DURCHS DRÖHNLAND: Vom Traktor in den Leichenwagen
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Eine ganze Zeitlang waren die baskischen Combos berühmt oder berüchtigt dafür, daß sie den hauptsächlich von The Clash geprägten Polit- Punk einfach immer weiter spielten, als sei nichts gewesen. Einzige stilistische Weiterentwicklung dabei war die Symbiose mit Reggae. Erst in den letzten Jahren öffneten sich die Bands aus Euskadi den aktuellen Entwicklungen im Hardcore. Das heißt mehr Geschwindigkeit, mehr Härte, Rhythmuswechsel und Breaks störten jetzt die retrospektiv gefärbte Sicht auf die Dinge. Auch Soziedad Alkoholika versuchen ihr Bestes, auf der Höhe der Zeit zu sein. Noch ein gutes Stück von metallischer Schwerstarbeit entfernt, adaptieren sie vor allem die Hardcore-Elemente des Crossover — ihr Trash Metal hat eine spielerische Leichtigkeit. Als würde Marlies Göhr die Tartanbahn mit Trommeln vertauschen. Der Gesang mag zu gewollt mörderisch klingen, Humor haben sie doch. So covern sie Queens »Another One Bites The Dust«, aber ihre Version erinnert verteufelt an Clashs »This Is Radio Clash«, und da könnte man jetzt anfangen zu spekulieren, wer von wem geklaut hat, ob das so gemeint ist, ob es vielleicht sogar derselbe Song ist oder was sie uns damit sagen wollen. Als Vorgruppe spielen noch die Kreuzberger Chilli Confetti, die sich seit zwei, drei Jahren alle erdenkliche Mühe geben, endlich Hardcore zu spielen, und doch irgendwie immer noch nach Punk klingen.
Am 3.7. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str.157, Schöneberg
Gleich am nächsten Tag kann man sich dann die andere Seite der Medaille antun. An zwei Tagen findet im Huxley's das »Musical Destruction Festival« statt. Allerdings verdient hauptsächlich der erste Abend den Namen, denn dann steht Death Metal auf dem Programm. Headlinder sind Napalm Death, bekanntermaßen neben der Band Death profilierteste Vertreter des Genres und Namensgeber. Dadurch daß bei Death der einzige konstante Faktor Chuck Schuldiner war und die Besetzungswechsel bei Napalm Death noch viel häufiger stattfanden, können sich heutzutage schätzungsweise zwei von drei Death- Metal-Bands rühmen, Ex-Mitglieder dieser richtungweisenden Kapellen in ihren Reihen zu haben. Napalm Death schafften es noch nicht einmal, ihre Debüt-LP mit einer festen Besetzung einzuspielen, und inzwischen ist schon lange kein Gründungsmitglied mehr in der Band vorhanden. Der Sound von Napalm Death wechselte denn auch mitunter recht munter, um so witziger, daß der Erfolg gleichbleibend blieb. Inzwischen hört sich die 1980 in Birmingham gegründete Band recht hausbacken an, was ja auch kein Wunder ist, sind sie doch für die galoppierende Entwicklung im Gewerbe fast schon Opas. Sie prügeln sich von stumpf bis herzattackenverdächtig ohne große Sperenzchen. Abgesicherte Knüppel- Oberliga. Dort kicken auch schon die ungleich jüngeren Obituary, die aber, obwohl ihre erste Platte erst 1989 erschien, schon längst zu den alten Hasen gehören. Hervorstechendstes Merkmal bei Obituary ist vor allem Sänger John Tardy, dessen Stimmbänder sich gar wundervoll zur Vertonung einschlägiger Blutphantasien eignen würden. Das ist es zwar, was alle Death-Sänger anstreben, aber Tardy ist mit einem Plumpskloorgan gesegnet, das seinesgleichen sucht. Mein Wunschkandidat als Nachrichtensprecher. Dagegen sind Dismember ganz liebe Jungens. Sie kommen aus Schweden, wo es nach England die rührigste Death-Szene Europas gibt, auch wenn sämtliche Musiker dieses weiten Landes schon mal in sämtlichen Kapellen dieses weiten Landes gespielt haben. Definitiv das Paket zum endgültig abgewöhnen.
Der zweite Tag des Festivals ist da wesentlich besser verdaulich, auch wenn die sonntäglichen Bands nicht allzuviel verbindet. Immerhin eines: Sie nehmen sich alle selbst nicht allzu ernst. Carter The Unstoppable Sexmachine deuten das schon im Namen an und retten mit ihrer scheinbar undenkbaren Mischung aus technokratischen Beats aus der Maschine, dumpfen Punkgitarren und gnadenlos zynischen Texten momentan die englische Popmusik, die ansonsten immer noch nicht den Abgang der Smiths verkraftet hat. Carter dagegen sind eher so wie »Spitting Image«: extrem dämlich und extrem genial, so englisch, wie eben nur Engländer sein können. Mucky Pup sind auch ziemliche Kindsköpfe und stecken ansonsten locker Fath No More in die Tasche. Ihr funkiger Hardrock schreckt vor nichts zurück, nicht einmal vor sülzigen Balladen oder »Oh Oh Oh Yeah Yeah«-Refrains. Durchaus auf dem Weg zu gutgefüllten Open-air-Festivals. Das kann den Cosmic Psychos nie passieren, dazu ist ihr Humor viel zu unverständlich. So unverständlich, daß ihn nicht einmal die Band kapiert, jedenfalls nicht richtig. Die Australier halten sich für eine richtige, ehrliche Rock'n'Roll- Band, dabei sind sie doch nur die Karikatur einer solchen, was auch besser ist. Bei ihnen kommt es schon mal vor, daß der Sänger nicht mit auf Tournee kommt, weil diese ungünstigerweise in die Erntezeit fällt, und man hat ja schließlich eine Farm zu versorgen. Runter vom Traktor, sind die Psychos aber wirklich ein Erlebnis. Wenn die Ramones ein schöner alter Leichenwagen sind, sind die Psychos ein 25-Tonnen-Laster mit Fuchsschwänzen. Ihr Bubblegum-Punk ist so behäbig, wie er nur von Menschen gespielt werden kann, die eine Gitarre genauso behandeln wie eine Forke. Wer das alles immer noch nicht komisch findet, kann dann vielleicht bei Throw That Beat In The Garbagecan lachen. Diese Nürnberger Laien spielen einen recht durchschnittlichen Sixties-Pop, dem man die vollständige Byrds-Plattensammlung anhört. Doch die herausragende Qualität macht Sänger Klausi aus, der schon des öfteren auch solo in der Stadt weilte. Seine beständigen Kämpfe mit den Effektpedalen und Verstärkerkabeln sind das Beste, was leider nicht auf den Kabarettbühnen stattfindet. Wenn der Klausi seine dicke Hornbrille zurechtrückt und einen vom Dorf erzählt, bleibt kein Auge trocken, und die Frauenherzen fliegen dem charmanten Winzling kübelweise zu. Höhepunkt eines Throw-That-Beat-Konzertes ist der Rockersprung vom Schlagzeugplateau, der auf der Nase endet.
Obituary, Napalm Death und Dismember am 4.7., Carter the Unstoppable Sexmachine, Cosmic Psychos und Throw That Beat In The Garbagecan am 5.7., jeweils 20 Uhr im Huxley's, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Am Sonntag vor St.Joseph's Day findet in New Orleans der musikalische Wettstreit der Stämme der Mardi Gras Indians statt. Diese Stämme entstanden durch eine Verschmelzung der Kulturen westafrikanischer Sklaven und der im Mississippi-Delta lebenden Indianer. Beide Kulturen waren sich spirituell und rhythmisch nicht unähnlich, entflohene Sklaven wurden von Indianern aufgenommen. Im Laufe der Jahrhunderte erhielten sich sogenannte Stämme als eine Art Riesenmusikkommune. Zum Mardi Gras, dem Karneval in New Orleans, schmeißen sich die Farbigen in wild geschmückte Phantasie-Indianerkostüme und ziehen durch die Stadt. Im Jahre 1991 kam es zu einem »Super Sunday Showdown«, als mit Bo Dollis & The Wild Magnolias und The Golden Eagles mit ihrem Häuptling Monk Boudreux zwei der größten Stämme aufeinandertrafen, sich auch noch Dr.John dazuverirrte, genauso wie Champion Jack Dupree, der in den 20er Jahren selbst Mitglied in einem Stamm war. Eine Platte entstand, jetzt kommt man auf Tournee, wenn auch ohne die Golden Eagles und Dupree. Und was könnte besseres zu diesen schwülen Temperaturen passen als ein schwitzig vertanzter Abend bei der New Orleans Rhythm & Soul Review im Tempodrom mit den Wild Magnolias, die ohne große Umschweife den Weg von afrikanischen Rhythmen zum Rhythm & Blues nachzeichnen. Als Dreingabe gibt's noch Willie DeVille, der die vielleicht schwülste, vielleicht schwülstigste, aber vielleicht auch zeitgemäßeste Variante des New Orleans »Swamp Rock« zu spielen in der Lage ist.
Am 7.7. um 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten Thomas Winkler
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