HIV-Kranken trägt für Persson letztendlich der Gesetzgeber: „Die Dramatisierung kommt von Gesetzen wie dem Seuchenschutzgesetz mit Zwangseinweisungen, Isolation, zwangsweisen Untersuchungen. So etwas hat in einem Rechtsstaat eigentlich nichts verloren.“ Die Regierung hat offensichtlich Absichten in eine ganz andere Richtung. Die „Aidsdelegation“, die zumindest den Ansatz von Aufklärungsarbeit versucht hatte, wird aufgelöst. Aus Kostengründen. Reinhard Wolff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen