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Bebilderte Podiumsdiskussion

■ Über eine enttäuschende Verfilmung von Jurek Beckers Roman „Bronsteins Kinder“

Matthias Paul hätte das Gesicht dazu. Das Gesicht eines verwirrten 19jährigen, erschüttert und wie gelähmt. Einer, der seine Erregung verbirgt und dem man es zugleich ansieht, die Mühe, die es kostet, Haltung zu wahren oder überhaupt eine einzunehmen. Die Unfähigkeit, nach dem Tod des Vaters zur Tagesordnung überzugehen, die er dennoch einhält, weil es sonst nichts zu tun gibt. Matthias Paul hätte das Gesicht dazu. Aber der Regisseur Jerzy Kawalerowicz nutzt es nicht.

In Bronsteins Kinder, dem Film nach Jurek Beckers Roman, agiert der Ostberliner Schauspieler als Bronsteins Sohn souverän wie einer, der jederzeit weiß, was zu tun ist. Von der unaufhörlichen Selbstbefragung in Beckers Roman, vom sprunghaften Wechsel der Entscheidungen, die er oft gar nicht ausführt, und vom hilflosen Tatendrang des Hans Bronstein im Roman ist im Film nichts zu sehen. Kein Aufruhr unter der Oberfläche, sondern reine Maske: ein leeres Gesicht. Und wenn Gefühle im Spiel sind, ertönt softes Klaviergeklimper in Moll. Kaum zu glauben, daß Becker am Drehbuch mitgeschrieben hat.

Bronsteins Kinder ist eine Rückblende, wie der Roman. Der Vater ist an Herzversagen gestorben, der Sohn erinnert sich. Arno Bronstein hat den Holocaust überlebt. DDR, 70er Jahre, Weltjugendfestspiele, Ulbrichts Tod und Brandts Rücktritt — 30 Jahre nach dem Ende der Nazi- Zeit entführen Bronstein und zwei weitere ehemalige KZ-Häftlinge einen Aufseher von Neuengamme, halten ihn tagelang in Bronsteins Datscha gefangen, schlagen und quälen ihn und verlangen ein Geständnis. Hans nutzt das Häuschen sonst heimlich mit seiner Freundin Martha als Liebesnest, so gerät er zufällig zwischen den Aufstand der alten Männer, fordert Aufklärung, appelliert an die Vernunft seines Vaters, argumentiert gegen die Selbstjustiz — vergeblich. Hilflos steht er dem monströsen Geschehen gegenüber, verschweigt es Martha, sucht Rat bei seiner verwirrten Schwester Elle (Angela Winkler) in der Psychiatrie und wehrt sich noch nach dem Tod des Vaters, als Sohn eines Opfers des Faschismus identifiziert zu werden.

„Du solltest überlegen, zu wem du gehörst“, sagt der Vater zu ihm. Beckers Roman erzählt von der Auseinandersetzung des Sohns mit dem eigenen Judentum, der Weigerung, Partei zu ergreifen in einer Situation, die ihn zur Stellungnahme zwingt. „Von Ereignissen“, sagt Hans am Anfang selbst, „die aus dem Gedächtnis entfernt werden sollen, muß man sich zunächst ein möglichst genaues Bild machen; und dies gilt wohl erst recht für Erinnerungen, die man bewahren will. Ich aber habe alles nur über mich ergehen lassen: die Erinnerungen kamen und gingen, wie sie wollten, und ich saß da.“ Kawalerowicz bemüht sich nicht um ein möglichst genaues Bild; er hat die Story mit den Mitteln der Fernsehästhethik abgefilmt, offenbar ohne sich über die Inszenierung des inneren Monologs, also der Fassungslosigkeit, Gedanken zu machen. Scheinbar unmotiviert tun die Schauspieler, was im Buch steht, als führten sie bloß die Drehbuchanweisung aus. Nicht Hans läßt alles über sich ergehen, sondern der Film; Kawalerowicz verwechselt die Mittel mit dem Zweck. Und so sitzt Hans da, und die Erinnerungen kommen, aber ein Eigenleben führen sie nicht. Zwar verzichtet der Film auf jegliches Pathos, aber gleichzeitig reduziert er das, was sich nicht bewältigen läßt, auf eine brave Szenenfolge: die Aufzählung von Tatsachen.

Hans' zusätzliche Trauer über das Ende von Marthas Liebe, seine Eifersucht über die Trennung hinaus, sein verstohlener Blick auf die einst so geliebten Körperstellen, der pubertäre Hunger auf Zärtlichkeit und die Irritation über jedes weibliche Bein, die Brüste und Achselhöhlen der Frauen in der Straßenbahn: Im Film sehen wir nur, daß Hans und Martha früher verliebt waren und später nicht mehr.

Armin Mueller-Stahl spielt Arno Bronstein, den Vater. Auch er hätte das Gesicht dazu. Für die Unversöhnlichkeit, mit der er in der Gegenwart die Vergangenheit verfolgt. Für seine Wut auf die angebliche Bewältigung des Nationalsozialismus im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Für seinen Haß auf die Deutschen, der ihn noch im eigenen Sohn den Feind sehen läßt. Bei Kawalerowicz hat Mueller-Stahl bloß Auftritte. Öffnet den Mund, wirft dem Sohn die Argumente an den Kopf, schließt ihn wieder. Das für Hans Unbegreifliche des Vaters verwandelt der Regisseur in hölzernes Thesenkino: die Küchengespräche zwischen Vater und Sohn inklusive des Streits über den Abwasch als bebilderte Podiumsdiskussion.

Die Alten sagen zu Hans, er verstehe sie nicht, weil er nicht im Lager gewesen sei. Dann sieht man sie auch gleich, die Juden mit dem Stern am Mantelkragen, eskortiert von SS- Leuten bei der Deportation. Was für ein Schmarr'n, denkt man. Als ob der Holocaust mit solch billig inszenierten Rückblenden begreiflich zu machen sei. Aber Kawalerowicz hat das Publikum in die Falle geschickt, wenigstens dieses eine Mal. Die Szene ist keine Rückblende, sondern ein Filmset. Martha hat dort eine Rolle angenommen, als jüdische Widerstandskämpferin in einem DEFA-Film; Hans besucht die Dreharbeiten. Das offizielle Geschichtsbild, wie es sich selbst Lügen straft — einen Moment lang ist es dem Regisseur gelungen, den Zuschauer aus der Ruhe zu bringen. Für einen 100-Minuten-Film genügt das nicht. Christiane Peitz

Jerzy Kawalerowicz: Bronsteins Kinder , Drehbuch: Kawalerowicz und Jurek Becker, nach seinem gleichnamigen Roman, mit Armin Mueller-Stahl, Matthias Paul, Angela Winkler, Rolf Hoppe, BRD 1992, ca. 100 Min.

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