„Wir reiten auf einer Sympathiewelle“

Die Motorradwerke Zschopau, die vor kurzem ihr 70jähriges Jubiläum feierten, setzen auf ihre Markentradition/ Doch auch nach der Treuhandentscheidung bleibt die Zukunft ungewiß  ■ Aus Zschopau Erwin Single

Den 30. Juni hat sich Wilhelm Schaaf in seinem Terminkalender dick angekreuzt. An diesem Tag läuft die Gnadenfrist ab, die der Liquidator der Berliner Treuhandanstalt dem sächsischen Motorradwerk Zschopau (MZ) zu Jahresbeginn eingeräumt hatte. Bei dem erfahrenen Abwickler, dem schon bei AEG und Coop die unrühmliche Rolle des Verwesers zugefallen war, liegt bereits ein neues Konzept in der Schublade. Eine Gruppe von Investoren, an der vor allem die ausländischen MZ- Händler beteiligt seien, so verkündete Schaaf am Freitag, habe die Fortführung der Motorradproduktion in dem Traditionsbetrieb zugesichert — mit noch 250 der derzeit rund 650 Mitarbeitern.

Daß die Lösung in der Belegschaft nicht gerade Begeisterung auslöste, versteht sich von selbst. Was die Treuhand mit dem Motarradwerk in der Enge des erzgebirgischen Zschopau-Talkessels anstellen wollte, konnten die Beschäftigten bereits vor einem Monat in ihrer Lokalzeitung nachlesen. Das Konzept, so hatte Thomas Hoppe, ein kooptierter Unternehmensberater die dortigen Redakteure wissen lassen, laufe auf eine Auffanggesellschaft hinaus, die auf jeden Fall Motorräder produzieren wolle. Wie die Pläne der neuen Gesellschafter im einzelnen aussehen, behielt Hoppe aber für sich.

„Das Wichtigste für uns ist ja“, sagt Eberhard Bredel, General Manager des Werkes, „daß es weitergeht.“ Der honorige Herr, der im mit alten Möbeln schlicht ausgestattete Erkerzimmer des Verwaltungsgebäudes residiert, hat sich offensichtlich ganz dem Motorradwerk verschrieben. „Wir haben immer an unsere Fähigkeiten geglaubt und Optimismus vermittelt“, erzählt Bredel, der 1987 von der Suhler Moped-Fabrik Simson nach Zschopau kam, „was wir jetzt brauchen, ist weniger das Geld, sondern innovative Produkte.“ Er setzt dabei auf umweltfreundlichere Motoren, aber auch auf die Zweitaktforschung, die derzeit weltweit einen neuen Boom erlebt. Geschäftsführer ist Bredel nicht mehr, seit die Treuhand den Motorradwerken ein schlichtes i.L. hinter dem Markennamen verpaßte — die Abkürzung für „in Liquidation“.

Geschäftsschädigend sei dieses Signet, kommt Bredel in Fahrt, und sein Vertriebsleiter Christian Steiner pflichtet ihm bei: Ein Betrieb in der Abwicklung — wer kauft da schon etwas?

Die leeren Werkshallen sind symptomatisch für die schlechte Absatzlage der MZ-Motorradbauer. Wo einmal 3.000 ArbeiterInnen an den Transportbändern standen, werden nur noch wenige Maschinen zusammengeschraubt; die Hälfte der Belegschaft muß mit Kurzarbeit Null ohnehin zu Hause bleiben. Vom Prüfstand rollt gerade eine Serie der neuen Classic-Modelle — sie sind für den Export nach England und Spanien bestimmt.

Mit drei neuen Modellreihen von 125 bis 500 Kubikzentimeter versuchen die MZler seit April, sich am eigenen Schopf aus der stillen Liquidation zu ziehen. Knapp 8.000 Maschinen konnten seither verkauft werden, berichtet Steiner, ursprünlich waren 12.000 im ersten Halbjahr geplant. Technik und Qualität der stark überarbeiteten und neu gestylten Flitzer, so die Motorradfachpresse einmütig, ließen nichts zu Wünschen übrig. Als den MZ-Motorradwerkern das Liquidationsschild um den Hals gehängt werden sollte, sandten die Motorradmagazine sogar Protestschreiben an die Treuhand. „So großen Zuspruch hätten wir gar nicht erwartet“, sagt der Verkaufschef, „wir reiten auf einer Sympathiewelle.“

Zu den MZ-Fans hat sich kürzlich auch der motorradführerscheinlose sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) gesellt. Zum Anlauf der neuen Modelle drehte er gar eine Runde auf dem Sozius des IG- Metall-Bevollmächtigten Ingolf Ohlsen — und das bei strömenden Regen. Der Landesherr versprach den Zschopauern zudem eine Millionenbürgschaft für ihr Motorradwerk — doch das Land Sachsen habe bislang nicht einmal seine Zusagen gegenüber der Treuhand eingehalten, sagt MZ-Betriebsratsvorsitzender André Hunger verbittert.

Dabei haben die Beschäftigten im ersten Halbjahr monatlich zehn Prozent von ihrem kärglichen Salär abgezwackt und so dem finanziell moroden Betrieb selbst fast eine Million als Darlehen verschafft. „Die Politik, die vom Staat gefahren wird“, meint Hunger nicht nur mit Blick nach Dresden, „ist eine Katastrophe für die Leute, die hier leben.“ Bereits die Hälfte der Zschopauer ist arbeitslos, auf Kurzarbeit Null gesetzt, oder in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Umschulungen untergekommen. Das Motorradwerk ist neben der ebenfalls von der Schließung bedrohten Kühlschrankfabrik DKK der einzige noch existierende Industriebetrieb in der gesamten Region Annaberg.

Doch der berechtigten Forderung nach Arbeitsplätzen steht die wirtschaftliche Lage des Betriebs gegenüber — und die ist mehr als mies. Rund 66 Millionen D-Mark an Verlusten haben sich allein im letzten Jahr aufsummiert, und die Treuhand mußte sich jeden Arbeitsplatz 45.000 D-Mark kosten lassen, rechnet der Treuhandabteilungsleiter Andreas Löhr vor. Zwar schauten Dutzende Konkurrenten zur Visite in Zschopau vorbei, ein Käufer ließ sich darunter jedoch nicht finden. Anders als Geschäftsleitung und Betriebrat schätzten die Berliner Manager auch die Marktchancen bei weitem nicht rosig ein. Alle Motorradproduzenten, die japanischen eingeschlossen, stecken angesichts sinkender Verkaufszahlen in der Klemme. Und ob sich die robusten MZ- Kräder etwa in Schwellenländer und nach Osteuropa exportieren lassen, hängt vom Preis ab.

Die Forderung der Treuhand, die Absatzfähigkeit der Produkte unter Beweiß zu stellen und die Kostensituation zu verbessern, haben die MZler ihrer Ansicht nach längst erfüllt. Die Belegschaft wurde drastisch reduziert, Betriebsteile, die nicht unmittelbar zur Motorradproduktion gehörten, dichtgemacht oder privatisiert, die Fertigungstiefe von einmal 75 Prozent auf inzwischen 45 Prozent gesenkt. Vor der Wende hatten die Zschopauer Motorradbauer Jahr für Jahr rund 80.000 MZs in alle Winkel der Welt geliefert — 1991 waren es gerade noch 800. Zu DDR- Zeiten kostete eine 250er Maschine rund 5.000 DDR-Mark, heute müssen für das Classic-Modell 4.370 D- Mark hingeblättert werden.

Auch im Handel mußte MZ ganz von vorne anfangen. Die Hauptkunden aus den osteuropäischen Staaten haben zwar Interesse, aber keine Devisen. Und im Westen kaufen die Motorradfans noch immer lieber Plastikflitzer aus Japan. Ob unter der neue Auffanggesellschaft das MZ- Geschäft wieder florieren wird, ist längst nicht sicher.

Vor allem BMW, so wird berichtet, wolle MZ am liebsten endgültig loswerden, denn mit den 500er MZ- Einsteigermodellen erwachse den Bayern ein gefährlicher Gegner. Baden-Württemberg und Sachsen haben bereits MZ-Kräder für ihre Polizei geordert — bislang eine ungebrochene BMW-Domäne. Die subventionierte Motorradproduktion in Zschopau, schrieb selbst die Geschäftsleitung, würde überlebensfähige Konkurrenten gefährden.

Als letzten Rettungsanker klammern sich die Zschopauer an ihre 70jährige Tradition. Der Gedanke, daß am Geburtsort der Marke DKW, die 1932 in der Auto-Union aufging, die Bänder für immer stillstehen könnten, will ihnen nicht in den Kopf. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Produktionsanlagen von den Sowjets restlos demontiert wurden, ging es irgendwie weiter — warum also sollten sie nicht zum drittem Mal in der Betriebsgeschichte den Neuanfang schaffen? fragen die Motorradwerker trotzig.