: »Ich wollte einfach nur meine Ruhe haben«
■ Ein 23jähriger Tischler aus Friedrichshain prügelte das zweijährige Kind seiner Freundin zu Tode und versteckte es in einer Kohlenkiste/ Gegen die Mutter läuft ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung/ Landgerichtsprozeß um eine besonders brutale Kindesmißhandlung
Der Anblick des toten zweijährigen Pascal auf dem Obduktionstisch ging selbst dem Staatsanwalt Henning Spinti, der in seinem Leben schon viele Leichen gesehen hat, tief unter die Haut. »Einen solchen Fall von Kindesmißhandlung«, so Spinti, »habe ich noch nie erlebt.« Auch bei erwachsenen Mord- und Totschlagopfern habe er kaum einen so zertrümmerten Schädel gesehen. Nicht genug damit, hatte der kleine Junge mehrere Brüche der Nasenmuschel erlitten, seine Zähne waren locker, die Schleimhaut löste sich vom Oberkieferknochen ab. Seine Beine waren so verdreht, daß die gebrochenen Knochen aussahen wie der zerfaserte Ast eines Baumes.
Pascal starb in der Nacht vom 7. zum 8. September vergangenen Jahres. Wie lange das Kind gelitten hatte, vermochte der Gerichtsmediziner nicht zu sagen. »Aber es war kein schneller Tod.«
»Schläge kommen bei mir nicht vor«
Seit Anfang Juni stand der 23jährige Tischler Thomas K. aus Friedrichshain wegen Mordes an Pascal vor der 23. Strafkammer des Landgerichts. Der schmächtige junge Mann mit den schmalen Lippen, kurzgeschorenem Haar und gepflegter Kleidung war mit Pascals Mutter zum Tatzeitpunkt ein gutes halbes Jahr liiert. Er hatte die 26jährige Verkäuferin Martina St. in einer Kneipe in Friedrichshain kennengelernt. »Wie soll ick sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick«, so der Angeklagte.
Martina St. wohnte damals noch mit Pascal und dessen sechsjähriger Schwester bei ihrem Ehemann. Weil sie ihr Mann oft geschlagen hatte und Thomas K. so einen verständnisvollen Eindruck machte — Schläge? »So was kommt bei mir nicht vor«, soll er sich bei der ersten Begegnung entrüstet haben — zog sie mit ihren Kindern zu ihm. Einen guten Monat verstand sich das Paar bestens, auch mit den Kindern kam Thomas K. gut aus. Dann kam es immer häufiger zu Streitigkeiten ums Geld, den Haushalt und die Kindererziehung: »Ich wollte, daß bei uns Ordnung und Sauberkeit herrscht. Sie war da anderer Meinung«, sagte Thomas K. »Essen, Trinken, Fernsehen, Spielzeug, alles hat sie übertrieben.«
Im März verprügelte der Angeklagte Martina St. zum ersten Mal. »Er rastete total aus, polierte mich voll in die Ecke«, erzählte die Verkäuferin vor Gericht. Bald war auch Pascal dran. Während die sechsjährige Schwester nie einen Schlag abbekam, schoß sich der arbeitslose Tischler auf den kleinen Jungen regelrecht ein. Meist war er alkoholisiert, wenn es Prügel setzte. Einmal schlug er das Kind mit solcher Wucht, daß es vom Wickeltisch fiel, und er trat mit dem beschuhten Fuß noch mal kräftig nach. Ein anderes Mal bearbeitete er den Kleinen so mit seinen Fäusten, daß das Gesicht des Kindes völlig zuschwoll. Wieder ein anderes Mal flößte er Pascal Wein ein und drosch dem Jungen dann voller Wut ins Gesicht, als dieser sich im Bett erbrach und deshalb zweimal die Laken gewechselt werden mußten. In der Anklageschrift sind sechs Mißhandlungsfälle aufgelistet, vermutlich waren es mehr.
Vor Gericht zeigte der Angeklagte keine Regung
Die Frage nach dem »Warum?« mußte sich das Gericht allerdings selbst beantworten. Von dem Angeklagten, der mit versteinerter Miene der Verhandlung folgte und auch bei der Vernehmung der Kindesmutter mit starr auf den Boden gerichtetem Blick keine Gefühlsregung zeigte, kam als Erklärungsversuch nur ein Stereotyp: »Das Kind hat geschrien, ich wollte meine Ruhe haben.« Bei der Kripo hatte er einmal gesagt, er sei eifersüchtig gewesen, weil sich Martina St. mehr um den Jungen gekümmert habe als um ihn.
Martina St. war bei den Schlägen meistens in der Nähe. Aber wenn sie sich schützend über ihren Sohn warf, war es in der Regel schon zu spät. Hinterher tat Thomas K. alles immer furchtbar leid. Er werde das nie wieder tun, versprach er, kühlte Pascals Wunden und versuchte, dessen Vertrauen wieder zu gewinnen. »Ich habe ihm Eis gekauft und das Fernsehprogramm mit Videos gestaltet«, sagte der Angeklagte und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Ich bin über jede nette Geste von ihm als Spielgefährte und Freund froh gewesen.« Etliche Monate bevor Pascal starb, tobte der Angeklagte sich an der von Martina St. mit in die Wohnung gebrachten Katze aus. Weil ihm »der Dreck und Geruch gegen den Strich ging« und ihn das Tier mit seinen Krallen verletzt hatte, erschlug er es mit einer Flasche. Hinterher brüstete er sich gegenüber Martina St. damit, der Katze den Bauch aufgeschlitzt zu haben, bevor er diese in die Mülltonne warf.
Martina St. flüchtete zwar mit den Kindern mehrmals zu ihrem Ehemann, kam aber nach kurzer Zeit immer wieder zu Thomas K. zurück. »Ich war der Meinung, er würde sich noch ändern, ich habe ihn doch geliebt«, hatte sie ihr Verhalten nach Pascals Tod gegenüber der Kriminalpolizei zu erklären versucht. Auch vor den Verwandten nahm sie ihren Freund anfänglich in Schutz, indem sie behauptete, das grün und blau geschlagene Kind sei gegen einen Schrank gelaufen. Aus Angst, die Verletzungen könnten in der Kinderkrippe auffallen, meldete sich die Verkäuferin einmal sogar eine ganze Woche krank, um den Jungen zu Hause lassen zu können. Daraufhin verlor die Frau ihren Job und lebt inzwischen von Sozialhilfe.
Als es immer weiter Prügel setzte, bat Martina St. ihre Verwandtschaft ganz offen um Hilfe. Diese ließ das Problem jedoch bei dem Ratschlag bewenden, sie solle sich doch einfach von Thomas K. trennen. Nur mit den Eltern des Angeklagten kam es öfters zu einer Aussprache, bei der Thomas K. seinem Vater versprach, sich in Zukunft unter Kontrolle zu halten und vielleicht mal zum Arzt zu gehen, was er jedoch nie tat.
Im Frühsommer wohnten Pascal und seine Schwester mehrere Wochen lang bei ihrem Vater, einem Heizungsmonteur, der nach einem Suizidversuch krankgeschrieben war. Ende August kam Pascal wieder zu seiner Mutter zurück. Die drauffolgenden Tage bis zu seinem Tod waren zwischen dem Paar ein einziges Hin und Her. Einmal war es »ganz toll«, so Martina St., dann wieder habe sie Thomas K. »völlig ignoriert« und sei sogar fremdgegangen.
In der Nacht, in der Pascal starb, besuchte das Paar gemeinsam eine Geburtstagsfeier. Das schlafende Kind blieb allein in der Wohnung. Schon reichlich alkoholisiert, entschlossen sich die beiden spät in der Nacht, mit Freunden in einer Disco in Treptow tanzen zu gehen. Beim Einlaß kam es zum Eklat, weil sich der Tischler weigerte, seine neue Lederjacke, auf die er sehr stolz war, an der Garderobe abzugeben. Zwischen den Türstehern und dem Angeklagten fand ein handfester Schlagabtausch statt, der damit endete, daß Thomas K. vor die Tür gesetzt wurde. Martina St. wollte den Disco- Besuch deshalb jedoch nicht gleich abschreiben, »es war gerade so eine gute Stimmung«, versprach ihrem Freund aber, in einer halben Stunde draußen nach ihm zu sehen. Doch da war Thomas K. bereits verschwunden. Er hatte zuvor dreimal versucht, über das Dach in die Disco zu gelangen, war, nachdem er jedesmal erwischt wurde, entkräftet und heulend vor Wut — »Ich war kaputt mit den Nerven« — mit dem Taxi nach Hause gefahren.
Amoklauf nach dem Disco-Besuch
Das laute Schnappen der drei Sicherheitsschlösser riß Pascal aus dem Schlaf. Das Kind habe angefangen zu »brüllen«, da habe er einen Wutanfall bekommen. »Ich wollte einfach meine Ruhe haben.« Über den Ablauf der Tat könne er vor Gericht jedoch nicht mehr sprechen, sagte Thomas K. mit belegter Stimme.
Den polizeilichen Vernehmungsprotokollen zufolge, die der Vorsitzende Richter Seidel in Auszügen verlas, hat der Angeklagte das Kind vermutlich grausam verprügelt, getreten, gegen die Wände und auf den Boden geworfen, in den Penis gekniffen und in den Brustkorb gebissen. »Es war ein Kurzschluß«, rang der Angeklagte um Erklärung. Bei der Polizei hatte er zu Protokoll gegeben: »In dem Augenblick war mir alles scheißegal.« Er habe nur Haß empfunden, »weil Tina allein in der Disco war«. Irgendwann in der Nacht zog er dem Kind die blutigen Sachen aus und versteckte es in einem ausrangierten Kohlencontainer im Nebenzimmer. Gegenüber der Polizei sagte er dazu, er habe den Jungen später wegbringen wollen. Er habe versucht, mit dem Ohr die Herztöne des Kleinen abzuhören, und sei davon ausgegangen, »daß der Junge nicht mehr zu retten war«.
Heute leidet die Mutter große Qualen
Martina St. fand den Freund bei ihrer Rückkehr um 4 Uhr nachts schlafend in Pascals Bett vor. Die Frau, die bereits im dritten Monat von Thomas K. schwanger war, suchte voller Panik — »überall waren große Blutflecken« — nach dem Kind, fand es aber nicht. Also rüttelte sie Thomas K. wach, der sogleich fauchte: »Wenn du nicht die Fresse hältst, mache ich mit dir, was ich mit dem gemacht habe.« Mit tränenerstickter Stimme berichtete Martina St. vor Gericht, daß Thomas K. den nackten Jungen mit den Worten »ich bring' dir das Gör« an einem Bein haltend aus dem Nebenzimmer geholt habe. »Er warf ihn mir halb vor die Füße.« Als die Mutter mit dem Kind aus der Wohnung stürzte, versuchte der Angeklagte noch, sie aufzuhalten: »Du willst mich wohl in den Knast bringen?« Im Treppenhaus schoß er ihr mit einer Gaspistole hinterher. Auf der Straße, wo sie ein Auto anhielt, um ins Krankenhaus zu fahren, hörte sie Thomas K. noch schreien: »Ich liebe dich doch, komm zurück.«
Gegen die Kindesmutter läuft ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung und Vernachlässigung der Aufsichtspflicht. Daß sie Pascal nicht schon im Frühjahr vor Thomas K. in Sicherheit gebracht und keine Anzeige erstattet hat, bereitet der jungen Frau jetzt offensichtlich große Qualen. »Ich hatte Angst, daß ich eine Anzeige nicht überlebe, außerdem wollte ich nicht zu meinem Mann zurück«, ringt sie in einem Gespräch in einer Prozeßpause um Erklärung. Der Grund sei natürlich auch gewesen, daß sie von Thomas K. schwanger gewesen sei und gehofft habe, daß alles besser würde. Schließlich habe er sich damals sehr auf das Kind gefreut. Das Baby, ein Mädchen, kam vor drei Monaten zur Welt. Die Entbindung erfolgte mittels Kaiserschnitt. Eine natürliche Geburt war wegen eines Wirbelbruchs durch Thomas K.s Schläge nicht möglich. An eine Abtreibung habe sie nie gedacht: »Warum sollte das Kind auch noch darunter leiden?«
Martina St. wohnt inzwischen wieder bei ihrem Ehemann, »aber nur so lange, bis ich endlich eine Wohnung gefunden habe«. Thomas K.s Eltern hätten nach Pascals Tod nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sie aus der Wohnung des Angeklagten zu werfen. »Die haben mich doch nicht für voll genommen. Außerdem habe ich gesagt, daß ich mit meiner Aussage keine Rücksicht auf Thomas nehmen werde.« Selbst die Vaterschaft zweifelten die Eltern inzwischen an und wollten es sogar auf einen Bluttest ankommen lassen. Was sie tun wird, wenn der Angeklagte irgendwann einmal wieder in Freiheit ist und versucht, Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen? Die zierliche Frau atmet einmal ganz tief durch und sagt dann aus voller Überzeugung: »An die kommt er nicht ran.« Plutonia Plarre
Gestern nachmittag erging in dem Fall das Urteil. Siehe Bericht auf Seite 17
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen