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Aufschwung Ost läßt auf sich warten

Zwei Jahre nach der Währungsunion: Die Industrieproduktion sinkt weiter, die Arbeitslosigkeit steigt/ Investitionskapital und weltmarktfähige Produkte fehlen/ Eigentumsregelung als Hemmnis  ■ Von Donata Riedel

Ausgerechnet zum Tag der Währungsunion sollte der Kündigungsschutz für die Beschäftigten in Treuhandbetrieben auslaufen. Doch als das Wort vom „Großflugtag“ die Runde machte, wurden — gültig für ein halbes Jahr — Übergangsregelungen geschaffen. Das war 1991. Heute, pünktlich zum zweiten Jahrestag der Währungsunion, verlieren 150.000 Beschäftigte ihre Arbeitsplätze in Treuhandbetrieben.

Skrupel wegen des Datums hat niemand — wie auch niemand mehr auf die Idee käme, das Jubiläum der D-Mark-Einführung in der damals Noch-DDR zu feiern. Weil die DDR-Mark real bestenfalls ein Drittel soviel wert gewesen ist wie ihre westdeutsche Schwester, wurden die ostdeutschen Produkte über Nacht dreimal so teuer wie zuvor. Die DDR verlor mit Einführung der D-Mark die Absatzmärkte für ihre Waren (s. auch taz 27.Juni 1992).

Zwei Jahre danach ist der deutsche Osten lediglich im ganz wörtlichen Sinne eine blühende Landschaft, in der die Industrie nurmehr wenig stört. Der Aufschwung Ost hat bisher nicht stattgefunden, im Gegenteil: Im ersten Quartal dieses Jahres ging das Bruttoinlandsprodukt Ostdeutschlands gegenüber dem gleichen Vorjahresquartal um zwei Prozent zurück. Zwar wuchsen der Dienstleistungsbereich und die Baubranche, in der Industrie jedoch ist die Produktion weiter rückläufig.

Die Initiativen „Eßt mehr Ost“ aus dem vergangenen Jahr haben lediglich im Lebensmittelbereich ein wenig gefruchtet. Ansonsten liegt in den Regalen der Warenhäuser Ost wie West fast ausschließlich Westware. Auch die BürgerInnen der neuen Bundesländer „lassen sich nicht mit Produkten zweiter Klasse abspeisen“, begründet der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels die vergebliche Suche nach Ost- Produkten in den Läden der vereinten Bundesrepublik. Ob Möbel, Fernseher, Schuhe oder Kleidung: Ostprodukte seien „bieder und zu steif“, „provinziell“ oder „noch nicht auf der Höhe des Zeitgeschmacks“, urteilten die Einzelhandelsverbände. Sie könnten schließlich nicht „aus Mitleid und Solidarität die Lager mit schwerverkäuflicher Ware vollstopfen“. Lediglich Computer-Verkäufer sehen für Software aus den neuen Bundesländern „gute Absatzchancen“.

Seit der Währungsunion liegt der Anteil ostdeutscher Waren an den Importen Westdeutschlands bei zwei Prozent — Tendenz rückläufig: Im ersten Quartal 1992 lieferten die neuen Bundesländer nur noch Waren für 3,5 Milliarden Mark in die Altländer. In den beiden vorausgegangenen Quartalen hatte der Wert dieser Lieferungen noch vier Milliarden Mark betragen.

Nach Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist seit der Währungsunion nicht nur der Handel mit den osteuropäischen Ländern zusammengebrochen; auch der Export in die westlichen Industrieländer, außer in die EG-Staaten, ging zurück.

Die Entwicklung wäre noch dramatischer verlaufen, gäbe es für die Exporte in die GUS-Länder nicht die Hermes-Bürgschaften, eine Export- Versicherung des Bundes, die immer dann einspringt, wenn ausländische Kunden die gelieferte Ware nicht bezahlen. Den Hermes-Empfängern (Maschinenbau, Chemie-Industrie, Eisenbahn-Waggonbau) werfen die DIW-Forscher vor, sich zu sehr auf Hermes zu verlassen. Noch würden Ersatzteile für früher gelieferte Ausrüstungen oder Investitionsgüter für die schwierigen klimatischen Verhältnisse Sibiriens in der GUS gebraucht. Über kurz oder lang dürften jedoch auch Westfirmen auf den GUS-Markt drängen.

Wenn es der ostdeutschen Industrie bis dahin nicht gelungen sei, weltmarktfähige Produkte zu entwickeln, wären die Bürgschaften „nichts anderes als staatliche Beschäftigungsmaßnahmen gewesen, mit denen lediglich bestehende Strukturen konserviert würden“, so das DIW. Noch 1991 sei mit den zwölf Milliarden Mark Hermes- Deckung auch der Export von Waren wie Zierporzellan, Dekorpapier oder 30 Millionen Meter Reißverschlüssen subventioniert worden.

Zur Modernisierung der Ost-Industrie fehlt Investitionskapital an allen Ecken und Enden. Zwar haben sich laut dem Bundesbank-Monatsbericht vom Juni westliche Unternehmer zu Investitionen von 135 Milliarden Mark in die privatisierten Treuhandbetriebe verpflichtet. Bisher jedoch wird pro Kopf der Bevölkerung im Westen weiterhin mehr investiert als im Osten — trotz der Möglichkeit, aus den diversen Töpfen des Bundes und der EG Investitionen bis zu zwei Dritteln finanziert zu bekommen.

Als größtes Hemmnis gilt inzwischen das Eigentumsrecht an Boden und Immobilien, wie es auf Drängen der FDP im Einigungsvertrag festgeschrieben wurde: „Rückgabe vor Entschädigung“.

Die Rechte der vormals Besitzenden und ihrer ErbInnen lassen sich jedoch nicht so ohne weiteres feststellen. Die Folge: Um fast jedes Grundstück und Haus in Ostdeutschland wird erbittert prozessiert. In einem sächsischen Kreisamt rechneten laut 'Spiegel‘ die Bediensteten per Computer hoch, wie lange sie für die Bearbeitung ihrer 10.000 vorliegenden Anträge brauchen würden: bis zum Jahr 2075. Die halbherzige Korrektur des Bundestages namens „Hemmnisbeseitigungsgesetz“, die den Grundsatz „Vorfahrt für Investitionen“ ins deutsche Vereinigungsrecht einfügt, sorgte für noch mehr Verwirrung. „Machen Sie bloß klare, einfache Gesetze“, empfiehlt daher Treuhandchefin Birgit Breuel jedem Gesprächspartner aus Osteuropa.

Mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit rechnet unter den gegebenen Bedingungen vorerst kaum ein Wirtschaftsexperte. „Frühestens in der zweiten Hälfte 1993“, schreiben die DIW-Wissenschaftler, könnte es zu einem deutlichen Abbau der Arbeitslosenzahlen kommen — ein schwacher Trost für die 150.000 heute Entlassenen. Bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen stoßen sie auf 3,5 Millionen KonkurrentInnen, die arbeitslos, auf Kurzarbeit, in Weiterbildung oder anderen Warteschleifen auf bessere Zeiten warten. Von den 9,5 Millionen Arbeitsplätzen des Jahres 1989 sind zwei Jahre nach der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gerade mal noch 60 Prozent vorhanden.

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