INTERVIEW: "Das Ergebnis ist kein Grund zum Jubeln!"
■ Marion Ziegler, Leipziger Stadtverordnete von Bündnis 90/ Grüne/ Unabhängiger Frauenverband, zum Paragraph 218
taz: Die 'Bild‘-Zeitung titelte hier in Leipzig nach der Bundestagsentscheidung zur Neuregelung des §218 groß den „Sieg der Frauen“. Für die Frauen in Ostdeutschland ist der Mehr-Parteien- Antrag hingegen ein Rückschritt. Waren Sie trotzdem erleichtert über den Ausgang der Abstimmung?
Marion Ziegler: Erleichtert ja, aber ich war und bin nach wie vor gegen diesen Paragraphen und gegen den Kompromiß. Die Abstimmung habe ich mit sehr gemischten Gefühlen verfolgt. Das Ergebnis ist für mich kein Grund zum Jubeln. Ich glaube, daß ich für einen Großteil der Frauen hier in den neuen Bundesländern spreche. Hier wird es Proteste geben. Die Frauen hier im Rathaus zum Beispiel scheinen sich fast alle einig zu sein, während die Männer mal wieder keine Notiz davon nehmen.
Fühlen Sie sich endgültig von westlicher Gesetzgebung vereinnahmt?
Auch in diesem Punkt fühle ich mich natürlich vereinnahmt. Es war ja nicht nur eine Frau/Mann- Debatte, sondern irgendwie auch eine Ost/West- Auseinandersetzung und geht letztendlich auf Kosten der ostdeutschen Frauen, die damit noch mehr in ihren Rechten beschnitten werden. Ich sehe aber sehr wohl, daß die Neufassung für die westdeutschen Frauen eine Verbesserung bedeutet. Vor allem entsetzt mich aber der Stimmungsumschwung von Politikerinnen wie zum Beispiel Bergmann- Pohl und Merkel, die ihre Meinung zugunsten der westdeutschen CDU geopfert haben. Mutig und dem eigenen Gewissen folgend, hingegen eine CDU-Frau wie die Leipziger Bundestagsabgeordnete Pfeiffer, die nicht dem CDU/CSU-Antrag gefolgt ist.
Was bedeutet die Bundestagsentscheidung denn konkret für die Frauen und Männer hier?
Da muß man differenzieren. Das Gros der Bevölkerung — die Männer eingeschlossen — werden diesen Kompromiß bestimmt bejahen. Über die Folgen dieser Gesetzespraxis sind sich sicherlich die wenigsten im klaren. Es bedeutet für die Frauen de facto eine Zwangsberatung, die sie nicht kennen. Es ist ja auch für die ÄrztInnen genauso neu. Es ist noch völlig ungeklärt, wer die Beratungen hier durchführen soll. In diesem Punkt wird natürlich Politik gemacht: Es gibt noch zuwenig unabhängige oder staatliche Beratungsstellen. Pro Familia hat in Leipzig nur eine Beratungsstelle, während die konfessionellen Stellen wie Pilze aus dem Boden schießen. Und wo das Geld für die Finanzierung der unabhängigen Beratungsstellen herkommen soll, steht ebenfalls in den Sternen.
Für uns, das heißt für die engagierten Frauen, bedeutet dies, daß wir am Ball bleiben müssen und die Praxis der Umsetzung beeinflussen müssen. Wir müssen erst einmal um die Einrichtung unabhängiger Beratungsstellen kämpfen. Ich habe die Hoffnung, daß viele Frauen nach der neuen Abbruchregelung aufwachen, zumal die soziale Situation für Frauen sich immer mehr verschärfen wird. Das neue Sozialpaket der CDU ist ja gerademal „angedacht“ und kommt — wenn überhaupt — erst in ein paar Jahr zum Tragen. Eine bundesdeutsche Sozialpolitik, die hauptsächlich zu Lasten der Kommunen geht: hier in Leipzig sind die Auswirkungen im Bereich der Kindertagesstätten eklatant. Zirka 40 Kitas werden geschlossen und 1.100 Erzieherinnen entlassen. Hier wird zuerst der Rotstift angesetzt. Interview: Nana Brink
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen