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Bürgerhäuser, aber wie?

■ Eine „Substanzfrage“ / Die Kulturbehörde guckt ihnen kritisch auf die Finger

Gerd Schwandner (links): lieber Kooperation verschiedener Einrichtungen in Kulturläden als „überzogene Stadtteilorientierung“ und kränkelnde Bürgerhäuser

Sollen die seit Jahren defizitären Bürgerhäuser bleiben, was und wie sie sind? Ein Streitgespräch mit dem grünen Kultur-Staatsrat Gerd Schwandner und dem SPD- Deputierten Detmar Leo.

taz: Herr Schwandner, Ihrem Papier „Bremen 2000“ ist zu entnehmen, daß die Bremer Bürgerhäuser nicht Ihr Gefallen gefunden haben. Sie schlagen vor, daraus „Kulturhäuser“ zu machen und sie mit VHS und Stadtbibliotheken zusammenzulegen.

Gerd Schwandner: Das ist ein Arbeitspapier für die Expertenkommission „Bremen 2000“, also keine Position der Behörde! — Das Kulturressort ist jetzt für die Bürgerhäuser zuständig, und wir müssen die Bezuschussungspraxis prüfen. Das machen wir mit allen Institutionen, mit soziokulturellen Zentren wie mit dem Kunstverein, bei dem sind wir auch schon fündig geworden.

Herr Leo, Sie haben sich ohne kritische Bedingungen in der Kulurdeputation stark gemacht für die Bürgerhäuser, wie sie sind.

Detmar Leo: Eine Evaluierung ist völlig in Ordnung. Aber man wird hellhörig, wenn man liest, daß man für eine „Kulturstadt Bremen“ die Stadtteilkultur abspecken muß. Das ist eine Substanzfrage! Zugegeben, problematisch war: Der Verband der Bremer Bürgerhäuser wußte, daß 1,2 Millionen nötig waren an Zuschüssen und mutete den Deputierten eine Vorlage von nur 300.000 Mark zu, ohne zu sagen, daß die restlichen 900.000 auch noch kommen werden. Das war alarmierend.

Herr Schwandner, Sie schreiben von „überzogener Stadtteilorientierung“; also lieber kläglich ausgestattet und dafür nah. Riechen Ihnen die Bürgerhäuser zu sehr nach Makramee? Sollen Bürgerhäuser lieber Kultur machen statt Breitenarbeit?

Schwandner: Beides, mit unterschiedlichen Profilen in den acht Häusern. Es kann sinnvoll sein, Kräfte vor Ort zu bündeln, statt daß Kulturbüros, Kulturläden, VHS vor sich hin arbeiten. Die Weser scheint ja für viele unüberwindbar zu sein, und ich bin nicht bereit, bornierte Vorurteile zu akzetieren.

Leo: Eine wesentliche Basisinstitution ist doch das System der Bürgerhäuser. Das ist unsere sozialdemokratische Auffassung, daß diese soziokulturellen Einrichtungen schwergewichtig wie ein Netz über die Stadt gelegt werden, daß eine Emanzipation auch vor Ort mit der Mehrheit der Menschen stattfinden kann. Das geht nicht über die 'Hochkultur'.

Schwandner: Ich habe überhaupt nichts gegen Stadtteil-Kulturarbeit, aber das genügt nicht für ein kulturelles Profil der Stadt. Es ist absurd, das auszuspielen gegen

2 Männer,

der linke scharf

Hochkultur, und die ist dann bähbäh. Das ist das Mißverständnis zu unterstellen, daß „die Deppen“ in den Stadtteilen so eine Hochkultur nicht verstehen. Glücklicherweise gehen die Leute trotzdem in die Kunsthalle, weil sie Max Beckmann ganz toll finden, und wollen sich nicht nur in Bürgerhäusern und Kulturläden emanzipatorisch agitieren lassen.

Leo: Ich bin dagegen, zusätzliche Gelder in die Ausprofilierung Bremens zu stecken, anstatt zu fragen, wie kann ich vor Ort kulturelle Ereignisse an den Bürger heranbringen. Noch nach 10 Jahren schwärmen Leute, daß es gelungen ist, im Gustv-Heinemann- Bürgerhaus ein unheimlich kontroverses Literaturgespräch in den Stadtteil zu bringen. Oder der bundesweite Streit damals um das Denkmal des Deserteurs! Sie können nicht den Cafe Noir in den Bürgerhäusern von den Honorarkräften ausschenken lassen und so die Einnahmen erhöhen! Die Defizite von 600.000 Mark werden so nicht kompensiert.

Kommen denn die Mädchen und die Skins und vereinsamte Alte und Rechtsradikale und Nachbarinnen und Skatbrüder in die Bürgerhäuser? Müßte man nicht Pop- und Rockkonzerte organisieren und Gameboy-Turniere, wenn man überhaupt an Jugendliche ranwollte? Sind die Konzepte nicht furchtbar altbacken?

Leo: Ja, völlig neue Wege zu beschreiten, das müssen wir mit aller Macht probieren...

Schwandner: Dann man los.

Leo: Stadtteilgeschichte find ich überhaupt nicht altbacken...

Schwandner: Es gibt kein Naturgesetz, daß ein privater Träger — die Bürgerhäuser sind ja keine staatlichen Tarnorganisationen oder Filialen — daß die ihren

Haushaltsplan aufstellen und der Staat bezahlt das immer! Beim Goethetheater, das 100% in städtischer Hand ist, sagen wir auch: so viel Geld gibts, damit mußt Du auskommen, und sonst wird eben im Trainingsanzug gespielt!

Die Bürgerhäuser haben immer Wirtschaftspläne geschrieben, die bei weitem über dem Haushaltsansatz war. Dann gab es zum Teil eine Nachbewilligung, und der Schuldenberg wurde immer größer. Und es ist eine tolle Leistung von unserer Behörde und den Koalitions-Fraktionen, daß wir diese Entschuldung vornehmen!

Leo: Ihre Botschaft war: Ich weiß nicht, was Bürgerhäuser sind, ich will sparen! Wir müssen diesem Verband doch einen hohen, richtigen Zuschuß zubilligen!

Schwandner: Millionen jedes Jahr...

Leo: Fünf. Stellen Sie das in Vergleich zu anderen Einrichtungen! Wir haben da Fehler gemacht, ja. Aber bitte noch ein paar Zahlen: Für 1992 hatten die Bürgerhäuser 5,487 Mio. vorgesehen, sicher nicht überhöht, jetzt haben Sie gekürzt auf 4,831 Mio...

Schwandner: Wir nicht: das Altressort, sozialdemokratisch geführt.

Leo: Das sind rund 13% weniger in '93 auf einen Schlag! Das müssen wir politisch entscheiden und nicht mit dem Rasenmäher.

Schwandner: Mit Haushaltswahrheit und —klarheit hatte das alles nichts zu tun. Die Institutionen müssen die Eckwerte bekommen, damit sie ihre Arbeit machen können. Wir akzeptieren aber nicht jede Arbeit. Thema Ernst-Waldau-Theater: Die kriegen ihren Wert von 1,5 Mio. für 1993 nur, wenn das Konzept stimmt und die Seriosität der Wirtschaftslage nachgewiesen ist. Das machen wir auch bei den Bürgerhäusern - und beim Goethetheater!

Leo: Diese Altlasten muß man dem früheren Ressort auch anlasten, ausdrücklich. Ich glaube aber: Wir werden bei der Prüfung kein Geld und keine großen Sparmöglichkeiten finden.

Stichwort Prüfung: Welche Rolle spielt der Publikums-Zuspruch? Wie sieht die Frequenz pro 1000 Mark Zuschuß aus im Vergleich zur Kunsthalle?

Schwandner: Kulturaufgabe ist es, auch für Teilgruppen ein hochspezifisches Angebot vorzuhalten, das alle anderen für furchtbar halten, zum Beispiel Neue Musik. Massenakzeptanz allein ist kein Kriterium. Aber: Ob für einen Stadtteil das Angebot stimmt, und ob man mit anderen Einrichtungen was bündeln muß. Natürlich muß auch die Organisationstruktur auf Effizienz durchleuchtet werden.

Betriebskosten sind ja quantifizierbar. Es kann aber doch nicht egal sein, ob jemand zu den Veranstaltungen auch hingeht!

Schwandner: Man muß eine qualitative Analyse machen. Zu den Fischerchören kommen mehr Leute, und da singen auch mehr Leute, aber das sollte nicht von uns gefördert werden.

Leo: Wenn Bürgerhäuser mehr Einnahmen machen müssen, werden sie kommerzialisiert. Das ist politisch mit uns nicht drin!

Schwandner: Als ob wir für den Kommerz wären, so ein Quatsch. Die Kulturbehörde, egal, ob ihr ein Sozialdemokrat vorsitzt oder eine Grüne, ist nicht die Kommerzabteilung der Unterhaltungsindustrie. Sondern eine Versorgung mit Instituationen, die sich eben nicht tragen.

Wir haben viel von Kultur geredet. Sie sind auch Staatsrat für Ausländerintegration. Hat das nicht auch was mit Bürgerhäusern zu tun?

Schwandner: Doch, nur tue ich nicht die Ausländer in die eine Abteilung und die Nicht-Ausländer in die andere. In der Kulturpolitik sollen sich viele wiederfinden. Natürlich muß man auch mal im Bürgerhaus Veranstaltungen machen für türkische, ghanaesische oder süddeutsche oder bremische Mitbürger. Aber deshalb ist umgekehrt das Neue Museum Weserburg keine ausländerfeindliche Institution ...

Wie ist der Zeitrahmen für Prüfungen und Konsequenzen?

Leo: Wir wollen im Herbst in der Deputation eine Bewertung der Senatorin vorliegen haben und hoffen, daß dann alle Bürgerhäuser hoffnungsvoll ins Jahr 1993 gehen können.

Schwandner: Ich hoffe, daß sie hoffnungsvoll ins Jahr 94 gehen, denn der Haushalt 92/93 wird im August verabschiedet. Fragen: S.P.

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