: Der Mafiaboß heißt Helmut Kohl
■ „Wildwest im Osten“, ZDF, Freitag, 21.15 Uhr
Der Titel klang vielversprechend. Wildwest im Osten überschrieb Jürgen Roth seine Reportage über „organisierte Kriminalität in den neuen Bundesländern“. Doch wer sich eine Generalabrechnung mit dem Einigungsvertrag und die überfällige Enttarnung Helmut Kohls und Birgit Breuels als oberste Mafiabosse erhofft hatte, wurde bitter enttäuscht.
Die organisierte Kriminalität in der Ex-DDR liege in der Hand von Ausländern, „enthüllte“ Roth. In Halle sei die „Jugomafia“ am Werk, im brandenburgischen Wünsdorf mache sich die „Russenmafia“ breit, in Berlin die „Tschetschenenmafia“, und Leipzig werde gar von der italienischen Camorra beherrscht. Bilder von Hütchenspielern und Vietnamesen, die mit unverzollten Glimmstengeln handeln, „bewiesen“ den Zuschauern eindrucksvoll, wer wirklich den Aufschwung bedroht und Raub, Mord, Prostitution und Drogenhandel den Boden bereitet. Roths schlüssige Beweisführung soll auch taz-LeserInnen nicht vorenthalten bleiben. Beispiel „Russenmafia“: In Wünsdorf warteten rund 50.000 GUS-Soldaten auf ihren Abzug. Klar, daß sie sich in ihrer Langeweile illegal ein paar Devisen dazuverdienten, wußte Roth. Doch weil er in der Eile kein passendes Beispiel fand, mußte die seit 1. Juli für Russen geltende Reisefreiheit herhalten. Auf das kleine Wünsdorf rolle nun sicher eine „Flut“ von russischen Verbrechern zu, die unter den Soldaten Bekannte hätten, also auf „vorbereitete Strukturen“ träfen. Enttäuscht zeigte sich Roth von den ostdeutschen Behörden, die der Gefahr nicht gewachsen seien. Schon nach ein paar Tagen, schimpfte er, seien inhaftierte Hütchenspieler wieder freigelassen worden — wo doch jeder wisse, daß sie „direkt vom Belgrader Staatssicherheitsdienst gesteuert“ würden. Roths Forderungen werden zwischen den Bildern deutlich: Mauert endlich alle GUS-Kasernen zu, hinter ihren Toren könnten Autoschieber sitzen! Schließt die Pizzerias und Eisdielen, italienische Mafiabosse verdienen sicher mit! Flüchtlinge aus Jugoslawien? Sofort abschieben, vielleicht sind's Hütchenspieler! Und Prostituierte müssen zurück an Heim und Herd, die Zuhälter besitzen vielleicht Handgranaten!
Jürgen Roths Reportage schrammt haarscharf an Volksverhetzung vorbei. Wäre er wirklich an den Strukturen des organisierten Verbrechens interessiert gewesen, wäre eine Recherche in seiner Heimatstadt Frankfurt/Main ergiebiger ausgefallen — gegen die Bankermetropole ist Leipzig eine Friedensstadt. Doch für den gewollten Skandal machen sich die FNL nun mal besser. Wildwest im Osten — dazu muß auch Roths Reportage gezählt werden. Micha Schulze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen