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El Salvadors Guerilla gibt die Waffen ab

Zähe Verhandlungen mit der Regierung/ Probleme der Comandantes mit gewieften Politikern/ Schwierige Anpassung an das Leben im Frieden/ FMLN-Führung unter dem Druck der Basis/ Alphabetisierungskampagnen für die KämpferInnen  ■ Aus San Salvador R. Leonhard

Sie winken fröhlich und sind albern wie übermütige Jugendliche auf einem Schulausflug. Unter dem Geleit der Beobachtermission der Vereinten Nationen für El Salvador (ONUSAL) verlassen die FMLN- Guerilleros auf offenen Lastautos die Front auf den Hängen des San-Salvador-Vulkans am Rande der Hauptstadt, von wo sie über ein Jahrzehnt lang ihre Attacken gegen die Metropole unternommen haben.

Ihre Verlegung in die Sammelzone am Guazapa-Vulkan hatte am 25. Juni ein Kapitel in der Geschichte des salvadorianischen Friedensprozesses beendet. Gleichzeitig wurde ein neues aufgeschlagen: Mit zweimonatiger Verspätung sind jetzt alle etwa 7.000 Kämpfer in 15 Zonen konzentriert. Seit gestern legen die ersten 1.600 die Waffen ab, um im zivilen Leben nach neuen Aufgaben zu suchen. Damit ist auch das letzte Hindernis beseitigt, damit die Befreiungsfront Farabundo Marti spätestens am 10. Juli als legale Kraft anerkannt wird und sich beim obersten Wahlausschuß offiziell einschreiben kann. So sieht es der neue Zeitplan vor, auf den sich FMLN und Regierung am 13. Juni einigen konnten. Präsident Cristiani mußte sich damals verpflichten, gegen ein von seiner Partei durchgedrücktes Gesetz sein Veto einzulegen, das den Fortbestand der Nationalgarde und der Finanzpolizei garantiert; außerdem hat er sich darauf festgelegt, diese für ihre Brutalität und Folterpraktiken bekannten Sicherheitskräfte endgültig aufzulösen.

Seit am 1. Februar ein provisorischer Waffenstillstand den über elf Jahre währenden Bürgerkrieg beendete, ist zwischen den Konfliktparteien kein Schuß mehr gewechselt worden. Doch die Guerilleros müssen jetzt nach und nach lernen, daß das Leben im Frieden sehr viel schwieriger ist und komplexere Entscheidungen erfordert als die Dynamik des Krieges. An den ehemaligen Fronten haben die mittleren Kader noch Probleme, den wenig demokratischen Zentralismus aus der Kriegszeit abzulegen. „Mir haben sie gesagt, ich dürfe keine christliche Basisgemeinde organisieren, solange von der Comandancia keine entsprechende Erlaubnis vorliegt“, mokiert sich der 53jährige Pedro, dessen Basisgruppe in der Ortschaft Cinquera vor zwölf Jahren Keimzelle für den bewaffneten Widerstand war.

Die FMLN-Führung steht unter dem Druck ihrer Basis, die eine baldige Lösung ihrer wirtschaftlichen Probleme durch Zuteilung von Land und Bereitstellung von Lebensmitteln, Saatgut und Werkzeug erwartet. „Sie haben sich bei den Friedensverhandlungen sehr gut behauptet, aber beim Feilschen um die Details sind sie noch unterlegen“, meint Mario Aguinada, der Chef der linken UDN. „Es sind immer noch Guerilleros, die da jetzt mit Schlips herumlaufen.“ Die Comandantes, denen die traditionellen Politiker viele Jahre Erfahrung im politischen Alltag voraus haben, tappen immer wieder in schlau gelegte und teilweise sogar selbst gestellte Fallen. Als vor einigen Wochen Vladimir Flores, der Leibwächter eines hohen FMLN-Kommandanten, bei einem Zwischenfall, noch dazu mit seiner eigenen Waffe, angeschossen und schwer verletzt wurde, schlug die FMLN Alarm. Das Oberkommando sprach vom „Beginn einer Liquidierungskampagne“ und beschuldigte Vizeverteidigungsminister General Zepeda. Aus Protest zog sich die FMLN-Delegation aus der Kommission für die Konsolidierung des Friedens (COPAZ) zurück.

COPAZ, die seit Beginn des Waffenstillstands am 1. Februar regelmäßig zusammentritt, diskutiert alle wichtigen Schritte im Friedensprozeß, bevor sich die staatlichen Instanzen einschalten. Sie ist somit das wichtigste Gremium, in dem die FMLN Sitz und Stimme hat. Als eine von Präsident Cristiani in Auftrag gegebene Untersuchung des Falles zweifelsfrei nachwies, daß die Armee nichts mit der Schießerei zu tun hatte, mußten sich die Comandantes bei General Zepeda entschuldigen und kehrten reumütig in die Sitzungen zurück.

In der Zwischenzeit hatte aber die Regierung als Kandidaten für den Posten des Polizeipräsidenten in der Kommission ihren Mann durchgedrückt: Benjamin Cestoni, der als Präsident der staatlichen Menschenrechtskommission für die Vertuschung zahlloser Verbrechen mitverantwortlich ist. Die Stimmung war damals ohnehin auf einem Tiefpunkt, da beide Seiten einander vorwarfen, den Friedensvertrag nicht zu erfüllen. Erst bilaterale Gespräche mit Cristiani, die auf Druck der um den Friedensprozeß besorgten Vereinten Nationen zustande kamen, konnten die Lage entspannen.

Diese Verhandlungen mündeten in das Abkommen vom 13. Juni, in dem sich beide Partner zum ursprünglichen Zeitplan bekennen und sich verpflichten, die versäumten Schritte — die Auflösung der Sicherheitskräfte, die Legalisierung der FMLN beziehungsweise die Konzentration aller Truppen und den Beginn der Entwaffnung — in den folgenden Wochen nachzuholen. Der Kalender sieht die schrittweise Entwaffnung der FMLN und die Säuberung der Armee bis 31. Oktober vor. Die von US-Beratern trainierten Elitebataillone, die für mehrere Massaker verantwortlich sind, müssen bis Jahresende aufgelöst werden.

Auch die von den USA bereitgestellten Gelder für die Alphabetisierung der Guerilleros in den Lagern, die über die Universität kanalisiert werden sollten, vom Planungsministerium aber wochenlang zurückgehalten wurden, konnten schließlich losgeeist werden. Allerdings mußte der Rektor erst bei US-Außenminister Baker intervenieren. Vorerst nicht zur Kooperation bereit ist der Unternehmerverband ANEP, der das Wirtschafts- und Sozialforum boykottiert, wo mit Regierung und Gewerkschaften eine Art Grundkonsens für die Wirtschafts- und Lohnpolitik der nächsten Jahre ausgehandelt werden sollte. Vorwand ist eine Serie von Landbesetzungen durch FMLN-nahe Bauernorganisationen. „Es geht ihnen nicht um das Land, sondern ums Prinzip“, glaubt Alexander Segovia vom christdemokratischen Forschungszentrum CENITEC. Er glaubt allerdings, daß die liberaleren Unternehmer, denen es in erster Linie ums Geschäft geht, die Oberhand gewinnen werden.

Die traditionelle Oligarchie bezieht ihr Vermögen längst nicht mehr aus dem Grundeigentum, sondern aus internationalen Transaktionen. Als die Arbeiter der Schuhfabrik ADOC im März in den Streik traten, sperrte der Unternehmer kurzerhand den Betrieb zu. „Vor 14 Jahren ließ er noch die Gewerkschaftsführer ermorden, jetzt kann er sich subtilere Methoden leisten, denn die Fabrik in San Salvador ist inzwischen eine Zweigstelle des Unternehmens in Costa Rica“, erklärt Hector Dada Hirezi, der Vertreter einer Forschungsstiftung. „Die Linke hat diese Veränderungen in unserer Gesellschaft bis vor wenigen Monaten überhaupt nicht wahrgenommen“, meint Alexander Segovia. „Sie denkt noch immer in den alten Schemata.“ Allerdings sorgen auch die Regierungskräfte immer wieder dafür, daß das traditionelle Feindbild nicht verlorengeht. So prügelte die Polizei letzten Freitag bei einem Einsatz gegen streikende Staatsangestellte einige Demonstranten krankenhausreif und nahm die wichtigsten Streikführer fest.

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