: Weit entfernt von Rüstungskonversion
Daimler-Benz AG: Der „ergänzende Geschäftsbericht“ der Kritischen Aktionäre listet fein säuberlich die Kehrseite der Glanzbilanz auf/ Daimler-Chef Reuter schimpft vor Aktionären auf die Politik ■ Aus Berlin Erwin Single
Manche mögen in dem Daimler- Benz-Konzern den schillerndsten Stern am deutschen Industriehimmel sehen. Die Leute des Aktionskreises „Entrüstet Daimler“ zählen sicher nicht dazu. In schwarze Kutten gehüllt, waren einige gestern morgen vor dem Internationalen Kongreßzentum in Berlin aufgezogen, um die 2.500 Daimler-Aktienbesitzer bei der Hauptversammlung auf die Schattenseiten des Technologie- Konzerns hinzuweisen. Hereinlassen wollte sie Hilmar Kopper jedoch nicht. Der Daimler-Aufsichtsratsvorsitzende und Deutsche-Bank- Chef sah in den Ministranten Provokanten, die die 30seitige Rede des Daimler-Lenkers Edzard Reuter stören könnten. Er schickte den PR-Direktor Matthias „Matt“ Kleinert als Unterhändler nach draußen, der das Häufchen kritischer Aktionäre an die nicht vorhandene Kleiderordnung erinnern sollte.
Doch kaum hatte Reuter mit seinen Anmerkungen zur allgemeinen Weltlage begonnen, mußte sich Kopper mit anderen Störern herumschlagen: Gegner der geplanten Teststrecke im niedersächsischen Papenburg enthüllten Transparente; eine Abordnung der in Abwicklung befindlichen AEG-Olympia aus Wilhelmshaven stimmte Gesänge an. Die Banker-Stimmung im Kongreßzentum blieb jedoch ungetrübt: Ihnen ging es mehr um die Höhe der Dividende und die Aussichten für den Aktienkurs.
In einem vor den Toren verteilten ergänzenden Geschäftsbericht hatten die Kritischen AktionärInnen säuberlich aufgerechnet, was in der PR-Abteilung des gößten deutschen Industrieunternehmens allzu gerne verdrängt wird: massiver Stellenabbau in der Autoproduktion, bescheidene Investitionen in Ostdeutschland, die Teststrecke durchs Hochmoor, mangelndes Engagement für eine umweltfreundliche Produkt- und Verkehrspolitik, knüppelharte Geschäfte in den Billiglohnländern Brasilien und Südkorea.
Doch am meisten stoßen sich die Kritischen AktionärInnen an der Rüstungspolitik des Konzerns: Dieser versäume es, eine Konversion zugunsten umweltfreundlicher und sozialverträglicher Güter energisch voranzureiben. Konzernchef Edzard Reuter, früher der Philosoph unter den bundesdeutschen Firmenbossen, erneuerte dagegen seine Kritik an der politischen Klasse in Bonn: „Populistische Kurzsichtigkeit“ gefährde das Europäische Jagdflugzeug Jäger 90 und damit „wohl für alle Zeiten die Fähigkeiten eines deutschen Unternehmens zur Führung von Gesamtsystemen“.
Außer dem abstürzenden Wundervogel, folgt man Reuters Worten, herrscht nur Aufbruchstimmung, wohin man auch blicke. Die Daimler-Benz Interservices (debis) bereite rundherum Freude, die Deutsche Aerospace (Dasa) sei weder ein unbeherrschbares Konglomerat unterschiedlicher Firmenkulturen noch ein Scherbenhaufen, sondern ein weltweit erfolgreiches und international anerkanntes Luft- und Raumfahrtunternehmen. Die dahinsiechende AEG habe bedeutende Fortschritte bei der Konzentration auf ihre Kerngeschäfte gemacht. Und zu guter Letzt der Goldesel des Daimler-Imperiums, die Mercedes-Benz AG, die ein Rekordjahr ohnegleichen hinter sich bringen konnte, so daß der Konzern heute die 100-Milliarden-Umsatzgrenze ansteuert. Da konnte die ungeklärte Zukunft des Jägers nicht einmal die Daimler-Aktie beeinträchtigen: Sie legte seit Jahresbeginn um 50 Prozent zu.
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