: Yachthäfen für die Armenhäuser Europas
Ist die Ausweitung der EG-Strukturfonds angesichts der bisherigen Praxis sinnvoll?/ Milliarden für Prestigeprojekte statt sinnvoller Entwicklungshilfe für Europas arme Ränder/ „Strukturhilfen“ auch fürs reiche Baden-Württemberg ■ Aus Brüssel Harald Berger
Die Mittel für die Strukturfonds der EG zugunsten der „armen Regionen und wirtschaftlich benachteiligten Bereiche“ sollen erneut aufgestockt werden. Bereits 1988 hatten die Regierungen Spaniens, Griechenlands, Portugals und Griechenlands eine Verdoppelung der innergemeinschaftlichen Entwicklungshilfe durchgesetzt. Wegen mangelhafter Resultate und um den „Habenichtsen der EG“ die angestrebte Europäische Union schmackhaft zu machen, einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EG letzten Dezember in Maastricht darauf, die Strukturfondsmittel ein weiteres Mal anzuheben und einen speziellen „Kohäsionsfonds“ einzurichten. Dessen Ziel, die sehr unterschiedlichen Konkurrenzbedingungen in der EG anzugleichen, wurde von den EG- Chefs am Wochenende in Lissabon ein weiteres Mal bestätigt. In der Regel ausgeblendet wird beim Tauziehen um die Milliarden allerdings die Frage, ob eine Ausweitung der EG- Strukturfonds angesichts der bisherigen Praxis überhaupt Sinn macht.
Der flämische Europaabgeordnete Jaak Vandemeulebroucke nennt Beispiele: Die spanische Provinz Andalusien verbutterte vier Fünftel ihrer EG-Zuschüsse für die Weltausstellung in Sevilla, nach Meinung des Vorsitzenden des Regionalausschusses im Europaparlament (EP) nicht gerade eine Investition zum Nutzen der Bevölkerungsmehrheit — meist bettelarme Landarbeiter. Die kaum reichere Provinz Valencia baute mit EG-Mitteln einen Hafen für Luxus- Yachten.
Aber auch die wohlhabenden Provinzen im Norden EG-Europas, von denen, wie der Flame meint, die meisten eigentlich keinen Grund hätten, in den Regionalhilfetopf zu greifen, finanzieren mit EG-Geldern oft genug nur das, was sowieso geplant ist, statt ihren wirtschaftlich zurückgebliebenen Regionen zusätzliche Hilfestellung zu leisten. Im pfeffersäckereichen Flandern ließ sich das Arbeitsamt beispielsweise das gesamte Umschulungsprogramm für Langzeitarbeitslose aus der EG-Kasse bezahlen.
Ohnehin sind die Zentralbürokratien wesentlich im Vorteil beim Zugriff auf den Euro-Kuchen: Für den Antrag auf EG-Finanzierung für ein „Regionalprojekt“ sind im Schnitt 350 verschiedene Formulare richtig auszufüllen und über die richtigen Wege rechtzeitig den richtigen Instanzen zu übermitteln. Ein hoffnungsloses Unterfangen für viele Basis-Initiativen und offizielle Stellen an der Peripherie. Nach der Definition sind diese die eigentlichen Adressaten des EG-Geldes; meist fehlt ihnen jedoch die nötige Infrastruktur, um überhaupt Anträge stellen zu können. „Letztlich entscheiden dann in der Regel die Zentralregierungen, wie die EG-Hilfe ausgegeben wird“, kritisiert Vandemeulebroucke. „Dies läuft oft genug darauf hinaus, daß damit lediglich Löcher im Haushalt gestopft werden“.
Der allergrößte Teil des „Regionalfonds“ und erhebliche Anteile der übrigen Strukturfonds (Sozial- und Agrarfonds) sind zwar für die benachteiligten EG-Regionen in den Mittelmeerländern, in Irland, im nord- und westlichen Großbritannien und in den fünf neuen Bundesländern bestimmt. Doch gerade die EG-Wohlstandsstaaten mit ihren effizienteren Verwaltungen verstehen es am besten, ihre Anspruchsgesellschaften haushaltswirksam zu vertreten. In Brüssel sind so inzwischen sämtliche Bundesländer mit eigenen „Verbindungsbüros“ präsent — manche prunkvoller als die meisten EG-Botschaften der Mitgliedsstaaten. Es lohnt sich offensichtlich: Gerade schickte das Informationsbüro des wahrlich nicht notleidenden Landes Baden-Württemberg die frohe Botschaft an alle deutschen Korrespondenten, daß man aus einem EG- Fonds runde 160.000 D-Mark Zuschuß für die Renovierung des Münsters und vier mittelalterliche Stadttore und Türme in Breisach am Rhein organisieren konnte.
Für ihre Strukturfonds setzt die EG gegenwärtig schon ein Drittel ihres Haushalts ein. Wenn es nach dem Willen von EG-Kommissionspräsident Jacques Delors geht, sollen die Mittel bis Ende des Jahrtausends ein weiteres Mal — von gegenwärtig rund 37 Milliarden DM auf über 60 Milliarden jährlich — verdoppelt werden. Seit den Anfängen — dem Sozialfonds, mit dem in den 60er Jahren die Umstellung von Kohle und Stahl in der industriellen Kernregion der EG finanziert wurde, und den frühen Direkthilfen der Ur-EG mit damals noch sechs Mitgliedern für den Süden Italiens, aus denen 1975 der EG-Regionalfonds wurde — sind die EG-Strukturhilfen überproportional gewachsen. Eine „regionalpolitische“ Wirkung ist dennoch nicht zu messen. Bei der jüngsten Beurteilung des Tätigkeitsberichts der EG- Kommission kam der Regionalausschuß des Europaparlaments zu „deprimierenden“ Schlußfolgerungen: „Trotz der großen Anstrengungen der Gemeinschaft hinsichtlich der Strukturförderung bestehen die Unterschiede im allgemeinen noch immer und sind in einzelnen Bereichen sogar größer geworden.“ Die Kluft zwischen den „ärmsten“ und den „reichsten“ Regionen habe, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, vor allem in den 80er Jahren noch zugenommen.
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