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Umfangreich militärisch aktiv

Warum die menschenverachtenden Roten Khmer den Friedensprozeß in Kambodscha blockieren  ■ VON PETER SCHIER

Eines der größten Probleme bei der Durchsetzung des Friedensplans für Kambodscha besteht darin, daß die Roten Khmer der UN-Treuhandverwaltung (UNTAC) den freien Zutritt zu den von ihnen kontrollierten Gebieten verweigern und die Kantonierung ihrer Streitkräfte in UNTAC-Sammellagern und ihre Entwaffnung ablehnen. Die Roten Khmer begründen ihre mangelnde Kooperationsbereitschaft damit,

—daß die UNTAC bis heute den Abzug aller vietnamesischen Streitkräfte nicht effektiv überprüft habe,

—daß der Oberste Nationalrat (SNC) noch immer nicht als einziges legitimes Machtorgan Kambodschas fungiere und statt dessen das Regime in Phnom Penh [„Staat Kambodscha“; SK] die eigentliche Macht ausübe und

—daß die internationale Wiederaufbauhilfe nicht über den SNC, sondern über die SK-Regierung abgewickelt werden solle und damit das ursprünglich von Vietnam eingesetzte Regime einseitig begünstigt werde.

In der Sache sind die Vorwürfe der Roten Khmer an die Adresse der UNTAC zum Teil durchaus berechtigt. Ihre Forderung jedoch, die Verifizierung des vietnamesischen Truppenabzugs und die Ausstattung des SNC als einziges legitimes Machtorgan von Kambodscha zur Vorbedingung für die Entwaffnung ihrer eigenen Streitkräfte zu machen, ist durch die Pariser Friedensabkommen nicht abgedeckt. Auch das Verlangen der Roten Khmer nach einem Rücktritt der Regierung Hun Sen zugunsten des SNC ist ein Indiz dafür, daß es den Roten Khmer weniger um die Sache als vielmehr um eine Blockierung des Friedensprozesses geht.

Warum blockieren die Roten Khmer den Friedensprozeß? Nach Ansicht des pessimistisch gestimmten Prinz Sihanouk widersetzen sich die Roten Khmer ihrer Entwaffnung, weil sie wieder mit militärischer Gewalt die politische Macht erobern wollen. Doch die Roten Khmer verfügen nur noch über knapp 15.000 Soldaten und Offiziere, aufgeteilt in 24 Divisionen und drei unabhängige Regimenter, die über entfernte Regionen verteilt sind. Damit dürfte ihnen eine militärische Machtergreifung kaum gelingen. Andererseits sind die Roten Khmer stark genug, daß sie nicht militärisch eliminiert werden können, solange sie unter Waffen stehen. Und genau in diesem Punkt scheint bei den Roten Khmer die Befürchtung zu bestehen, daß sie im Falle ihrer Entwaffnung von nicht entwaffneten Einheiten der SK-Armee angegriffen werden könnten. Darüber hinaus scheinen sie zu befürchten, daß sie nach ihrer Entwaffnung keinerlei Druckmittel mehr haben, um eine effektive Verifizierung des vietnamesischen Truppenabzugs und — vor allem — eine starke Kontrolle der SK-Verwaltung und der Massenmedien durch UNTAC zu erzwingen. Die Roten Khmer mißtrauen nämlich nicht nur ihren früheren Weggefährten in Phnom Penh, sondern auch einer Reihe von UNTAC-Vertretern, denen sie eine einseitige Haltung zugunsten des SK vorwerfen.

Eine Neutralisierung der Verwaltung und Massenmedien durch die UNTAC ist jedoch dringend erforderlich, um — wie es der Friedensplan vorsieht — ein „neutrales politisches Umfeld“ im Vorfeld der geplanten freien Wahlen zu schaffen. Bei wirklich freien Wahlen hätten die Roten Khmer nämlich durchaus die Chance, zwischen zehn und 20 Prozent der Stimmen zu erhalten, da sie unter den armen Bauern noch immer über ein nicht unerhebliches Unterstützungspotential verfügen. Die im wesentlichen auf Teile der armen sozialen Schichten begrenzte Anziehungskraft der Roten Khmer wird auch von ihrer anscheinend unkorrupten Verhaltensweise und ihrer betont antivietnamesischen Politik genährt. Die immer stärker um sich greifende Korruption der SK- Machthaber stellt in gewisser Weise eine indirekte Wahlwerbung für die Roten Khmer dar.

Was ist zu tun, um aus der gegenwärtigen Sackgasse innerhalb des Friedensprozesses herauszukommen? Mit einseitigen Schuldzuweisungen an die Adresse der Roten Khmer ist es nicht getan, im Gegenteil. Sie kaschieren lediglich die Unzulänglichkeiten und bisherigen Versäumnisse der UNTAC und lenken davon ab, daß auch die Machthaber in Phnom Penh mit der bisher nicht erfolgten Übergabe ihrer wichtigsten Regierungs- und Verwaltungsorgane an die UNTAC-Kontrolleure den Friedensprozeß verzögern. Vielmehr bedarf es weiterer Anstrengungen der UNTAC:

—Zunächst einmal muß UNTAC so schnell wie möglich auf volle Personalstärke gebracht werden.

—Zweitens muß UNTAC so schnell wie möglich eine effektive Kontrolle über die machtpolitisch bedeutsamen Teile der zivilen und militärischen Administration sowohl des SK als auch der Roten Khmer ausüben.

—Drittens muß der SNC mit mehr Machtbefugnissen, eigenen Arbeitsorganen und einem Budget ausgestattet werden, damit er als einziges legitimes Machtorgan von Kambodscha arbeiten kann.

—Viertens muß der vollständige Truppenabzug der Vietnamesen verifiziert werden. Obwohl sich keine größeren regulären vietnamesischen Kampfverbände mehr in Kambodscha aufzuhalten scheinen, ist die angebliche vietnamesische militärische Präsenz ein Thema, das nicht nur die Roten Khmer politisch und propagandistisch bemühen, sondern auch die Mehrheit der kambodschanischen Bevölkerung intensiv beschäftigt und verunsichert. Vorstellbar wären hier die Verstärkung des UNTAC-Personals an den Kontrollstellen entlang der vietnamesisch- kambodschanischen Grenze und die Hinzuziehung von Vertretern aller vier Parteien. Eine effektive und zugleich relativ einfache Maßnahme zur Überprüfung der angeblichen vietnamesischen Militärpräsenz in Kambodscha wäre der Erlaß eines über einen längeren Zeitraum in allen Medien verbreiteten Aufrufes an die kombodschanische Bevölkerung, die eventuelle Präsenz vietnamesischer Militärs bei den zum Teil noch einzurichtenden Verbindungsbüros der UNTAC in den Provinzen oder in Phnom Penh mit möglichst genauen Angaben zu melden. Diese Anzeigen müßten dann von UNTAC-Untersuchungstrupps unverzüglich an Ort und Stelle überprüft werden. Sollte sich im Verlauf eines solchen Verifizierungsprozesses herausstellen, daß sich keine vietnamesischen Soldaten in Kambodscha mehr aufhalten, wäre dies nicht nur die schlagkräftigste Widerlegung der diesbezüglichen Behauptungen der Roten Khmer, sondern würde auch zu einer Beruhigung innerhalb der Bevölkerung beitragen.

—Fünftens sollten Vertreter aller vier Parteien an der Verifizierung des vietnamesischen Truppenabzugs, an der Kantonierung und Entwaffnung der einzelnen Kampfverbände und an der UNTAC-Kontrolle der Verwaltunsorgane als Beobachter beteiligt werden. Gleiches gilt für die Demobilisierung der Soldaten und für freie Wahlen.

Erst wenn sich die Roten Khmer auch nach diesen Maßnahmen noch weigern sollten, sich entwaffnen zu lassen, sind Sanktionen und Zwangsmaßnahmen vertretbar. Da die UNTAC-Truppen keinen Kampfauftrag haben, bliebe als Ultima ratio der Einsatz von SK-Elitetruppen zur Disziplinierung der Roten Khmer, wobei gleichzeitig Thailand seine Grenzen zu Kambodscha abriegeln müßte, um eine Flucht der Roten Khmer nach Thailand zu verhindern. Schließlich müßte auch China im UN-Sicherheitsrat seine Zustimmung zu einem militärischen Einsatz gegen die Roten Khmer geben.

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