■ AUS POLNISCHER SICHT
: Berlin-Moskau 2095

Neunundachtzig Professoren, strenggeheime Klausuren, eifrige Diskussionen und Entwürfe, Entwürfe, Entwürfe. Die deutsch-russische Tagung zur Vorbereitung der Berlin-Moskau-Ausstellung 1995 ging im Martin-Gropius-Bau mit einem Empfang feierlich zu Ende, und man versprach sich ehrlich und verantwortungsvoll weiterzumachen. Nicht weniger ehrlich, obwohl gar nicht feierlich, haben die Deutschen den nicht allzuviel verstehenden Russen erklären müssen, daß das ehrgeizige Vorhaben in den (roten?) Sternen steht, weil nämlich Berlin bitterarm ist und sich die Millionen für die Ausstellung nicht leisten kann, das Geld könne nur aus Bonn fließen, worauf man jedoch nicht hoffen sollte. Darauf antwortete die russische Leiterin des Projekts, daß die russische Seite die gesamte Finanzierung der eigenen Kosten voll gesichert hat: die Übersetzungen, Transporte, Versicherungen, konservatorische Arbeiten, Aufnahme der deutschen Partner, einfach alles kann bezahlt werden.

Die Russen müssen Demokratie noch lernen: Deutschland ist ein Land, wo man zuerst den Armen hilft, die keine Arbeit haben und keine Wohnung, erst dann findet ab und zu eine bescheidene Summe für bescheidene und sinnvolle kulturelle Projekte, vornehmlich in mittelgroßen Städten, wie zum Beispiel in Bonn, wo man neulich einen kammeralen Ausstellungsraum gebaut hat. Die neue Ausstellungshalle des Bundes ist darüberhinaus so praktisch, daß sie im Falle eines atomaren Angriffs allen Bonnern sicheren Schutz bieten kann. Prestigeprojekte in großen, reichen Städten wie Berlin sind dagegen mit Vorsicht zu betrachten, zumal sie eine für das breite Publikum so exotische kulturelle Angelegenheit betreffen wie die deutsch-russischen Beziehungen am Beispiel zweier völlig zweitrangiger Orte.

Deshalb kann man mit der Realisierung der durchaus förderungswürdigen Ideen erst nach der Angleichung der Lebensverhältnisse im vereinigten Deutschland rechnen, das heißt um das Jahr 2095. Man könnte natürlich zu einer außergewöhnlichen sozial gerechten Maßnahme greifen, um den Realisationszeitpunkt in die nähere Zukunft zu ziehen: Da die Autofahrer schon genug geplagt sind von den Staus, Lärm und Abgasen, sollten die Einzelfahrscheine der BVG um 1,70 Mark auf 5 Mark verteuert werden, was nach Abzug der Kosten, Steuern und Sozialabgaben drei Pfennige je Sammelkarte bringen würde und damit auch eine reale Chance, noch in den 2080er Jahren mit der Vorbereitung der Ausstellung ernsthaft zu beginnen. Piotr Olszowka