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Klischee-Tango

■ Hector Navarretes Berlin-Comic »Blue Tango«: Ein Chandler-Verschnitt

Hector Navarretes Berlin hat nichts mit dem gleichnamigen biederen Nest voller schlecht gelaunter Kleinbürger und geölter Karrieristen zu tun: In seinem Comic sieht die Stadt aus, wie man sich Chicagos Hinterhöfe um 1942 vorstellt: düster, bedrohlich und jederzeit für mysteriöse Begegnungen gut.

Ebenso klischeegesättigt wie dieses Berlin ist die Story, die uns Navarrete erzählt, und die Sprache, in der er das tut: »Die Nacht war lau in dieser Ecke der Welt, und Feuchtigkeit verdunkelte die Fenster. Der Rauch meiner Zigarette leistete mir Gesellschaft. Ich ging in ein Café. Cafés sind meine Heimat, und der Espresso wärmte meine Seele.« Dieser aufgewärmte Chandler-Verschnitt, der sich viel Mühe gibt, ungeheuer tough und lakonisch-einsam zu wirken, ist wahrscheinlich genau das Richtige für frustrierte Büroangestellte, die nach Feierabend Klaus Lage hören, für den Chauvie von nebenan, der sein Elend gerne als lonely wolf im Großstadtdschungel verkaufen will.

Es ist ein Comicband, der es redlich verdient hat, in einem der beiden Berliner Stadtmagazine gelobt und vorabgedruckt zu werden: Das ist der Stoff, aus dem in den neunziger Jahren die Spießerträume sind. Nichts gegen das Spiel mit Klischees und Trivialmythen, nur betreibt es Navarrete mit verbissenem Ernst, ohne Selbstironie, ohne Doppelbödigkeiten, ohne die Leichtigkeit des Spiels: kurz, ohne ein Minimum an Bewußtsein davon, daß er mit längst ausgelutschten Stoffen und Erzählmustern umgeht. Irgendwie scheint er zu glauben, er hätte etwas zu sagen, und das ist ein grandioser Irrtum.

Selbstverständlich wird in diesem Comic dauernd Saxophon gespielt, selbstverständlich protzt der Erzähler damit, einige Jazz-Standards zu kennen (»Ich ging in ein Café. Das Klavier spielte Blue Monk«), und logischerweise ist es dauernd Nacht: So gehört sichs, und weil der Comic keinen Leser in irgendeiner Weise irritieren will, hält er sich brav an die Spielregeln. Ebenso peinlich wie der coole Hinweis auf die Jazzstücke wirken die eingeflochtenen Anspielungen: Der Bösewicht heißt »Borges« und sieht auch aus wie der große argentinische Dichter, der Held findet die entscheidenden Dokumente nicht irgendwo, sondern »in einem Buch über Velazquez«. Abgesehen davon, daß selbst der Borges-Scherz geklaut wurde (aus Ecos Name der Rose), ist interessant, daß es heute offenbar dazu gehört, mit der Halbbildung anzugeben, um »Stil« zu demonstrieren. Das ist peinlich und so gnadenlos stillos, weil Trash-Kultur natürlich nur Spaß macht, wenn sie konsequent betrieben wird, und weil wirkliche Kenntnis der kulturellen Schönheiten von Borges bis Velazquez sich zu schade ist, um sich zum beliebig verfügbaren Accessoire zu machen.

Traurig an all dem Elend, das dieses Buch parat hält, ist, daß sein Autor zeichnen kann: Nichts ist deprimierender als einem Talent dabei zuzusehen, wie es sich vergeudet, um Abfall zu produzieren. Man wünscht dem Zeichner Hector Navarrete, daß er sich aus der unglückseligen Verbindung befreit. Andererseits ist diese Verbindung ökonomisch durchaus sinnvoll: Das Buch ist so schlecht, daß es sicher eine Menge Käufer finden wird. P. Laudenbach

Hector Navarrete: Blue Tango. Rotbuch Verlag, 64Seiten, 19,80DM.

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