INTERVIEW: „Da müssen viele Maßnahmen ergriffen werden“
■ Berlins Umweltstaatssekretär Lutz Wicke (CDU): Der Umweltsenator kann nicht einfach Straßen sperren lassen
Berlin ist das erste Bundesland, daß die Luft- und Lärmbelastungen durch den Autoverkehr gemessen hat. Die am höchsten belastete Straße ist die Brückenstraße in Berlin-Mitte, unweit vom Alexanderplatz. Die vom Bundesumweltminister diskutierten Eingreifwerte für Benzol, Dieselruß sowie der EG-Grenzwert für Stickoxid werden deutlich überschritten. Die taz fragte Lutz Wicke (CDU), Staatssekretär im Berliner Umweltsenat, was jetzt mit der Brückenstraße passieren soll.
taz: Der BUND fordert die Totalsperrung der schmalen Brückenstraße. Wann wird die Straße wenigstens für den LKW-Verkehr dichtgemacht?
Lutz Wicke: Der Umweltsenator kann nicht unmittelbar eingreifen. Er kann dem Verkehrssenator nur mitteilen, wie hoch die Werte in der Brückenstraße sind — das werden wir tun.
Die Verkehrsverwaltung sagt, daß sie mit Ihren Werten nichts anfangen kann. Weder sind bisher Eingreifwerte für Benzol und Dieselruß festgelegt, noch ist das gesundheitliche Risiko abgeschätzt worden.
Trotz großer Bedenken, Eingreifwerte für krebserzeugende Stoffe wie Benzol und Dieselruß zu nennen, hat der Länderausschuß für Immissionschutz aus wissenschaftlichen Studien über Risikoabschätzungen Eingreifwerte zum Schutz gegen Gesundheitsgefahren abgeleitet. Der Bundesumweltminister wird diese Empfehlung übernehmen. In der Brückenstraße ist nach unseren Berechnungen die Schadstoffbelastung inakzeptabel hoch. Dies gilt auch für andere Stellen der Berliner Innenstadt. Aus diesem Grunde haben wir ein entsprechendes Modell erarbeitet.
Wie sieht das aus?
Weil die Münchner auch mitmachen, heißt es das „Berlin-Münchner Modell“. Wenn das Parlament zustimmt, würden ab 1994 in der Innenstadt nur noch Autos mit Katalysator kostenlos fahren können. Alle anderen Autos bräuchten eine gebührenpflichtige Sondergenehmigung. Ab 1995 dürfen LKW mit einem Gesamtgewicht von weniger als 3,5 Tonnen nur dann die Innenstadt befahren, wenn sie dieselben Abgasnormen wie PKW erfüllen. Damit werden die meisten LKW in dieser Stadt abgasarm. Schwere Laster müssen ab 1996 erhöhte Anforderungen erfüllen. Ziel sind Abgaswerte, die zur Zeit nur mit erdgasbetriebenen Fahrzeugen erreicht werden.
Schön und gut. Gleichzeitig sollen in Berlin aber Autobahnen verlängert und zwei Stadtringe vervollständigt werden. Wann kommt der Zeitpunkt, daß der Verkehrssenator nur noch neue Straßen bauen darf, wenn er dem Umweltsenator belegen kann, daß dadurch nicht zusätzlich die Schadstoffwerte in der Innenstadt ansteigen?
Auch wenn der Neubau von Autobahnen umstritten ist, sind sie in manchen Fällen notwendig. Am Sachsendamm stehen täglich 60.000 bis 100.000 Autos — das ist alles andere als umweltfreundlich. Wir brauchen beispielsweise auch eine bessere Verbindung der Innenstadt mit dem Flughafen Schönefeld.
Sie als Umweltstaatssekretär sind also auch dann für Straßenbau, wenn die Schadstoffe weiter ansteigen?
Mit dem genannten werden wir selbst mit den Stickoxiden unter die Töpfer-Werte kommen.
Der Verkehr soll drastisch zunehmen und wird immer mehr Kohlendioxid produzieren.
Mit dem Berlin-Münchner Modell werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen. Da müssen viele, viele zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden.
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