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Geld löst die Probleme noch lange nicht

Der britische Pharmakonzern Wellcome-Foundation, Hersteller des Aids-Medikaments AZT, hat sein Herz für Selbsthilfe-Organisationen HIV-positiver Menschen entdeckt / Die Deutsche Aids-Hilfe bekam knapp eine Viertel Million Mark  ■ Aus London Bärbel Petersen

Pharmafirmen haben Geld, zu viel Geld. Jetzt sollen damit die strapazierten Kassen von Aids-Selbsthilfe- Organisationen gefüllt werden. Auf einer Pressekonferenz in London stellt der britische Pharmakonzern Wellcome Foundation Limited „Positive Aktionen“ vor, die von ihm gesponsert werden. Damit will er, so seine Selbstdarstellung, über seinen „eigentlichen Auftrag als pharmazeutische Firma, nämlich wirksame Medikamente gegen HIV und Aids zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen, hinausgehen“.

Selbsthilfe-Initiativen sollen auf vielfältige Weise unterstützt werden. Wellcome verspricht regelmäßig aktuelle Lageberichte über den Stand klinischer Studien und des Therapiemanagements.

Knapp eine Viertel Million Mark hat die Wellcome GmbH Deutschland als Spende der Deutschen Aids- Hilfe überwiesen. „Das Geld ist ohne Bedingung gegeben worden“, stellt Matthias Wienold, bei der Deutschen Aids-Hilfe für die Bereiche Medizin und Gesundheitspolitik zuständig, klar. Dabei hat es vor drei Jahren überhaupt nicht nach diesem Geldsegen ausgesehen. Der Wellcome-Konzern produziert das Aids- Medikament AZT (Handelsname Retrovir), dessen Nebenwirkungen oft zum Abbruch der Behandlung Aidskranker führen. Ende der achtziger Jahre verkündet der britische Konzern: „Aids wird einmal wie Bluthochdruck behandelt.“

Die Deutsche Aids-Hilfe hält 1988 dagegen, als das Medikament auf dem deutschen Markt zugelassen worden ist: „Weder Daten noch Forschungsergebnisse sprechen gegenwärtig für eine AZT-Behandlung bei Aidskranken.“ Inzwischen haben sich beide auf den „Minikonsens geeinigt“, so Wienold, daß „AZT sinnvoll dosiert eingesetzt werden kann“. Nach wie vor umstritten sind jedoch die Fragen: Ab wann? Bei wem? In welcher Dosierung sollte AZT verabreicht werden?

Warum die Deutsche Aids-Hilfe (DAH), Dachorganisation für insgesamt 130 lokale Aids-Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen in der Bundesrepublik, künftig noch mehr auf Industriespenden angewiesen sein wird, ist klar. Die Bundesregierung hat die finanziellen Mittel für verschiedene Aids-Hilfe-Projekte gekürzt, und so müssen sich Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen zwangsläufig nach privaten Geldgebern umsehen.

Friedrich Baumhauer, einer der Geschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe, sieht darin jedoch die Gefahr, daß soziale Risiken privatisiert werden. Aber wenn schon Sponsoren angezapft werden müssen, wäre eine Mischfinanzierung aus privaten und öffentlichen Mitteln anstrebenswert. Mit der Wellcome- Spende finanziert die Deutsche Aids- Hilfe eine Pflegebeauftragte für die wissenschaftliche und politische Arbeit.

Von dem Wellcome-Geldsegen profitiert auch die „European Aids Treatment Group“ (EATG). Die im Februar in Berlin gegründete Organisation will drängende Probleme bei der Aids-Behandlung auf europäischer Ebene anpacken und lösen. Hauptinitiator und jetziger Exekutiv-Direktor ist Matthias Wienold von DAH. Er sieht die Ziele der EATG vor allem darin, so schnell wie möglich Menschen mit HIV eine wirksame Behandlung und neue, noch in der Erprobung befindliche Therapieformen zukommen zu lassen.

Daneben sollen sie an Behandlungsentscheidungen und am Forschungsprozeß kompetent mitwirken. „Weil die gegenwärtige Forschungsstruktur in Europa an den Menschen mit HIV vorbeigeht und wichtige Fragen offenbleiben“, sieht Wienold in einer europäischen Organisation mehr Chancen, „Menschen mit HIV ungeachtet ihrer geografischen Herkunft und ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen Informationen über Behandlung und Therapieforschung zu ermöglichen“.

Im Vergleich zu den USA lassen sich europäische Pharmafirmen nicht in die Karten schauen, wenn sie neue Medikamente erproben. Dadurch werde, so EATG-Exekutiv- Direktor Wienold, „ein Medikamentenschwarzmarkt begünstigt, auf dem keine Qualitätskontrolle stattfindet“. Außerdem will die European Aids Treatment Group die Kommunikation zwischen Aids-Hilfe-Organisationen sowohl innerhalb der einzelnen Länder als auch zwischen verschiedenen Ländern ankurbeln, verbessern und ausbauen. Derzeit ist die EATG das einzige europäische Forum, wo Probleme bei der Aids-Behandlung angesprochen werden.

Die Wellcome-Foundation hat auch Afrika als weiteres Betätigungsfeld entdeckt. Fünf ostafrikanische Länder südlich der Sahara — Kenia, Uganda, Tansania, Sambia und Simbabwe — erhalten in den nächsten drei Jahren finanzielle Mittel aus dem Programm „Positive Aktionen“. So sollen dort unter anderem einzelne Pilotprojekte entwickelt und verbreitet werden, in denen Prävention und Behandlung integriert sind und in denen HIV-Infizierte und deren Familien Unterstützung finden können. Nach Schätzungen der WHO sind in Afrika über sieben Millionen Menschen mit HIV infiziert. Bis zur Jahrtausendwende wird es in den fünf ostafrikanischen Ländern fünf Millionen Vollwaisen geben, deren Eltern an Aids sterben werden.

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