piwik no script img

Keine Schnitte für Frau Antje

■ Ein Brite wirft Michael Chang aus der ersten Runde, und Steffi Graf, die sich in Paris verdächtig fröhlich gab, ist in Wimbledon trotz überlegenen Auftaktspiels wieder gewohnt mürrisch

Berlin (dpa/taz) — Briten spielen im Welttennis keine Rolle, außer es wird in Wimbledon gespielt. Dieses eine Mal im Jahr reißen sich die Spieler von der Insel so richtig zusammen, wohl wissend, daß es ihre einzige Chance ist, von ihren Landsleuten überhaupt wahrgenommen, geschweige denn gefeiert zu werden. Vergangenes Jahr ließ ein Mann namens Nick Brown die britische Nationalbrust schwellen. Die Nummer 591 der Welt, selbst in Großbritannien ein absoluter Nobody und nur per Wild-card ins Turnier gerutscht, schlug in der zweiten Runde den Favoriten Goran Ivanisević vom Rasen. Da freute sich der Engländer, und Nick Brown, danach nie wieder in Erscheinung getreten, wurde zum Dank für dieses Highlight ins kollektive britische Langzeitgedächtnis gespeichert.

Eine typisch englische Auszeichnung, nach der auch Jeremy Bates trachtet. Unter dem ungläubigen Jubel seiner nicht gerade erfolgsverwöhnten Landsleute sorgte der Engländer Jeremy Bates für die erste große Überraschung des Turniers: Der 30jährige setzte sich unerwartet und klar mit 6:4, 6:3, 6:3 gegen den Weltranglisten-Siebten Michael Chang (USA) durch, dem diesmal weder seine doppelhändige Rückhand noch der hilfesuchende Blick zu seinem Kumpel gen Himmel half.

Grund zum Jubeln hätte auch Steffi Graf gehabt, wenn sie nicht so nachtragend mit sich selbst wäre. Souverän und Gerüchten zufolge mit mehreren Netzangriffen (!) servierte sie ihre Erstrundengegnerin Noelle van Lottum in nur 46 Minuten mit 6:1, 6:0 ab. Die Französin, mit Schirmmütze und Kopftuch als harmlose Frau Antje aus Holland getarnt, erhielt vom Publikum nur mitleidigen Applaus, als sie im ersten Satz wenigstens das Spiel zum 1:3 gewann. Mehr war für die 19jährige Pariserin in der einseitigen Partie wirklich nicht drin.

Nun könnte der unbedarfte Beobachter annehmen, Steffi Graf sei rundum zufrieden mit ihrem Einstand. Doch der Ton, der ist eher pessimistisch: „Um ehrlich zu sein — ich hätte nicht gedacht, daß ich schon im ersten Match so gut spiele. Nach zwei Wochen Training war das sehr wichtig“, sagte sie.

Was ihr so in den Knochen hängt, ist der Gedanke an die knappe Finalniederlage bei den French Open in Paris gegen Monica Seles (Jugoslawien) vor zwei Wochen. Der Stachel sitzt tief: „Ich habe danach nur mit meinem Coach und meinen Eltern darüber gesprochen. Und ich habe auch jetzt keine Lust, darüber zu reden. Fragen Sie mich nicht. Lassen Sie mich in Ruhe.“ Vielleicht sollte Graf, statt Serve und Volley zu üben, mal ins Trainingslager zu Boris Becker: Dort kann sie lernen, wie man ein Spiel verliert, ohne sich persönlich beleidigt zu fühen.

Um Paris zu vedrängen, war sie schon vor zwei Wochen nach London gereist, um auf andere Gedanken zu kommen. Sie gab sich dem Shopping-Rausch hin und der Rockmusik: Konzerte von Guns'n'Roses, Prince und Santana. Doch ihre Laune schien das nicht zu heben. So platzt sogar das Mixed mit André Agassi, das sie nun doch lieber mit Trainer Heinz Günthardt bestreitet.

Insgesamt sind nach Abschluß der ersten Runde noch 13 von 25 deutschen Profis im Wettbewerb. Außer Steffi Graf gewannen am Dienstag auch Claudia Porwik (Leverkusen), Claudia Kohde-Kilsch (Saarlouis) und Bernd Karbacher (München) ihre Auftaktspiele. Karin Kschwendt (Leverkusen), Veronika Martinek (Heidelberg) und Alexander Mronz (Leverkusen) mußten hingegen die Tennistasche packen. Letzterer ärgerte in einem verbissenen Fight den Weltranglisten-Neunten Guy Forget (Frankreich) bis aufs Blut und verlor nur knapp und unglücklich nach fünf abgewehrten Matchbällen mit 3:6, 6:3, 5:7, 6:7 (5:7). miß

Herren-Einzel: Rostagno (USA) - Carbonell (Esp) 2:6, 6:1, 6:1, 6:2; Jarryd (S) - Bailey (GB) 6:4, 6:3, 6:0; J. Sanchez (Esp) - Raoux (F) 6:4, 7:6 (7:3), 5:7, 3:6, 9:7; Martin (USA) - Pena (Arg) 6:1, 6:0, 6:3; Wheaton (USA) - Clavet (Esp) 6:3, 6:3, 6:3; Haarhuis (ND) - Stoltenberg (Aus) 6:3, 7:5, 4:6, 4:6, 7:5; John McEnroe (USA) - Mattar (Bras) 5:7, 6:1, 6:3, 6:3, Masso (Bel) - Kroon (S) 6:7 (5:7), 6:4, 6:2, 2:6, 6:4; Shelton (USA) - Curren (USA) 3:6, 7:6 (7:5), 4:6, 7:6 (7:5), 9:7; Cash (Aus) - Eltingh (ND) 6:4, 6:4, 7:6 (7:3), Bates (GB) - Chang (USA) 6:4, 6:3, 6:3; Knowles (Bahamas) - Koevermans (ND) 6:2, 6:1, 6:3.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen