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Schewardnadse auf wackligen Beinen

Revolte von Anhängern Gamsachurdias in Tbilissi/ Verhandlungen mit Boris Jelzin über Ossetien  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Die kleine Stadt Dagomys an der russischen Schwarzmeerküste ist in diesen Tagen zum Nabel zwar nicht der Welt, aber doch immerhin der GUS geworden. Am Mittwoch traf dort mit beträchtlicher Verspätung — wegen eines waffenklirrenden Zwischenspiels im heimatlichen Tbilissi — Georgiens Staatsratsvorsitzender Eduard Schewardnadse zu Verhandlungen mit Vertretern Süd- und Nord-Ossetiens, Rußlands Vizepräsidenten Alexander Rudskoi und Präsident Jelzin ein. Letzterer hatte schon am Vortage am gleichen Ort in einer Unterredung mit dem ukrainischen Präsidenten Leonid Krawtschuk wichtige Kompromisse erzielt. So ist zum Beispiel die Frage der künftigen Zugehörigkeit der Schwarzmeerflotte wenigsten theoretisch gelöst, indem beiden Staaten ein Anteil an der Flotte zugestanden wird.

Besonders hoch bewertete in Moskau der amtierende Ministerpräsident Jegor Gaidar die erzielten Vereinbarungen über die Abwicklung der gegenseitig bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zusammenhang mit der Einführung einer eigenen ukrainischen Währung. Leonid Krawtschuk bezog auch in der Frage der Zukunft der Dnjestr- Region, dessen russischsprachige Bevölkerungsmehrheit ihre Autonomie innerhalb der Nachbarrepublik Moldova erklärt hat, eine prorussische Position.

Sollte sich Moldova zur Wiedervereinigung mit Rumänien entschließen — so Krawtschuk —, müsse den Bewohnern der „Dnjestr- Republik“ eine freie Entscheidung über ihr weiteres Schicksal garantiert werden. Die Ukraine könne als Garantiemacht wirken.

Dem Sinne nach als Kriegserklärung bezeichneten unterdessen sowohl Moldovas Präsident Snjegur als auch Schewardnadse die Resolution der Regierung Rußlands vom Wochenende, in der den in Süd-Ossetien und am Dnjestr-Fluß verbliebenen russischen Truppen gestattet wurde, zur Waffe zu greifen.

Evakuierung am Dnjestr

Die russischen Truppen in Ossetien und die 14. Russische Armee in Moldova waren in der Vergangenheit häufig Ziel von Terrorakten und Geiselnahmen geworden, ohne zurückschlagen zu dürfen. Auch am Dienstag kostete die Sprengung eines russischen Minenlagers bei der moldovanischen Stadt Bendery wieder 20 Menschenleben. Die Stadt zählt sich zur Dnjestr-Republik, ist aber von dessen restlichem Gebiet durch den Dnjestr getrennt. Etwa 1.000 Menschen waren hier am Wochenende ums Leben gekommen, nachdem die Moldavische Regierung eine Stafexpedition eigener Truppen und Milizen zur „Wiederherstellung der Ordnung“ in die Stadt entsandt hatte und anschließend separatistische Freischärler mit Hilfe der nunmehr aktiv gewordenen russischen 14. Armee ihr Terrain zurückeroberten.

Zu einer Abschwächung der Kampftätigkeit kam es erst am Mittwoch. Die Einwohner von Bendery nutzten sie, um ihre Toten zu begraben. „Auf weiße Fahnen achtet hier niemand mehr“, erklärte ein Einheimischer dem Reporter der russischen Zeitung 'Iswestija‘, der bei der Fahrt durch die Stadt sein Auto auf diese Weise mit einem Taschentuch markieren wollte. Viele der für die Region so typischen Kastanienbäume an den Straßenrändern sind in Bendery von Minen geköpft worden.

Meldungen, daß sich die 14. Armee nunmehr in Richtung auf die moldovanische Hauptstadt Chisinau in Bewegung gesetzt hat, fanden bis Redaktionsschluß keine Bestätigung. Allerdings weist auch eine andere Meldung auf die erwartete Zunahme der Kämpfe hin: Am Mittwoch trafen in der ukrainischen Hafenstadt Odessa 27 Eisenbahnwaggons und 15 Busse mit alten Menschen, Frauen und Kindern ein. Sie waren aus Tiraspol, der Dnjestr- Hauptstadt, evakuiert worden.

Nicht nur Flüchtlingsströme, auch andere Folgen des Konfliktes haben inzwischen Chisinau eingeholt.

Die Zulieferung von Industriegütern aus der Dnjestr-Region bleibt ebenso aus wie das Gas, Strom wird von Tag zu Tag schärfer rationiert. Am Dienstag und Mittwoch kam es hier zu antirussischen Kundgebungen. Die Stadt erwartet eine Fact-finding-Mission unter Führung eines Mitarbeiters des politischen Departements des UN-Generalsekretärs.

Kämpfe um Funkhaus in Tbilissi

Am Mittwoch morgen gelang es in der georgischen Hauptstadt Tbilissi zum x-ten Male in den vergangenen drei Jahren, das Fernsehzentrum einzunehmen — diesmal waren etwa 300 Anhänger und ein Panzer des im tschetschenischen Exil in Grosny auf Rache sinnenden Ex-Diktators Swiad Gamsachurdia erfolgreich. Der Sieg war nur von kurzer Dauer, die Bastion wurde schnell wieder von der georgischen Nationalgarde zurückerobert. Mit den Worten: „Das Spiel ist aus!“ bestieg Schewardnadse doch noch das Flugzeug, das ihn zu den Verhandlungen mit Jelzin brachte. Ein weiteres Mal ist somit jedoch deutlich geworden, daß seine Hausmacht auf tönernen Füßen steht.

Nachdem es dem Staatsrat gerade gelungen war, die zunehmende Verselbständigung der Region Abchasien durch Verhandlungen zum Stillstand zu bringen, brechen in der Tbilissier Regierungskoalition die nur mühsam verborgenen Fronten auf. In der Nationalgarde werden nach einem Bericht der 'Komsomolskaja Prawda‘ zunehmend Stimmen laut, die die Führung der Republik des Verrates zeihen. Man fordert mehr Waffen und Proviant mit der Drohung: „Wenn wir schon eine Regierung gekippt haben, werden wir auch noch eine zweite schaffen!“

Auch außenpolitisch sieht sich Schewardnadse zunehmend isoliert. Am Mittwoch abend dementierte die russische Regierung nicht gerade sehr glaubwürdig, daß Georgiens Aufnahme in den UN-Sicherheitsrat auf ihre Initiative hin verschoben worden sei. Noch mindestens zweimal muß Boris Jelzin dem georgische Staatsratsvorsitzenden schließlich in die Augen blicken: Zusammen mit Krawtschuk wollten beide am Mittwoch abend zum Schwarzmeergipfel nach Istanbul fliegen, wo sie mit dem rumänischen Präsidenten Iliescu und Moldaviens Snjegur zusammentreffen werden. Für den 6. Juli ist ein GUS-Gipfel in Minsk geplant.

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