: Zwielicht
I.
Ist das Wort „erwachsen“? Utamaros verschlingende
Vulven, tiefer Gedanke! Füsslis gewalttätige Mädchen, eine
feucht gehandhabte Eichel, ohne das geringste Zartgefühl,
der arme Teufel! sagte Flaxman, unsäglich anspruchslos
sah er drein, und keiner tadelte die Sparsamkeit von Füsslis
Witwe, die den Küchenherd mit ihnen schürte und die Steinkohle
blauer lodern ließ. Stand weniger auf dem Spiel für Bruno
in Venedig, zu Asche verbrannt, unsäglich
für etwas Unsägliches? Asche, zu guter Letzt.
Stopf Dein Kopfkissenbuch mit Metaphysik für
die beste Bettlektüre, es nimmt die Stelle dessen ein,
was stattfindet, Bilder oder pensées, der gleiche Kram.
Das Bild im Kopf belebt, notierte unser Dichter,
und ich mach's ihm nach. Diese angenehmen Empfindungen
zogen vorüber und machten einer
traurigen Unruhe Platz, und wieder zurück, nach einer
Erdumkreisung. Ich dringe wieder ein, in dich
eindringend. Der Kopf ist zu sehr mit sich zugange, um sich
auf Pascal oder das Credo von St.Athanasius einen Reim zu machen,
druckfeucht und -heiß, „Ist das zu fassen?“
Nach was riecht Gott außer dem Staub der Fußpolster,
Wein, gewaschenem Leinen, einer Schöpfung von Patou,
hinters Ohr getupft? Engelgleiche Wesen klettern
die Feuerleiter rauf und runter, schlagen gegen Schlaf-
und Badezimmerfenster, ganz Finger und Flügel.
Sie ist zu erfüllt und er zu eifrig, um viel
mitzukriegen, nur Schimmer halberloschener
Gedanken im Licht dessen, was stattfindet, kein
anderes Licht wirklich als diese, die an seine Stelle treten.
Eine besondere Dunkelheit vergißt unsere Besuche.
II.
Was war los? Was ist los? Jemand malte eine Grimasse
auf eine riesige Granate PENG! Ihr seid alle
tot. Ol' Bill duckt sich, sein Helm fliegt
grinsend vorüber, oder prallt von einer Brustwehr ab.
In einem ernsthaften Ölgemälde wird niemand
obszön ausgeweidet, der Kriegskünstler
versteht sich aufs kosmetische Bandagieren, er
flickt zusammen mit Weiß, tupft für die Kopfwunden
Rot hinzu, meist auf Schädeldecke oder Stirn,
die Augen der Verwundeten sind vergiß-mein-nicht-
blau, Gewehrfeuer zinnoberrot, keusches Rosa
für das Gesicht, auch die Begonie blüht im Dreck,
der khakifarben ist, graubrauner Rauch, altmeisterliche
Düsterheit, daß mein scharfes Messer nicht die Wunde sieht,
die es reißt, noch der Himmel durchscheint. Doch scheint er durch. Ein gemalter
Stern blinkt gütig. Ein Kind in der Sonne sieht das alles
in 'The Queen's Gift Book‘, wo Adam sich versteckt,
weil er nackt ist. Die Wahl meines Bankmanagers
fiel auf eine gerahmte Blumenkohl-Wolke, der Atoll
vertikal nach oben geschleudert aus seinem Siebdruck-
Ozean. Glas fängt das Licht. Ich trete ein und drehe es
gegen die Wand, nicht gewillt, den eingefrorenen Fakt mir
im voraus zu eigen zu machen, das Bild im Sinn,
den Job in der Hand. Seine Relevanz ist obskur
III.
Was ist Schmerz-Zeit? Dein langer Draht, Alvin Lucier, singt
zu dem Oszillator, Ende über Ende, funkelt
in der verdunkelten Galerie. Dies ist unsere Mitternachts-
fahrt in einem nassen Sturm, der die Köpfe der Bäume
aneinanderschlägt. Quarzuhren zeigen sie nicht an, humane
Pfuscherei weiß, was das Zügigste ist für Schwer-
verbrecher, tödliche Inhalation, „letale
Injektion“, entscheide dich, wie möchtest du
sterben? In einem Blitz, einem Knall, einer unzumutbaren
Sterbezeit, sagte der König oder hatte er angeblich
gesagt? Dauer ist öffentlich, die Intensität
privat, Gottes Lidschlag, eine Lebensspanne, eine Million Jahre.
Wo sind wir jetzt? Zwischen Schlucken Gas, viel mehr
als ich verlangt habe, diesmal antwortet er Sankt Lukas,
und meint den Supermarkt, nicht die Kirche, brumme ich
dankbar zurück und meine keins von beiden, die Klinik muß
jede Schmerz-Zeit-Minute auftauchen, ein schneller Handgriff
könnte den Draht bequem abkneifen, die stummen Enden fielen
in eine Lache endgültiger Stille, kein weiteres
zielloses Aufblitzen, keine Ton-Bilder mehr,
von der Straße aufgemischt. Ich will, daß es aufhört. Wo sind wir?
Die Ambulanz zuckt in die Kurve, richtet sich wieder auf,
Scheibenwischer verrühreiern Scheinwerfer, grüne, rote,
bernsteinfarbene, ein nicht meßbares Gemansche
feuchter Glühlichter. In der Hocke hält er die Gasflasche
so ruhig wie er kann. Ich liege ebenso
reglos. Die Schulter des Fahrers ist ein dunkles Amt.
Es ist ein „wesentlicher Dienst“, den wir alle verrichten,
Montag fängt gerade an, die Verunglückten des Sonntags
werden noch ausgeladen, randvoll mit Schmerz
wie ein Festballon hüpft unnütz der Verstand, während
jemand tot hereingetragen wird. Ich möchte meine Spritze
und ein paar 50 mg
Indozid ist alles, was ich kriege, falls das stimmt
mit dem Schlüssel auf der Anrichte, wo sie das Morphin
verwahren und die Schwester fängt ihren Dienst
um fünf an, das zieht sich noch vier Stunden hin, das
verdammte Laken rutscht immer fort. Bist du im Bild?
Amnesie, Muse von Streichungen, Stornierungen,
erneuert, überprüft den Schmerz, eine Fahrt im Dunklen.
(aus: „The Loop in Lone Kauri Road“, 1986)
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