: KAISERS GESPENSTERPARADE
■ Mummenschanz auf dem thüringischen sSagenberg Kyffhäuser: Vaterländische Gesellen lassen am "deutschen Nationalheiligtum" rechte teutsche Traditionen wieder aufleben
Mummenschanz auf dem thüringischen Sagenberg Kyffhäuser: Vaterländische Gesellen lassen am „deutschen Nationalheiligtum“ rechte teutsche Traditionen wieder aufleben
VONCHRISTELBURGHOFF
Hereinspaziert, hereinspaziert ins germanische Nationalmuseum! Nein, nicht das Nürnberger mit den toten Exponaten, sondern das Museum der Lebenden, Schauplatz für die verwitterten Kämpfer und Verfechter rechter teutscher Gesinnung, den Inkarnationen nationaler Tugenden und Werte, den treuen und ergebenen Dienern für Nation und Vaterland.
In altbackenen Uniformen, drapiert mit dem Glitter und Tinnef ihrer soldatischen Heroenzeiten, bewegen die alten Krieger ihre steifen Glieder zwar mühsam. Aber die Fahnen wehen wieder, Kamerad! „Deutschland einig Vaterland!“ ruft die Geister wach. Die Droge Wiedervereinigung hat gewirkt. Zum Mummenschanz im Herzen Deutschlands trifft man sich wieder...
Schon von weitem sieht man dem Kyffhäuser seine eigentümliche Vergangenheit an: Die Wipfel seiner Wälder überragt eine steinerne Reichskrone. Das kleine Kyffhäusergebirge zwischen den Ausläufern des südlichen Harzes und dem Thüringer Wald ist seit jeher in der Sage als der Sitz des schlummernden Kaisers Barbarossa bekannt. Vor hundert Jahren wurde es durch den Bau eines bombastischen Kaiserdenkmals auf des Kaisers sagenhafter Heimstatt auch noch auf andere Weise berühmt: als ein deutsches „Nationalheiligtum“, als festliche Wallstatt aller vaterländischen Gesellen, Kriegsveteranen und nationalvernarrten Deutschen.
So grandios sich die Vaterlandsversessenheit im Bewußtsein ihrer Erbauer, den Kyffhäuser-Bünden (ehemals Reichskriegerbund Deutschland), einst aufspielte, so grandios ist auch das Denkmal ausgefallen. Sein Sockel beherbergt das steinerne Abbild des alten Kaiseridols. Übermenschlich groß wurde es quasi ins Innere des Berges hineingemeißelt. Hier sitzt der Alte, in Stein gebannt, und scheint, wie in der Sage überliefert, aus tiefstem Schlummer zu erwachen. „Fliegen die Raben noch?“ erkundigt er sich. Hat die Stunde der Auferstehung endlich geschlagen? Aus der mittelalterlich-schummrigen Atmosphäre der Gewölbe, die Barbarossas Sitz umgeben, erhebt sich ein zweites Kaiseridol gen Himmel: Wilhelm I., deutscher Kaiser und Reichsgründer von 1871. Imperial hoch zu Roß, mit gezwirbeltem Schnauz- und gebauschtem Backenbart, fußt es auf seinem „Fundament“, des alten Kaisers altem Thron, und bildet mit dem sagenhaften Vorgänger eine Einheit von schier brachialer Symbolik. In direkter Folge, so suggeriert es, bringt der mythische Urgrund des alten Reiches das neue Reich hervor.
Pickelhauben und Standarten
Als sich dieses Jahr, an einem sonnigen Frühsommertag, lauter altertümlich uniformierte Gestalten in Barbarossas Vorhof einfinden, um des Denkmals hundertjährige Grundsteinlegung zu feiern, scheint der Kyffhäuser alle ihm je verbrüderten Geister angelockt zu haben. Immer neue Veteranengrüppchen ziehen mit geschulterten Standarten gemächlich den Berg hinauf. So manches markante männliche Haupt ist wie früher mit einer Pickelhaube geschmückt. Auf den Uniformjacken der verdienten Krieger und ihrer verdienstvollen Frauen blitzt und blinkt es vor zahllosen Orden und Verdienstkreuzen. Das goldene Brokat und die goldenen Bordüren der Standarten glänzen in der Sonne. Auf den vielen bunten Fahnen flattern Adler, Kronen, Siegerkränze, Türme, Lorbeerranken im Wind. Man ergeht sich treppauf und treppab auf der ausgedehnten Anlage des doppelten Kaisers, versammelt sich in der neu hergerichteten Gedenkstätte im rückwärtigen Teil des Denkmals und kippt dann im Bierzelt literweise Barbarossa-Bräu in sich hinein. Zum Festakt formiert sich die Kriegerschar auf dem offenen Platz im Angesicht des Barbarossa. Nach dem eher geselligen Vorgeplänkel dräut es, pathetisch und bitterernst zu werden.
„Damals wie heute steht das Denkmal als Symbol der Unteilbarkeit unseres Vaterlandes“, tönt der Redner ins Rund der aufgepflanzten Standarten hinein. Das große Werk der Vorväter“ — „es mahne zur Einheit“, „es möge das Einheitsprinzip in unsere Herzen pflanzen“. Mit kryptischen Vereinigungsformeln wird der Geist der Vergangenheit beschworen, denn der Weg in die Zukunft erfordere die Werte des Gestern. Wir brauchen unser nationales Erbe dringender denn je, heißt es. Befriedigt konstatiert der Stargast der denkwürdigen Veranstaltung, Graf Lambsdorff, daß die deutschen Werte und Tugenden wieder gepflegt werden — „trotz der Versuche der Nürnberger Richter, das nationale Denken zu vernichten“. Die geschichtsklitternden Worte des Grafen passen bestens ins Weltbild der Patrioten; seine pseudoparlamentarischen Weihen werden wohlgefällig aufgenommen. Den Kyffhäuserbünden haftet fest der Ruch des Antidemokratismus an, seit sie 1945 vom Alliierten Kontrollrat verboten wurden. Zwar gelang es den Veteranenbünden, sich bereits im Zuge der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik unter ihrem ehemaligen Präsidenten, dem SS-Führer Reinhard, neu zu formieren, aber man darbte mehr am äußersten rechten politischen Spektrum der Bundesrepublik, statt so richtig öffentlich zu glänzen. Erst mit der Wiedervereinigung sind die nationalen Symbolträger an ihr nationales Heiligtum zurückgekehrt und gebärden sich jetzt, durch personellen Zulauf im Osten gestärkt, als ein „moderner Volksbund“ von staatstragender Bedeutung. Das nationale Denken erobert sich die Zukunft zurück. Mit der stahlharten Gesittung der Vergangenheit blickt man forsch neuen Aufgaben entgegen. Zwar sei durch das Ende des Kommunismus „die drohende Gefahr“ beseitigt, betont der Reservistensprecher, aber das Europa der Zukunft brauche „stabile und handlungsfähige Systeme“ — was immer darunter zu verstehen ist.
Barbarossa könnte sich freuen über die Folgen des Webens und Wirkens seiner beflissenen Erben. Wie der Volksmund überliefert, ging es dem alten „guten“ Kaiser stets nur um die Verwirklichung solch hehrer Ziele wie Einheit, Frieden und Gerechtigkeit. Und stets erinnerte man sich seiner, wenn ein nationales Erlöserideal gefragt war, sowohl im Mittelalter als auch in den revolutionären Zeiten des Vormärz. Noch keine hundert Jahre war der Alte tot, im Jahr 1190 auf einem Kreuzzug im Saleph ertrunken und im Heiligen Land begraben, als ihn der Volksglaube schon als guten Patriarchen in den Kyffhäuser setzte und seine Wiederkehr erhoffte. Historiker haben dafür eine Erklärung parat: Allein einer Norm höherer Ordnung verpflichtet, bemühte sich der Kaiser auf Erden darum, Mensch, Gott und Welt in Einklang zu bringen, ein überzeitliches Einheitsprinzip zu verwirklichen. Das rührte und befriedete die Menschen gleichzeitig. Barbarossa war vom Verlauf der Heilsgeschichte inspiriert, sagen die Experten, er strebte ihrer Erfüllung entgegen. Sein Reichsverständnis jedoch, so universell es daherkommt, gehöre ganz und gar ins mittelalterliche Weltbild.
Fanfaren schmettern. Die Standartenträger haben nach der letzten Rede das Rund im Angesicht des Barbarossa verlassen und sind nach oben, auf die nächste Freiterrasse zum Standort Wilhelms marschiert. Wie die Erbauer es einst planten, postieren sich die Veteranen mit ihren Insignien jetzt auf der nächsten Stufe des Denkmals wie auf einer höheren Stufe der Geschichte. Auf den Freitreppen, die beidseitig nach oben führen, ist der ordentlich in Spielmannszügen rekrutierte Nachwuchs postiert. Barbarossas Hof wird von nationaler Symbolik eingerahmt; es scheint, als sei vielhundertjährige Geschichte zu einem einzigen, lebensfrohen Bild kombiniert. Aber kaum ist der erste Fanfarenstoß erklungen, als alles Leben wie auf Kommando aus dem museumsreifen Bühnenszenarium entweicht und in militärischer Grundhaltung erstarrt: Der Akt der Fahnenweihe bringt ihn ungefiltert hervor, den Geist des Militarismus. Im Moment höchster Innerlichkeit wird absolut stillgestanden. Allein die bunten Fahnen flattern weiter im Wind.
Sehnsuchtssymbol der kaiserfixierten Deutschen
Auch Barbarossa blickt schrecklich hart aus seiner Gruft heraus, und unwillkürlich fragt man sich, wer da eigentlich im Berg residiert und seiner Auferstehung harrt. Wie der Alte da breitbeinig hingefläzt ist, mysteriöses Dämonengelichter an seiner Seite, macht er eher den Eindruck eines zu groß geratenen Patriarchen übelster Ordnung statt des gerechten, guten Kaisers, als der er in der Überlieferung gehandelt wird. Das Sehnsuchtssymbol der kaiserfixierten Deutschen ähnelt in Haltung, Montur und Gestik, selbst in der Mimik aufs frappanteste dem angestammten Hausherrn des Kyffhäuser, dem düsteren, finsteren, kriegsbesessenen Germanengott Wotan. So wie Wotan auf Zeichnungen dargestellt ist, so sitzt auch dem Kyffhäuser-Barbarossa die Krone tief im Gesicht. Mit einer Hand umklammert er sein Schwert, die andere zwirbelt noch sinnend am langen Bart — aber der grimmige Blick verheißt nichts Gutes. Zu passender Gelegenheit wird er sich polternd erheben und mit dem Schwert drauflosdreschen. Haben die Kyffhäuserbünde etwa den Wotan aus dem Berg geholt? Im Kyffhäuser, so glaubten die germanischen Stämme, residiert Wotan, mit Raben und Hunden im Gefolge. Hier sammelt er sein Heer der Toten, eine Horde blindwütiger Gestalten, mit denen er nachts aus der Unterwelt heraufsteigt und Grauen und Entsetzen verbreitet. Wo Wotan sprichwörtlich wütet, wächst kein Gras mehr. Wenn sich im Kyffhäuser statt Barbarossa der Wotan materialisiert hat, dann macht der Tausch jedenfalls Sinn. Mit der Kaiserhommage verdeckten die Patrioten zu ihrer Zeit nur zu gut den eigentlichen Zweck ihres Engagements: Der Bau des Denkmals diente der aggressiven Expansionspolitik des zweiten deutschen Kaiserreiches. Die Strategie der Kriegerbünde orientiert sich am doppelten innenpolitischen Kalkül, einerseits für den kriegstreiberischen Kaiser zu werben, andererseits jedoch „geschichtlich legitimierte“ Stärke zu demonstrieren, um Andersdenkende abzuschrecken. Das Denkmal war als ein Affront gedacht, als ein Bollwerk gegen die erstarkende Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung.
„Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“ Mit der Singerei tut man sich schwer. Das Deutschlandlied geht den Veteranen nur verhalten über die Lippen. Bedächtig rollen sie die Fahnen wieder ein. So bedingungslos stramm man noch im letzten Moment dastand, so unspektakulär trollen sich die bündischen Grüppchen nun wieder den Berg hinab oder zum Bierzelt hin. Der gesellige Teil der Festlichkeit geht weiter, gemeinsam mit Freunden und Fans und Touristen.
Bevor die Kyffhäuserbünde auf ihrem Denkmal wieder zu feiern anfingen, öffentliche Wiedervereinigungsfeste und Jubiläen inszenierten, war es jahrelang recht still um den Berg. Zu frühen DDR-Zeiten wollte man das Kaiserdenkmal als „Symbol des deutschen Militarismus“ und seiner „unheilvollen Rolle bei der Vorbereitung zweier Weltkriege“ sogar abreißen. Der Versuch einer Demontage scheiterte aber am entschiedenen „Nein“ eines sowjetischen Offiziers, der den Deutschen die handfeste Gespensterbefreiung durchaus nicht zugestehen wollte und sie statt dessen dazu verdammte, „mit“ — wie er gesagt haben soll — „ihren Denkmälern zu leben“. Allein das Hindenburg-Denkmal am Fuße der Anlage brachte man zu Fall und beerdigte es in einer ausgehobenen Erdkuhle. Gerüchten zufolge wollen die örtlichen Kyffhäuserkameradschaften den Hindenburg jetzt wieder ausgraben und aufstellen.
Befreiungsbewegung der Bauern gegen Kaiserkult
Die DDR machte aus der Denkmals- Not eine Geschichts-Tugend und setzte dem Kaiserkult die Befreiungsbewegung der Bauern entgegen. Mittlerweile haben sich die Zeichen wieder verkehrt. Thomas Müntzer, der Bauernführer, macht dem Barbarossa Platz.
Es bedarf jedoch der „rechten Seelenverfassung“, wie ein Reisebuch um die Jahrhundertwende feststellt, um den „ebenso wuchtigen als edlen Eindruck“ des „Stillen Nationalheiligtums“ wahrzunehmen. „Es ist nicht zu leugnen: was diesem Berge in den Augen des deutschen Volkes eine so ganz besondere Weihe gibt, das sind in Wahrheit nicht so sehr die ziemlich dürftigen historischen Erinnerungen als vielmehr die allbekannte und allverbreitete tiefsinnige Sage von dem Zauberschlaf Barbarossas und seinem dereinstigen Erwachen.“
Die Seelenverfassung, die der Autor meinte, breitet sich wieder aus. Im herrlichen Kyffhäuser-Buchenwald klopft nicht bloß der echte deutsche Schwarzspecht, da klopfen auch die kaiserlichen Gespenster, um neue Rekruten anzulocken.
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