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Individuell weggeduckt

Wenn Ex-RAF-Terrorist Bernd Rößner nicht freikommt, wird Kinkels Versöhnungsinitiative zur Farce  ■ VON KLAUS JÜNSCHKE

Ich bin kein Mörder!“ sagte Peter-Jürgen Boock. Rein rechnerisch ist das eine Möglichkeit: Die Zahl der Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) war größer als die von ihr ermordeten Menschen.

Als politische und moralische Aussage ist der Satz „Ich bin kein Mörder!“ von einem ehemaligen RAF-Mitglied wertlos. Wer sich bewaffnet und in der RAF organisiert hat, war nur rein zufällig nicht an einer Aktion beteiligt, bei der es zu Toten kam. Das ist kein Verdienst — und schon gar kein Ausdruck einer „besseren Persönlichkeit“.

Den Prominenten aus dem Kreis der Unterstützer des Peter-Jürgen Boock hätte das schon immer klar sein müssen. Wenn sie sich jetzt enttäuscht und empört über sein Geständnis, in dem er seine maßgebliche Beteiligung an Morden der RAF zugab, geäußert haben, ist das nur entlarvend. Für sie muß folglich der Satz „Ich bin kein Mörder!“ das Ticket für ihr Engegament gewesen sein. Anders formuliert: Er hat diese Worte zwar selbst gesagt, sie wurden ihm aber auch von dieser Riege westdeutscher Intellektueller in den Mund gelegt, da er wußte, daß sie nur bereit waren, ihn gegen die Stammheimer Justiz zu unterstützen, wenn er „unschuldig“ war. Dafür hat er keine Verantwortung.

Was riskierten denn Boocks Unterstützer?

Alle prominenten Helferinnen und Helfer von Peter-Jürgen Boock, von Frau Gräfin Dönhoff ('Die Zeit‘) über Herrn Sternsdorff ('Der Spiegel‘) bis zu Herrn Sontheimer (taz) und freien Schriftstellern wie Peter Schneider, haben noch andere Gemeinsamkeiten, beispielsweise Kontakte oder wenigstens Sympathien zu den Menschen aus der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR und der anderen osteuropäischen Staaten. Alle diese Frauen und Männer jenseits des Eisernen Vorhangs gingen für ihre Überzeugung, für Bürger- und Menschenrechte in den Knast oder riskierten zumindest, verhaftet zu werden.

Was riskierten die westdeutschen Unterstützer von Peter-Jürgen Boock? Nimmt man ernst, was sie nach seinen Aussagen vom April von sich gaben, ging und geht es ihnen vor allem um ihren eigenen guten Ruf.

Sie gehören mit zu denen, die in diesem Land die öffentliche Meinung machen. Damit haben sie immer auch ihren guten Ruf in dieser Öffentlichkeit selbst hergestellt und gesichert; auf dem Weg nach oben und nicht etwa durch eine vergleichbare Bürgerrechtskritik an diesem Staat wie die osteuropäischen Oppositionellen.

West-Intellektuelle ohne Zivilcourage

Mit dem karitativen Engagement für Peter-Jürgen Boock — abgesichert durch seinen Satz: „Ich bin kein Mörder“ — bot sich ihnen ein gefahrloses Betätigungsfeld im Zusammenhang mit einer der wichtigsten innenpolitischen Auseinandersetzungen dieser Republik. Da es völlig legitim ist, als Angeklagter vor unseren Gerichten die Aussagen zu verweigern oder zu lügen, ist es spießig und absurd, sich jetzt über Peter-Jürgen Boocks Verhalten zu beklagen.

Zu fordern dagegen ist eine selbstkritische Auseinandersetzung der westdeutschen Intellektuellen mit ihrer Rolle in der seit 22 Jahren andauernden Auseinandersetzung zwischen Staat und RAF, damit dieser Konflikt endlich überwunden werden kann. Wenn es richtig ist, daß die RAF ein Resultat des Verfalls der Protestbewegung ist, genügt eine Selbstkritik allein nicht für die Aufarbeitung der 70er und 80er Jahre.

Die Integrität der westdeutschen Intellektuellen ist mit der maßlosen Hetze gegen Bischof Scharf, Heinrich Böll, Peter Brückner und einige wenige andere Anfang der 70er Jahre beschädigt worden, weil ein Großteil dieser Zunft es zuließ, daß diese wenigen verleumdet und zum Schweigen gebracht werden konnten. Statt gemeinsam Anfang der 70er Jahre in einer Bürgerrechtsorganisation gegen die Isolationshaft und die Intellektuellenhetze Widerstand zu leisten, haben sich die allermeisten individuell weggeduckt. Eine der Folgen dieses individuellen Wegduckens, dieser fehlenden Zivilcourage der westdeutschen Intellektuellen, ist die Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm gewesen.

Zur Erinnerung: Im dritten Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF gegen die Isolationshaft im Winter 1974/75 verhungerte Holger Meins am 9. November 1974. Am Tag darauf wurde der Westberliner Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann bei einem Entführungsversuch durch die Bewegung „2. Juni“ erschossen. Von da an waren die Gefangenen und ihre kleinen Unterstützergruppen in ihrem Kampf gegen die Isolationshaft völlig allein. Rudi Dutschke war der einzige westdeutsche Intellektuelle, der am Grab von Holger Meins seine Stimme erhob.

Nur aus dieser verzweifelten Situation ist es verstehbar, daß es am 24.April 1975, nach einem fünfmonatigen erfolglosen Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF, zur Besetzung der bundesdeutschen Botschaft in Stockholm kam. Erstmals kam es zu einer Aktion bundesdeutscher Militanter, wie sie bis dahin nur von palästinensischen Kommandos praktiziert worden war. Diese Eskalation und Brutalisierung im Kampf zwischen Staat und bewaffneten Gruppen ist bis heute unaufgearbeitet.

„Härte ist selten revolutionär“

Das Kommando „Holger Meins“ bestand aus Hanna Krabbe, Ulrich Wesel, Siegfried Hausner, Karl-Heinz Dellwo, Bernd Rösner und Lutz Taufer. Alle waren in sozial-revolutionären Zusammenhängen aktiv. Drei von ihnen kamen aus der Hamburger Hausbesetzerszene (Eckhofstraße) in die Antifolterkomitees, drei aus dem Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) in Heidelberg. Sie wollten 26 Gefangene befreien und erschossen die Botschaftsangehörigen Andreas von Mirbach und Heinz Hillegart. Durch die Detonation des Sprengstoffs, den sie in der Botschaft angebracht hatten, starb Ulrich Wesel. Siegfried Hausner erlitt dabei schwere Verbrennungen und wurde gegen den Rat schwedischer Ärzte wenige Tage später in die Bundesrepublik ausgeflogen. Er starb am 4.Mai 1975 auf der Krankenstation der JVA Stammheim.

Bernd Rößner — ein psychisches Wrack

Lutz Taufer schreibt dazu heute in einem demächst erscheinenden Buch zu dieser Aktion, „die wir sechs mit ebenso kompromißloser wie den gesellschaftlichen Prozessen gegenüber blinder Härte gegen die Geiseln wie auch gegen uns selbst gemacht hatten“: „Die nicht mehr anschlußfähige Härte dieser Aktion war auch für die RAF etwas Neues. Was hätten sie [die Gefangenen aus der RAF; K.J.] tun sollen? Uns kritisieren, uns in den Rücken fallen, die wir alles gegeben hatten, mehr als sich irgendwer je gedacht hatte? Ja, eine Kritik an uns wäre besser gewesen als die unreflektiert übernommene falsche Härte von Stockholm zur Grundlage kommender Jahre zu machen, Härte ist in den seltensten Fällen emanzipativ oder revolutionär.“ (Aus: PIZZA (Hg.), Krise der Linken, Verlag Libertäre Association, Hamburg 1992)

Eine vergleichsweise radikale Selbstkritik aus den Reihen westdeutscher Intellektueller ist mir nicht bekannt. Weil Zuschauerrollen nicht strafbar sind, lastet auf ihnen auch kein Druck zur kritischen Selbstverständigung — obwohl diese Gesellschaft immer noch weit von einer Ächtung der Isolationshaft entfernt ist. Die Empfindlichkeit für Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen im eigenen Land ist bei ihnen sehr gering.

Oder warum sind es wieder nur kleinste Grüppchen dieser Gesellschaft, die seit Monaten für die Haftentlassung von Bernd Rößner eintreten? Weil Bernd Rößner „ein Mörder“ ist? Bernd Rößner hat sich wie alle anderen Gefangenen aus der RAF, wie jedes einzelne Mitglied des Kommandos „Holger Meins“ von der bewaffneten Politik verabschiedet. Karl-Heinz Dellwo berichtete in einem Brief vom 4.März dieses Jahres über Bernd Rößners persönliche Erklärung zum Thema bewaffneter Kampf:

„Ich könnte nicht mehr bewaffnet kämpfen. Die Priorität ist Politik und nicht die Pistole.“ Zur Botschaftsbesetzung und der Geiselerschießung erklärte er: „Es tut mir leid, daß damals zwei Menschen umgekommen sind. Ich würdige die Toten der Gegenseite so, wie ich die Toten auf unserer Seite würdigen möchte.“

Bernd Rößner ist seit 17 Jahren in Haft, davon über die Hälfte der Zeit in Isolationshaft, und seit mehreren Jahren krank, so krank, daß er schon vor zwei Jahren von Repräsentanten der Staatsschutzbehörden als „psychisches Wrack“ bezeichnet wurde, das heißt, er ist haftunfähig. Aber genau darüber findet in typisch deutscher Rechthaberei ein Streit statt. Die alte Auseinandersetzung aus den 70er Jahren, ob es eine Isolationshaft gibt oder nicht, lebt in dem Streit, ob Bernd Rößner haftunfähig ist oder nicht, wieder auf. Was den Verantwortlichen in dieser Auseinandersetzung in der Bundesanwaltschaft völlig aus dem Blick gerät, ist Bernd Rößner selbst und die sogenannte Versöhnungsinitiative des ehemaligen Justizministers Klaus Kinkel.

Haftunfähige müssen entlassen werden!

Gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. med. Henning Saß kann die Bundesanwaltschaft zu dem Schluß kommen, daß Bernd Rößner zu krank ist, um entlassen werden zu können, daß er auch nicht direkt in die Klinik entlassen werden kann, die seine Anwälte für ihn gefunden haben. Er müsse erst auf die Therapie in dieser Klinik vorbereitet werden. Und wo? In einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt! Das wurde in einem Appell der Verteidiger von Bernd Rößner am 16.Juni 1992 der bundesdeutschen Öffentlichkeit mitgeteilt.

Wie konnte das bekannt werden, ohne heftigste Proteste auszulösen? Ein haftunfähiger Gefangener muß entlassen werden! Was hat eine geschlossene psychiatrische Anstalt mit „Versöhnung“ (Klaus Kinkel) zu tun? Wie soll sich ein nach 17 Jahren Haft schwer kranker Gefangener in einer geschlossenen Psychiatrie, in die er gegen seinen Willen verlegt werden soll, auf die Therapie mit Ärzten seines Vertrauens vorbereiten können?

Ich habe in meiner Haftzeit Gefangene erlebt, wenn sie aus der Psychiatrie zurückkamen. Sie waren vollgepumpt mit sogenannten Betonspritzen und liefen langsam und steif wie Roboter umher. Das war die Therapie. Alle Gefangenen in Langzeitgefängnissen kennen das. Kann es da verwundern, daß Bernd Rößner lieber weiter im Gefängnis bleiben will, selbst wenn sie ihn den Weg in die Psychiatrie als Vorstufe zur Freilassung schmackhaft zu machen versuchen?

Die Bundesanwälte tun so, als würden sie die Kinkel-Initiative voll mittragen. Wäre dies glaubwürdig, hätten sie bei der Begutachtung von Günter Sonnenberg und Bernd Rößner nicht nur die repressiven Kriminalpsychiater Saß und Bresser bestellt, sondern auch Gutachter ihres Vertrauens zugelassen. Wäre dies glaubwürdig, hätte die Bundesanwaltschaft vor Beginn der Begutachtung Stellungnahmen bei den Staatsschutzbehörden über Bernd Rößner eingeholt. Die Gutachter hätten dann in den Akten Stellungnahmen vorgefunden, in denen vom BKA und vom Verfassungsschutz festgestellt worden ist, daß Bernd Rößner seit vielen Jahren nicht mehr als „Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ eingestuft wird. Die Bundesanwälte haben gewußt, daß sie diese Stellungnahmen erhalten können. Haben sie sie deshalb nicht eingeholt? So mußten diese „Gutachter“ den Eindruck gewinnen, daß die Verantwortung allein bei ihnen liegt.

Es verwundert dann auch nicht, daß sich die letzte Seite des Saß-Gutachtens so liest wie alle Gutachten, deren Gutachter sich alle Hintertürchen offenlassen wollen. Außerdem ist Herr Saß offensichtlich empört und beleidigt, weil Bernd Rößner keine „dauerhafte Bereitschaft“ erkennen läßt, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Bundesanwalt getragen von ignorantem Geist

Entsprechend wüst spekuliert er am Ende des Gutachtens über Bernd Rößner. Da wird von der „Möglichkeit gefährlicher Zuspitzung im zwischenmenschlichen Kontakt“ fabuliert und eine „Rückkehr zu Extrempositionen der früheren Jahre“ für „naheliegend“ gehalten. Das sind Aussagen auf dem Niveau von Kaffeesatz-Astrologen, über die sich Sicherheitsexperten aus BKA und Verfassungsschutz, die ein Gelingen der Kinkel-Initiative wünschen, nur mit Verachtung äußern.

Ex-Generalbundesanwalt Rebmann hat vorige Woche im Fernsehen — wenige Minuten, nachdem er mit einem Foto des verhungerten Holger Meins konfrontiert war — erklärt, die Haftbedingungen seien nicht zu beanstanden gewesen. Von diesem ignoranten Geist hat sich die Bundesanwaltschaft bis heute nicht verabschiedet.

Wenn die Bundesanwaltschaft tatsächlich Bernd Rößner in eine geschlossene psychiatrische Anstalt verlegen kann, ohne daß die Bundesjustizministerin und das Bundespräsidialamt, wo seit einem Jahr das Gnadengesuch von Bernd Rößners Mutter auf dem Tisch liegt, intervenieren, ist alles in Frage gestellt, was in den letzten Monaten von beiden Seiten zur Beendigung des Konflikts Staat-RAF zustande kam.

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