Das Kunstauge Gottes

■ »Meister des Lichts«: Die Akademie der Künste hat Kameraleute aus aller Welt zu Diskussionen, Workshops und Filmvorführungen zur Sommerakademie an den Hanseatenweg geladen. Zuhören dürfen auch Laien

Bill Williams ist Kameramann. Das war schon sein Vater, und er hatte einmal Pech. Er sollte dereinst, als man Kameras noch von Hand kurbeln mußte, einen Boxkampf filmen. Als er gerade neu auflud, gab es im Ring einen K.O. Derart um den Höhepunkt geprellt, ließ der Dokumentarfilmer kurzerhand zwei andere Kerls aufeinander eindreschen, bis er seinen K.O. im Kasten hatte.

Der Schwindel des Vaters flog auf und es gab einen ziemlichen Schtonk. Sein Sohn hatte mit einem ähnlichen Verfahren mehr Glück. Er mischte einige Dekaden später Nachrichtenmaterial über Gandhi zwischen Aufnahmen von Gandhi-Darsteller Ben Kingsley — und bekam einen Oskar.

Die vergnügliche Anekdote hat zur Zeit programmatisches Gewicht an der Berliner Akademie der Künste. Der Einfluß von Dokumentarfilm-Ästhetik auf die Arbeit an Spielfilmen ist ein permanentes Thema auf der diesjährigen Sommerakademie, die unter dem Motto Meister des Lichts Kameraleute verschiedener Provenienz versammelt hat. So geschieht es, daß man plötzlich an den Weihern im Garten der Akademie auf Henri Alekan im Baseball-Captrifft, den Grand Seigneur der europäischen Cinematografie (La Belle et la bête, Topkapi, Der Himmel über Berlin) oder auf Haskell Wexler, der Bound for Glory, Colors, oder Dokumentarfilme in der Tradition des direct cinema gedreht hat, wie Interviews with My Lai Veterans oder Paul Jacobs and the Nuclear Gang.

Die Unterscheidung zwischen Dokumentar- und Spielfilm, diskutiert am dankbaren Objekt der Sportfilme von Riefenstahl über The Loneliness of the Long Distance Runner und Raging Bull bis zur Olympia-Berichterstattung, erfaßte auch die Technologie. Noch heute spricht Walter Lassaly (A Taste of Honey), liebevoll von der Arriflex-Kamera, früher als »Combat-Camera« verschrien, die ihm als einzige eine direkte Sicht auf die Szene während des Filmens ermöglichte; bei den Spielfilmkameras hingegen zeigt der Sucher ein leicht verschobenes Bild. Klar, daß sich die eine mehr zur Improvisation und Spontaneität eignet, als die andere, die eine abgezirkelte Positionierung der Schauspieler voraussetzt.

Hitzig debattiert wurde auch der Einfluß der Television auf die Kamerazunft. Haskell Wexler ist voller Zorn über das Fernsehen, das immer weniger Einzeldramen und immer mehr Serien produziert. Im amerikanischen Fernsehen seien »Zögern, Nachdenken, länger in Ruhe vor laufender Kamera reden« nicht mehr drin. »Den Großaufnahmen schneiden sie die Stirn ab. Nach siebeneinhalb Minuten muß jeder Spielfilm ein Highlight haben, damit die Werbung geschaltet werden kann.«

Als Wexler mit seinen Kollegen Walter Lassaly, Bruno de Keyzer (Around Midnight), Diane Tammes, die für Channel 4 den hervorragenden Dokumentarfilm Casualties gedreht hat, und anderen auf dem Podium saß, war klar, daß die Frage der künstlerischen Kontrolle auf dem Spiel stand, und damit nicht nur das Selbstverständnis der Kameraleute als Künstler, sondern die nackte Existenz. So passiert es Williams oft, daß er TV-Werbefilme oder Skripts, die er bei guter Auftragslage schlicht in den Papierkorb werfen würde, annehmen muß, weil sonst der Schornstein nicht mehr raucht.

Fast alle wußten von schmerzlichen Erfahrungen bei der Bearbeitung ihrer Kinofilme fürs Fernsehen zu berichten: Kontraste gehen verloren aus Schwarz wird Grau. Die Philosophie der Lichtführung, die Frage, ob man Kameraarbeit sehen darf oder soll oder nicht: sie kann nach den allabendlichen Kinovorführungen im großen Saal mit den Kameraleuten debattiert werden. Heute abend beispielsweise ist Blaze zu sehen, das Südstaatenepos über die Liaison zwischen einem Louisiana-Gouverneur (Paul Newman) und seiner Schickse, der mit einem schwindelerregenden Kameraflug vom Rock der Dame in den Himmel und ...sssst ins Meer endet. Wexler war der erste, der die steady-cam, eine Erschütterungen abfedernde Kamera, für einen Sturzflug mit anschließendem Gang durch eine Menschenmenge einsetzte — ein wirklich amerikanischer Umgang mit dem Gottesauge.

Endlich kann man Robby Müller nach den Sumpftouren und dem Nachtleben in Down by Law fragen (Sonntag abend). Michael Ballhaus wird da sein, um die rasanten Fahrten in Good Fellas zu diskutieren (Donnerstag abend); Carlo di Palma, der Assistent bei Visconti, Rosselini und de Sica war, zeigt seine Arbeit mit Woody Allen in Shadows and Fogs (Dienstag abend). Endlich ist auch Jane Campions An Angel at My Table wieder zu sehen (13. Juli).

Tagsüber finden teils öffentliche, teils interne Workshops statt, bei denen Studenten auf ihre lang aus der Ferne angeschmachteten Idole treffen, diskutieren, ob man besser Filter oder Nebel verwendet oder Kodak oder Fuji, dabei wird flugs mit Strahlern und Spiegeln hantiert. Ist das schon vergnüglich anzusehen, so profitieren auch Laien ganz sicher von den philosophischen Ausleuchtungen des Themas: Zu empfehlen ist speziell Dietmar Kampers Medienseminar Mitte Juli, oder Stipvisiten beim Thema »Das Licht zwischen technischer Entwicklung und Bildender Kunst.« Mariam Niroumand

Öffentliche Filmvorführungen allabendlich um 18 und 20 bzw. 21Uhr, noch bis zum 17.Juli in der Akademie der Künste