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Vom Umgang mit Zündhölzern und Revolvern

200 Millionen Waffen für 250 Millionen EinwohnerInnen/ Ein Blick in die US-amerikanische Seele  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Meine Freundin Clarice meinte, es sei an der Zeit, etwas tiefer in die amerikanische Seele zu blicken. Ich hatte mich schon auf ein Footballspiel gefreut — oder eine zwölfstündige Einführung bei mexikanischem Bier und Tacos in die 54 Kabelkanäle. Statt dessen schleppte sie mich ins Museum der „National Rifle Association“ (NRA), dem Tempel der amerikanischen Schußwaffenbesitzer. „Gute Amerikaner sehen sich das mindestens einmal im Leben an“, behauptet sie. Sich selbst rechnet sie allerdings nicht dazu, denn Clarice kann die NRA etwa so gut leiden wie ein Fahrradkurier den ADAC. Wobei die NRA mindestens so mächtig ist und der deutschen Lobby der Autofahrer auch noch eines voraus hat: das Recht auf einen Revolver im Nachttisch oder das Gewehr in der Hand ist in der US-Verfassung festgeschrieben. Wer auch nur laut darüber nachdenkt, selbiges ein wenig einzuschränken, ist ein „Extremist“ oder mindestens „unamerikanisch“ und zieht sich den geballten Zorn der NRA und ihrer 2,8 Millionen Mitglieder zu.

Man kann amerikanischen Politikern in dieser Frage einen gewissen Heroismus nicht absprechen: Statt sich mit der NRA anzulegen, riskieren die meisten von ihnen eher, von gesetzestreuen Bürgern wie dem Reagan-Attentäter John Hinckley über den Haufen geschossen zu werden. Der hatte seinen Revolver völlig korrekt gegen Vorlage seines Führerscheins und etwas Bargeld erstanden. Das Problem sei ganz einfach, meint Clarice, daß die meisten Politiker selbst viel zu gerne schießen. Die Mitgliedsliste der NRA zieren zahlreiche Namen aus Senat und Repräsentantenhaus sowie George Bush. Nun hat die NRA außer ihren eingeschriebenen Mitgliedern einen beeindruckenden Kreis von Sympathisanten. In dem Land mit 250 Millionen Einwohnern lagern 200 Millionen Schußwaffen— die Bestände der US- Armee und diverser Großstadtgangs nicht mitgerechnet. Mindestens jeder zweite Haushalt ist neben Auto, Kühlschrank und Fernseher mit einer mehr oder weniger großen Kollektion an Gewehren und Revolvern ausgestattet — zum Schutz von Haus, Hund und Familie. „Ich als Hund würde sofort abhauen“, sagt Clarice. „Bevor du mit deiner Knarre auch nur einen einzigen Einbrecher zu Gesicht bekommst, ist es 43mal wahrscheinlicher, daß du dich selbst oder jemanden aus deiner Familie erschossen hast. Sagt die Statistik. Ab und an erwischt es eben das Haustier.“ Manchmal, wie gesagt, trifft es auch den stolzen Waffenbesitzer, wie die Tageszeitung 'Chicago Tribune‘ recherchiert hat. Einer ihrer Kolumnisten hatte ganz unamerikanisch seine Abneigung gegen Feuerwaffen kundgetan, indem er jährlich den dümmsten Schußwaffenbesitzer der Nation kürte. Unvergessen bleibt der Preisträger von 1984, der auf dem Nachttisch nicht nur das Telefon, sondern auch seinen geladenen Revolver plazierte. Als es eines Morgens klingelte, schoß er sich ins Ohr.

„Der Revolver im Schrank ist nicht gefährlicher als das Zündholz neben dem Herd, wenn man richtig damit umgeht.“ So spricht Clarice' Intimfeind, NRA-Cheflobbyist James Baker, nicht identisch mit dem US-Außenminister. Baker war höchst verärgert, weil die „American Medical Association“ völlig unamerikanisch herausfand, daß Schußwunden mittlerweile die zweithäufigste Todesursache unter amerikanischen Highschool-Kids sind.

Wer an echte Waffen nicht herankommt, der kauft sich den letzten Schrei des Sommers — eine „Super Soaker“-Wasserkanone. Ausgestattet mit neonfarbenen Wasserkanistern auf dem Rücken und einem Plastikmaschinengewehr in der Hand, spielen die Kleinen die letzten Szenen aus dem Terminator oder imitieren Gangfights. So wie jüngst in Boston und im New Yorker Stadtteil Harlem. Beide Male schoß einer, der nicht naß werden wollte, zurück — mit einer echten Kanone. In Boston wurde dabei ein Fünfzehnjähriger getötet, in Harlem zwei Männer verletzt.

„Die nächste Revolution“, sagt Clarice, „hat in diesem Land erst stattgefunden, wenn irgend jemand die Waffen wieder einsammelt.“ Was der Bürgermeister von Boston, wo sie mit Revolutionen Erfahrung haben, auch versucht. Er will jetzt die „Super Soakers“ verbieten.

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