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Reichstag von allen Seiten offen

■ Bundesweiter Wettbewerb zum Umbau des Reichstages ausgelobt/ Keine ängstliche Modernisierung/ Gebäude »durch Umbauten ein neues Gesicht geben«/ Kuppelfrage bleibt offen

Berlin. Exakt ein Jahr nach dem Beschluß des Bundestages, das Reichstagsgebäude wieder dauerhaft für Plenarsitzungen zu nutzen, bietet sich für den trutzigen und unfunktionalen Bau am Platz der Republik die Chance, ein vielleicht anderes Gesicht und Innenleben zu erhalten.

Der »Wettbewerb zum Umbau des Reichstags zum Deutschen Bundestag sollte dem denkmalgeschützten Gebäude von Paul Wallot aus dem Jahre 1894 ein neues Aussehen geben«, sagte Günter Schäffel, Leiter der Abteilung Bauwesen im Bonner Bauministerium bei der gestrigen Vorstellung des Auslobungstextes. Von den Entwürfen für die Umgestaltung werde erwartet, daß ihr Umgang mit dem historischen Bauwerk nicht von »ängstlicher Vorsicht« oder »engem Restaurierungsbemühen« geprägt sei. Im Vordergrund für das 17.000 Quadratmeter Nutzfläche fassende Haus im Mittelpunkt des Regierungsviertels stehe vielmehr die Herstellung der Funktionsfähigkeit für ein modernes Arbeitsparlament. Weder Wallots historisches Bauwerk noch Paul Baugartens Sanierung in den sechziger Jahren — nach den Zerstörungen durch den Reichstagsbrand 1933 und den Zweiten Weltkrieg — genügten diesen Ansprüchen, meinte Schäffel.

Für die Umbaumaßnahmen im Innern liegt der Auslobung ein »Prioritätenkatalog« bei: Der Reichstag muß einen neuen Plenarsaal für rund 670 Abgeordnete erhalten. Ebenso benötigt er ein anderes Raum- und Funktionsprogramm. In erster Linie wird es darauf ankommen, ein besseres Erschließungsystem zu entwerfen sowie Räume für die Fraktionen und Säle für Kommissionen und Ausschüsse, den Bundesrat und die parlamentarischen Dienste zu planen. Hinzu kommen neue Bereiche für die Medien- und Kommunikationstechniken. Das Raumprogramm des Deutschen Bundestages ist insgesamt so bemessen, daß es um ein Vielfaches die Möglichkeiten des Reichstagsgebäudes überschreitet. Deshalb wird es nötig sein, eine Reihe von Räumen in andere Gebäude des geplanten Regierungsviertels zu verlegen. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Hinweis, daß in der Ausschreibung Lösungen gesucht werden für Nutzungen des Hauses an Tagen, wo keine Plenardebatten stattfinden. Die Auslobung: »Im Entwurf soll Transparenz, Kommunikation und Bürgernähe zum Ausdruck kommen. Es ist darauf zu achten, daß das Reichstagsgebäude von allen Seiten offen und zugänglich bleibt.« Sicherheitsansprüche ade?

Die Aufgaben des Umbaus beschränken sich nicht allein auf ein zu veränderndes Raumprogramm. Die am Wettbewerb beteiligten Architekten können das Gebäude nicht nur umbauen, sondern durch »entsprechende An- und Aufbauten dem Reichstag ein neues Gesicht geben«, sagte Schäffel. Das müsse nicht bedeuten, daß die abgetragene Kuppel rekonstruiert werden sollte — deren Aufbau könne sowieso nur im Zusammenhang mit dem Ergebnis des parallel verlaufenden städtebaulichen Wettbewerbs geklärt werden. Gemeint seien eher Angebote für die Neugestaltung des vorgelagerten Platzes der Republik sowie die Modernisierung und Anbindung des Reichspräsidentenpalais' im Rücken des Reichstags. Im Reichspräsidentenpalais sollen die Amtswohnung der BundestagspräsidentInnen sowie Repräsentationsräume untergebracht werden.

Die Offenheit des Wettbewerbs spiegelt im Wesentlichen die Ergebnisse des »Reichstagskolloquiums« vom Februar dieses Jahres wider, wo Architekten und Planer, Historiker und Politiker zu einem modernen Umgang mit der historischen Bausubstanz rieten: Wilheminischer Mummenschanz darf nicht betrieben werden. Die Zugänglichkeit des Gebäudes im Stadtbild und für die Bürger muß gesichert werden. Die Geschichtlichkeit des Baus soll durch den Verzicht auf die Rekonstruktion der Kuppel bewahrt werden, hieß es. In der Jury, die in einem zweistufigen Verfahren im Januar 1993 entscheiden will, sitzen neben Karljosef Schattner weitere Verfechter des modernen Weiterbaus des Reichstags. Zu hoffen bleibt, daß der geplante Baubeginn 1995/96 ihre Handschriften trägt. Rolf R. Lautenschläger

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