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„Sie hätte ich damals gern gehabt“

Bei einer Talk-Show räumt der frühere Terroristenjäger Rebmann erstmals ein, daß 1977 über die Erschießung einzelner RAF-Gefangener nachgedacht wurde/ Unüberbrückbare Gegensätze zwischen RAF-Aussteiger und einstigem Chefankläger  ■ Von Dietrich Willier

Stuttgart (taz) — Nachdenklich lehnt der „Engel von Mogadischu“ an der Bar des „Nachtcafeś. „Wir waren damals fertig mit der Welt“, erinnert sich die resolute blonde Frau an den 17. Oktober 1977. Seither haßt sie jeden Fanatismus. Gabriele von Lutzau war damals 23 Jahre alt und Stewardeß der „Landshut“, als die Lufthansamaschine von einem vierköpfigen, palästinensischen Terrorkommando mit 86 Passagieren an Bord zur Freipressung der RAF-Häftlinge Baader, Enßlin, Raspe und Möller nach Mogadischu entführt wurde. Der Pilot der Maschine, Jürgen Schumann, war neben ihr erschossen worden. Die geglückte Befreiungsaktion durch das Sonderkommando GSG9 überlebte nur eine der Terroristinnen. Stunden später hatten sich drei der Stammheimer Gefangenen in ihren Zellen umgebracht. Der von der RAF entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wurde am 19. Oktober ermordet im Kofferaum eines PKW gefunden.

„Gnade für die Terroristen?“ will Gastgeber Wieland Backes in seiner SDR-Talk-Show Nachtcafé von Frau von Lutzau wissen. „Ja, wenn sie bereuen“, meint die ehemalige Stewardeß, sonst hätte sie auch gegen eine Fortdauer der Isolationshaft nichts einzuwenden. Die RAF, beteuert sie, sei schließlich nicht ihr Feindbild. Für seine Runde im Ludwigsburger Barockschlößchen Favorit zur Frage einer vorzeitigen Haftentlassung von politisch motivierten Mördern war es Backes gelungen, die bisher widersprüchlichsten Gesprächsteilnehmer zusammenzubekommen: Den Hardliner und Generalbundesanwalt im Ruhestand, Kurt Rebmann — neben ihm der ehemalige RAF-Anwalt Klaus Croissant. Herta Däubler-Gmelin, die Rechtspolitikerin im SPD-Präsidium, ist gekommen und Hubertus von Braunmühl, der seinen Bruder durch ein Attentat der RAF verloren hat. Auch Klaus Jünschke, ein RAF- Mitglied der ersten Stunde, und mit ihm Alfred Sauter, Staatssekretär im bayerischen Justizministerium, ein erklärter Gegner jeglicher staatlichen Konzession gegenüber Terroristen.

Nur einer war von seinen Freunden in letzter Minute überredet worden, sich der kritischen Öffentlichkeit besser nicht zu stellen: Günther Sonnenberg, der erst vor wenigen Wochen auf sanften Druck des damaligen Justizministers Klaus Kinkel aus der Bruchsaler Strafhaft entlassen wurde.

Bizarre Verständnislosigkeit

Fronten von fast bizarrer Verständnislosigkeit gibt es auch ohne Bernd Rößner. Wie und aus welchen Gründen die deutsche Stadtguerilla einst entstand und daß man, wie Jünschke betonte, schließlich nicht als Terrorist geboren wird, interessiert den Terroristenjäger Kurt Rebmann auch heute nicht. Der Staat, beharrt Rebmann, dürfe sich niemals erpressen lassen. Bei einem Mord komme es nicht auf die politischen Motive an.

Daß dieser Staat dagegen immer noch so unbeugsam wie im deutschen Herbst 1977 sein würde, glaubt der pensionierte Generalbundesanwalt allerdings nicht. Den heutigen Politikern fehle die „soldatische Konsequenz“ eines Helmut Schmidt. Eine Konsequenz, so Rebmann, mit der damals im Krisenstab der Bundesregierung auch über die eventuelle „Erschießung von RAF-Gefangenen“ als Geiseln geredet wurde.

Einer hageren Frau unter den Zuhörern der Talk-Show verschlägt soviel pensionierte Offenheit die Sprache. Es sei das erste Mal, so die Schwester der RAF-Mitbegründerin Gudrun Enßlin, Christiane, daß dies in aller Öffentlichkeit zugegeben würde. Und sie bekommt auch noch die Bestätigung für einen weiteren, lange gehegten Verdacht. Tonbänder, auf denen Gespräche der Stammheimer Gefangenen während der Kontaktsperre zur Zeit der Schleyer-Entführung aufgezeichnet worden waren, seien entweder längst vernichtet oder lagerten bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft — sagt jedenfalls Kurt Rebmann. Er macht einen reichlich leutseligen Eindruck an diesem Abend.

Stammhein ein tadelloses Gefängnis?

Überhaupt, Stammheim sei immer noch „ein ganz tadelloses Gefängnis und keine in Stein gehauene Repression, wie immer behauptet würde. Er, Rebmann, kenne schließlich die Hochsicherheitstrakte dieser Welt. Und auch „die Haftbedingungen waren in Ordnung, sonst hätte der Gesetzgeber sie doch nicht abgesegnet.“ Nur die RAF-Gefangenen, erinnert sich der Pensionär, die hätten ja nicht arbeiten wollen, so wie andere. „Die wollten die Isolation, um dann von Folter sprechen zu können.“

Klaus Jünschke, der wegen seiner Mitgliedschaft in der RAF und wegen Polizistenmord siebzehn Jahre im Knast gesessen hatte, will das sicher nicht. „Danach“, meldet er sich zu Wort, „ist ein Mensch am Ende.“ So wie Bernd Rösner. Der sitze jetzt, schwerkrank, ebenfalls seit 17 Jahren im Gefängnis. Er, Jünschke, sei davon überzeugt, „daß die RAF aufhören wolle“. Die Entlassung Rösners sei aber für die anderen einsitzenden Gefangenen „zur Schlüsselfrage“ geworden. Kurt Rebmann, klagt der RAF-Aussteiger Jünschke, habe „nie begriffen, was er eigentlich getan hat“. Staatliche Unnachgiebigkeit und immer neue Gesetze zur Verstärkung der Repression, glaubt er, hätten auch immer neue Generationen der RAF hervorgebracht. „Ich wäre froh“, so Jünschke heute, „wir hätten die RAF nie gegründet.“ Rebmann gibt sich beeindruckt: Jünschke möge doch, bei so viel Einsicht, an die RAF-Mitglieder „herantreten, die noch irgendwo in der Welt in Freiheit sind“.

Später in einer türkischen Gastwirtschaft in Ludwigsburg, sitzt man nach Beendigung der Fernsehaufzeichnung in intimer Runde beisammen. „Sie hätt' ich damals gern gehabt“, feixt Rebmann jovial sein Gegenüber an. Klaus Croissant, der frühere Verteidiger von Ulrike Meinhof weiß, wen er meint. Er war im Juli 1977 vor der deutschen Strafverfolgung nach Paris geflohen und hatte um politisches Asyl gebeten.

Doch das will der pensionierte Generalbundesanwalt nicht mehr wissen. Nostalgisch erinnert er sich an seinen Hund Othello, die fußballerischen Höhen des VFB Stuttgart und an die Zeiten, als seine sechs Leibwächter beim Urlaub in Marbella noch mit ihm schwimmen gehen mußten. Ach ja! Der Bernd Rösner. Den hat er vor vier Jahren einmal im Knast besucht. Von Haftunfähigkeit keine Rede. Die Strafvollzugsbeamten hätten ihm berichtet, daß der RAF-Häftling täglich einen Kopfstand mache: „Aber Herr Jünschke, wenn Sie sagen, daß der Rösner haftunfähig ist, und das ein Gutachter bestätigt, dann muß er raus!“

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