: EG-Minister segnen ihre Agrarreform ab
Nach eineinhalbjährigen Verhandlungen kann das Paket nächstes Jahr in Kraft treten/ Landwirte protestieren gegen Beschluß/ Agrarausgaben werden trotz Subventionsabbau weiter steigen ■ Aus Brüssel Michael Bullard
Französische Bauern streikten demonstrativ; nicht minder empört über den angeblichen „Erfolg von Luxemburg“ sind ihre Kollegen in der Dritten Welt. Selbst der Europäische Rechnungshof hält die gestern nun endgültig beschlossene angeblich „umfassendste Reform in der 25jährigen Geschichte der gemeinsamen Agrarpolitik“ für verfehlt. Und die Europäischen Grünen sehen in dem Ministerbeschluß eine Fortsetzung der alten Politik mit verschärften Mitteln.
Von solchen Argumenten weitgehend unbeeindruckt billigten die EG- Agrarminister nach eineinhalbjährigem Dauerzwist überraschend einstimmig das bereits vor fünf Wochen grundsätzlich beschlossene Konzept. Sie erhoffen sich davon, die Überproduktion der rund zehn Millionen EG-Bauern einschränken zu können. Kern der Reform, die am 1.Januar 1993 in Kraft tritt, ist der allmähliche Abbau der staatlich garantierten Agrarpreise und die Stillegung unrentabler landwirtschaftlicher Flächen. Als Ausgleich für die dadurch entstehenden Einkommensverluste sollen den Bauern direkte Einkommensbeihilfen für landschaftspflegerische und Umweltschutzaufgaben gezahlt werden.
Die Minister erhoffen sich von der Reform auch eine Erleichterung für den Welthandel, weil weniger landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der EG mit Hilfe von Exportsubventionen auf dem Weltmarkt verschleudert werden.
Fortschritte soll es deswegen auch bei den Verhandlungen über eine Liberalisierung des Welthandels geben, die im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (Gatt) geführt werden. Die Begeisterung über die Entscheidung, vor allem bei den USA, dem wichtigsten EG-Kontrahenten, hält sich jedoch bislang in Grenzen.
Zu den bis zuletzt umstrittenen Problemen gehörte unter anderem die Forderung der italienischen Regierung nach einer höheren Milchquote, der im Rahmen eines Kompromißpakets teilweise entsprochen wurde. Auch die Finanzierung der Reform war lange umkämpft. Sonderwünsche machte zudem die Pariser Regierung geltend. Denn betroffen sind vor allem Getreidebauern, für die die Preise in den kommenden drei Jahren um rund 30 Prozent gesenkt werden. Dafür erhalten sie jedoch teils gewichtige Einkommenszuschüsse, wenn sie 15 Prozent ihrer Anbauflächen stillegen. Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle verweigerte wegen der zu hohen Preissenkungen diesem Teil des Reformpakets seine Zustimmung, wurde aber überstimmt. Dafür fand im Gegenzug sein Antrag auf EG-Unterstützung für die unter der Dürre leidenden norddeutschen Bauern die Unterstützung seiner Amtskollegen: Es soll bei der Nutzung stillgelegter Flächen für die Futtermittelproduktion eine Ausnahme gemacht werden. Normalerweise ist dies nicht gestattet und wird mit Bußen belegt.
So sozial gebärdeten sich die Minister bei ihrer Reformentscheidung allerdings nicht. Der für die EG- Agrarreform verantwortliche EG- Kommissar Ray Mac Sharry hatte zu Beginn der Debatte vor eineinhalb Jahren vorgeschlagen, nicht nur die horrenden Agrar-Ausgaben zu verringern, sondern auch die Subventionen sozial gerechter zu verteilen. Die Ausgaben für den Agrarsektor verschlingen die Hälfte des gesamten EG-Haushalts. Den allergrößten Teil der etwa 65 Milliarden Mark aus dem EG-Agrarhaushalt kassieren die Lagerhaltungsfirmen, die Agrarmultis und eine Minderheit von Großbauern. Für den großen Rest der EG-Bauern reicht es häufig nicht einmal zum Überleben.
Gegen die Idee des irischen Kommissars, den direkten Einkommensausgleich sozial zu staffeln, lief die Lobby der Agromultis, Lagerfirmen und Großbauern jedoch Sturm. Ergebnis: Der Kompromiß, den die Minister jetzt beschlossen, sieht vor, daß nicht nur kleinere und mittlere, sondern auch die in der Regel leistungsfähigeren Großbetriebe für die geplante Stillegung von Nutzflächen voll entschädigt werden sollen. Die Folge: Die Ausgaben für den EG-Agrarhaushalt werden weiter steigen statt sinken.
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