Ein Herz für Junkies

■ Oberneuland sorgt sich um Drogenabhängige: Überall lauern Gefahren

Gestern war alles noch so schön, doch plötzlich ist die Welt in Oberneuland aus den Fugen geraten. Gustav Schiele, seit 1946 ehrenamtlich im Vorstand des ehrenwerten Bremischen Schwimmvereins, seit 1963 dessen Präsident, ist einer von vielen, die diese neue Welt nicht mehr verstehen. Die Sozialbehörde will direkt vor dem Achterdiekbad in Oberneuland, dem Hausbad seines Vereins, Wohncontainer für die Übernachtung Drogenabhängiger aufstellen. „Wenn das tatsächlich passiert, kann ich die Verantwortung für die Kinder nicht mehr übernehmen“, sagt Schiele.

Denn von den Containern, aufgestellt auf einer öffentlichen Wiese zwischen Schwimmbad und Franz-Schütte-Allee, geht nach Schiele eine große Gefahr für seine 400 Schützlinge aus, die hier täglich schwimmen. „Ich will nicht von Verseuchung sprechen, aber dann ist hier alles voller Spritzen“, sorgt sich der Vereinspräsident.

An dem auserwählten Standort schwimmen nicht nur 400 kleine Wasserratten künftigem Sportruhm entgegen, auch etwa 150 Tenniskids trainieren täglich im benachbarten Tennis-Leistungszentrum Nordwest. Und im Naherholungsgebiet Achterdieksee tummeln sich in den Ferien zwischen 2.000 und 5.000 Kinder: Ihnen allen droht Kontakt zu Dealern, Beschaffungsprostituierten, Kriminellen.

Und auch den Junkies drohen Gefahren: Er liegt, so beklagen die Oberneulander, an einer der dichtbefahrensten Bremer Straßen, direkt beim Autobahn-Zubringer, „wo ohnehin immer schon so viele Unfälle passieren“, und weil die Abhängigen „immer high“ sind, können sie schnell vor ein Auto laufen. „Oder wenn die da baden, das ist doch gefährlich, die könnten da ertrinken“, sagt Schiele, und kommt zu dem Ergebnis: „Der Standort geht einfach nicht.“ Wie sein Kollege von nebenan: Tennispräsident Heinrich Grunzke teilte auf Anfrage mit: Über Aussiedler könne man mit ihm reden, aber nicht über „diese Leute“.

Nicht, daß die Oberneuländer kein soziales Gewissen hätten: Schließlich hat zum Beispiel der Schwimmverein einmal „Zigeuner auf der Wiese mit Wasser versorgt, bevor sie, Gott sei Dank, auf einen Camping-Platz nach Brinkum kamen“ (Schiele). Als aber am letzten Dienstag der Lei

Hier sollen die umstrittenen Wohncontainer für 48 obdachlose Drogenabhängige stehenFoto: Tristan Vankann

ter des Sozialamtes, Hans Leppin, zu einem Ortstermin erschien, um sich das in Frage kommende Gelände anzusehen, waren mehr als 200 empörte Oberneuländer zusammengekommen, um lautstark ihren Protest anzukündigen. Mit dabei: Fast der gesamte Beirat, der sich, quer durch alle Fraktionen, gegen den Standort ausgesprochen hat und im August auf einer öffentlichen Beiratssitzung endgültig sein Votum abgeben will.

Beiratssprecherin Micheline Landmann (CDU) erklärt das so. Da ist zunächst die Angst der Oberneuländer vor den kriminellen Folgeerscheinungen. Dann aber müsse man auch bedenken, daß die Unterbringung von Drogenabhängigen in Containern „im Prinzip menschenunwürdig“ sei. Deshalb solle sich die Sozialbehörde nach festen Häusern mit entsprechenden Betreuungsangeboten umsehen. Oberneuland allerdings sei für solche Standorte „prinzipiell“ ungeeignet, weil durch die „vielen Parks“ und die „vielen Büsche“ der Stadtteil „unübersichtlich“ sei. Außerdem besitze Bremen in diesem Stadtteil nicht allzu viele Liegenschaften, was die Suche weiter einschränke. Kurz: „Wir haben alle schon überlegt, wo man die Container hier aufstellen könnte, aber wir wissen nicht wo.“ Prinzipiell, erklärte die Beiratssrecherin, sei man in Oberneuland sozialen Randgruppen gegenüber aufgeschlossen.

Das bestätigt auch der Fraktionssprecher der SPD im Beirat

Oberneulnad. Die Sozis liegen hier mit zwei Sitzen abgeschlagen hinter der erdrückenden CDU- Mehrheit (8 Sitze). Wolfgang Wieters hält die Container im Grunde seines Herzens für ein „Abschiebemodell für kranke Menschen“. denen mit einem reinen Übernachtungsprojekt überhaupt nicht geholfen sei. „Die Behörde kann doch nicht morgens die Abhängigen wieder freilassen in dem Wissen, daß sie dann straffällig werden.“ Außerdem müßten sie, um ihr Quartier zu erreichen, mit der Straßenbahn fahren, „schwarz, weil die doch kein Geld haben“. „Das wird dann hier wie im Viertel“, befürchtet Wieters.

Auch FDP und Grüne in Oberneuland sind sich in dieser Frage einig: „Auch, wenn es schwer fällt und wir keine Alternativen haben: Wir werden Nein sagen“, sagt der liberale Peter Henschen. Die Argumente bezüglich der Kinder hätten ihn restlos überzeugt. „Auch wenn meine Kollegen in der Deputation anders stimmen werden.“ Und sein grüner Kollege pfichtet ihm bei: „Oberneuland hat eine moralische Verpflichtung, Randgruppen aufzunehmen“, aber gerade die Junkies seien für den Stadtteil ungeeignet, „weil sie sich in einer solch großen Gruppe selbst destabilisieren“, glaubt der Grüne. Außerdem habe er eine „pogromartige Stimmung“ im Stadtteil registriert, Menschen, „die nach Lagern und Brandsätzen“ gerufen hätten. Fazit: „Oberneuland als Standort für die Container ist

hier bitte

das Wiesenfoto

untragbar.“

Hans Leppin, Leiter des Sozialamtes, nimmt das alles nicht so schwer. „Ich habe schon ganz andere Sachen erlebt“, erklärte der sturmerprobte Abteilungsleiter nach der Ortsbesichtigung. Fakt ist: Am Ende des Monats müssen die Container der Sozialbehörde auf dem Stadtwerke-Gelände in der Föhrenstraße geräumt sein, weil das Gelände verkauft worden ist. „Bis dahin müssen wir Alternativen gefunden haben.“ Die Bedenken der Anwohner kann Leppin leicht entkräften: „Wo wir auch hingegangen sind, ob Steindamm, Roonstraße oder Jola: Nirgends sind die Befürchtungen der Anwohner wahr geworden.“ Dann stellt er fest: „Wenn die Oberneulander eine Alternative anbieten, können wir darüber reden. Aber ich bin nicht bereit, mit den Oberneulandern über eine Alternative in einem anderen Stadtteil zu reden.“

Das Gelände am Achterdiekbad besitzt mit Anschlüssen für Kanalisation, Wasser und Elektrizität geradzu ideale Versorgungsvoraussetzungen. Baurechtlich ist das Gelände „Sporterweiterungsgebiet“ und damit juristisch leicht für die Zwecke der Behörde einzusetzen. Das Sozialamt hat bereits einen Planungsauftrag für das Grundstück Achterdiekbad an die Bremische Gesellschaft abgegeben. Denn auch, wenn der Beirat sich querstellt, kann die Deputation die Aufstellung der Container veranlassen.

Markus Daschner