: Hysterie und Heldentum
Die Geschichte der internationalen Ökologiebewegung liest sich wie ein spannender Tatsachenroman: In 80 Tagen um eine ökologisch gefährdete Welt ■ VON BERND ULRICH
„Wenn wir den grünen Machern folgen, wohin werden sie uns führen?“ Diese Frage stellt sich Fred Pearce in seinem Buch über die Umweltverbände und grüne Einzelkämpfer. Und er ist ihnen gefolgt — Greenpeace, den Friends of the Earth, dem WWF. Von Amsterdam und London bis in die Regenwälder von Irian Jaya und in den Serengeti-Nationalpark, Pearce ist bis zum Schluß ein Sympathisant der internationalen Ökologiebewegung geblieben. Sein Resümee, gewollt positiv: „Die Grünen Krieger weisen uns jedenfalls den Weg.“ Dabei empfiehlt die Ökologen durchaus nicht immer zur Führerschaft, was der Autor an Lügen, Verfilzungen und Übertreibungen über sie herausgefunden hat.
Der Anfang von Greenpeace beispielsweise ist nach seiner Schilderung wenig rühmlich. Der Historiker und Mitgründer Robert Hunter schrieb über die Zusammensetzung des Greenpeace-Vorläufers „Don't- Make-A-Wave-Committee“, einer Initiative gegen Atomtests: „Vor Ort waren Straßenfreaks und Marxisten und Maoisten und Trotzkisten und Hippies und Mitglieder der Vancouver Liberation Front (...) Kriegsdienstverweigerer und Deserteure...“ Am nächsten Tag jedoch lügt er öffentlichkeitswirksam in einem Zeitungsbericht: „Wer sind wir? Zunächst eine Versammlung von ganz normalen, ehrbaren, anständig verdienenden und nicht total unwissenden, seriösen Bürgern. Ein paar Professoren sind dabei, ein paar Geistliche und Hausfrauen.“ Die Verwandlung von Roten in Grüne per Federstrich.
Auch mit der Sache ging man damals im Jahre 1969 nicht zimperlich um: Mit einem überirdischen Atomtest auf den Aleuten würde die Regierung das Risiko eingehen, „eine Kettenreaktion von Erdbeben und Flutwellen auszulösen, die die Westküste Nordamerikas wie niederprasselnde Karateschläge zerschmettern würden“, so die Aktivisten. Die ersten Aktionen unter der Greenpeace- Flagge gegen Walfänger garnierte PR-Spezialist Hunter mit einer frei erfundenen Geschichte über den Kampf zwischen einem Riesen-Tintenfisch und einem Pottwal, den Greenpeace bei einer in Wirklichkeit ergebnislos verlaufenen Schiffahrt beobachtet haben soll. Ob derlei Lügen wenigstens den Walen geholfen hat — auch das bezweifelt Pearce.
Etwas weniger integer als allgemein bekannt ist auch die Geschichte, die Pearce über den WWF, den Worldwide Life Fund for Nature, schreibt. Er verlor schon früh seine Unschuld, als er in Afrika in allzu enger Kooperation mit den dortigen Regierungen Nationalparks durchsetzte, die sich nicht selten gegen die UreinwohnerInnen richteten und mit touristischer Großwildjagd finanziert werden sollten. Sogar im Elfenbeinhandel soll der WWF seine Finger gehabt haben. Die an Korruption grenzende Zusammenarbeit mit oft diktatorischen Regimes in der Dritten Welt betrieb der WWF nach Darstellung von Pearce bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Dafür steht stellvertretend die Unterstützung der indonesischen Regierung bei ihrer ureinwohnerfeindlichen Umsiedlungspolitik in Irian Jaya.
Lügen, Übertreibungen und menschenunfreundlicher Naturschutz sind aber nicht die einzigen Kritikpunkte in Fred Pearce' Versuch einer umfassenden Historie der weltumspannenden Ökologiebewegung. Auch die Willkür, mit der globale Kampagnen zuweilen betrieben werden, erscheint in seinen Augen dubios. Aktuellstes Beispiel ist die Klimapolitik. Sie begann — wenn man Pearce glauben muß — mit einem Tischgespräch zwischen Rafe Pomerance, Lobbyist für das World Ressource Institute in Washington, und Michael Oppenheimer, Lobbyist des Environmental Defense Fund am Rande einer Konferenz. Die beiden wollten das Klima auf die internationale Tagesordnung setzen und stritten nur noch über das Wie. Oppenheimer: „Wir sollten eine Zielvorgabe anbieten. Um die Erwärmung durch den Treibhauseffekt anzuhalten, bräuchten wir eine Reduktion der Kohlendioxyd-Emissionen aus fossilen Brennstoffen um fünfzig Prozent. Diese Zahl ist wissenschaftlich glaubwürdig, also schlagen wir das doch vor.“ Darauf Pomerance: „Aber es hört sich zu hoch an. Die werden uns das nicht abkaufen. Wie wäre es mit zwanzig Prozent bis zum Jahr 2000 und dann fünfzig Prozent.“ Man wurde handelseinig und seither bestimmen diese Zahlen die Debatte.
Ohnehin verdankt sich laut Pearce die Klimakampagne weniger einer plötzlichen Verdichtung wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Treibhauseffekt als der Trockenperiode, die 1988 die USA heimsuchte, was unter PR-Gesichtspunkten nach der Treibhauskampagne förmlich lechzte. Interessanterweise findet sich zwischen der Pearceschen Darstellung der Entstehung der Klimakampagne und der des US-Präsidenten-Beraters, Lintzen, kaum eine Differenz — obwohl die Erkenntnisse des letzteren nicht unerheblich zur US-amerikanischen Blockadepolitik in Rio beigetragen haben.
Die geschilderten Fakten verleiten den Enthüller Pearce aber nicht dazu, die Geschichte der Ökologiebewegung insgesamt in ein schlechtes Licht zu rücken. Dazu hat sie zuviel geleistet. Insbesondere die Ökologen aus Drittweltländern sind für Pearce Hoffnungsträger. Tatsächlich gibt es keinen Grund, nach der Lektüre des Buches allzu erstaunt darüber zu sein, daß die Ökologen so sind wie andere Menschen auch. Dennoch wirft es Fragen für die Zukunft auf, die ein bißchen Glasnost bei den „Grünen Machern“ bewirken sollten.
Es fragt sich beispielsweise, ob Übertreibungen noch sinnvoll und gerechtfertigt sind. Schließlich sind die Ökologen nicht mehr in der Lage, in der sie international nur durch allerlautestes Schreien zwischen den tumben und tauben Blöcken überhaupt Gehör fanden. Was sich in den letzten Jahren allerdings noch verschärft hat, ist die Struktur der Weltöffentlichkeit, der zunehmend nurmehr die Sensation überhaupt zur Nachricht gereichen. Dramatische Apokalypsebilder machen sich da allemal besser als eine Apokalypse, die sich als nicht enden wollender Alltag darstellt. Dennoch bleibt die Frage nach dem Nutzen der Hysterie.
Genau in die umgekehrte Richtung, aber dennoch ergänzend, wirkt die Verfilzung von Ökologiebewegung und Staat in Europa. Die Arbeits- und Rollenverteilung zwischen Nicht-Regierungsorganisationen und Regierungen hat sich hier über weite Strecken aufgelöst. Der vormalige Widerspruch zwischen den Akteuren wird zur allgemeinen Schizophrenie zwischen Reden und Handeln. Die Regierung prüft die Propaganda der NGOs zuwenig, und die haben zuweilen nicht mehr genügend Distanz, um deren Tatenlosigkeit noch wirkungsvoll angreifen zu können. Gemeinsam droht man abzudriften in die Beliebigkeit des Allesbeschreibens und Nichtstuns. Pearce' Buch ist für die Grünen Macher selbst eine nützliche und hoffentlich rechtzeitige Provokation. Ansonsten liest es sich wie ein spannender Tatsachenroman: In 80 Tagen um eine ökologisch gefährdete Welt.
Fred Pearce: Die Grünen Macher. Rotbuch-Verlag, 394Seiten, 39,80DM.
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