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Mr. President's Wirtschaftssorgen

US-Wirtschaft weiter auf Talfahrt: Während sich George Bushs Berater um die richtige Haltung zum Desaster streiten, geht Herausforderer Clinton mit einem Wirtschaftsprogramm in die Offensive  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Wie ein Bauer, der in der Dürre nach Regen Ausschau hält, hat der US- Präsident in den letzten Wochen auf die erlösende Nachricht gewartet und gehofft: daß es endlich mit der Wirtschaft aufwärts geht — und damit auch mit der Wahlkampagne des George Bush. Ein paar Wolken schienen in Sicht, doch letzten Donnerstag zeigten die Statistiker im Arbeitsministerium mit den Daumen nach unten: Die Arbeitslosenrate, einer der bedeutendsten Faktoren in einem Wahljahr, ist im Juni um 0,3Prozent auf 7,8Prozent gestiegen. Damit sind nun knapp zehn Millionen Amerikaner ohne Arbeit. Am härtesten betroffen sind die elf großen Industriestaaten: In New York wuchs die Arbeitslosenquote sogar um 1,5 auf 9,2Prozent; Spitzenreiter ist Kalifornien, einstmals Synonym für wirtschaftlichen Boom, mit 9,5Prozent. Und wie schlecht es der US-amerikanischen Industrie geht, zeigen auch die jüngsten Wirtschaftsdaten: So ist beispielsweise der Auftragseingang der Industriebetriebe im Mai um 0,8Prozent zurückgegangen.

„Das sind keine guten Nachrichten“, erklärte Bush vor Journalisten — und wäre der Präsident nicht längst für seinen fehlenden Sprachwitz bekannt, könnte man das für trockenen Humor halten. Zwar sprang das „Federal Reserve Board“, die US-Notenbank, dem schwer angeschlagenen Präsidenten nur Minuten nach Bekanntgabe der Arbeitslosenzahlen zur Seite und tat, was dieser seit Wochen verlangt hatte: Sie senkte den Zinssatz von 3,5 auf drei Prozent — das ist das niedrigste Level seit 1963. Doch daß damit noch rechtzeitig vor den Wahlen am 3.November der erhoffte Regen herbeigezaubert wird, bezweifeln die Wirtschaftsexperten. Unter den Beratern des US-Präsidenten ist nun ein bitterer Streit ausgebrochen: Die einen empfehlen Bush, weiterhin Optimismus zu verbreiten und die Wähler mit dem „Leute es geht (irgendwann) aufwärts“-Motto bei Laune zu halten; die anderen, allen voran Michael Boskin, halten eine etwas besorgtere Miene für angemessener, „damit die Leute nicht den Eindruck bekommen, der Mann verliert Kontakt zur Realität“.

Diese Probleme hat Bushs Konkurrent Bill Clinton nicht. Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten konnte in den letzten beiden Wochen sichtbar an Boden gewinnen. Denn während George Bush in erster Linie damit beschäftigt war, sich mit Ross Perot und dessen Einsatz von Privatdetektiven gegen die Familie Bush herumzuschlagen, ging Clinton mit seinem Wirtschaftsprogramm hausieren. Was schon allein deshalb auffiel, weil er der einzige der drei Kandidaten ist, der eines hat.

„Ein kühner Plan“, so nennt Clinton sein Programm gern. 22 Seiten umfaßt das Wahlkampfpapier mit dem Titel „Putting People First“, in dem der Staat als Wirtschaftsmotor eine entscheidende Rolle spielt: 200 Milliarden Dollar will Clinton in seinen avisierten vier Amtsjahren in die Infrastruktur stecken. 20 Milliarden jährlich sollen in einen „Rebuild America“-Fonds fließen, um den Wiederaufbau des maroden Autobahnsystems, Investitionen in das Eisenbahnnetz, Rüstungskonversion sowie die Sanierung ökologisch geschädigter Industriegebiete zu finanzieren. Weitere 30 Milliarden Dollar will Clinton in den Erziehungs- und Ausbildungsbereich stecken. Aus einem „National Service Trust“ soll sich jeder High-School-Absolvent das Geld für ein College-Studium leihen können. Der Kredit könnte dann abgearbeitet werden, indem sich die Absolventen für zwei Jahre im öffentlichen Dienst verpflichten.

Für High-School-Abgänger, die nicht auf die Universität wollen, will der Präsidentenanwärter nach europäischem Vorbild eine Lehrlingsausbildung einführen — bislang in den USA völlig unbekannt. Clinton verspricht sich davon vor allem qualifiziertere Arbeitskräfte und damit mehr Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt. Gerade die gravierenden Qualifikationsmängel, deren Ursache das schlechte Ausbildungssystem ist, haben Experten als eines der schwerwiegendsten Probleme für die US-Wirtschaft ausgemacht.

Das Kühne an Clintons Plan liegt vor allem in seiner Behauptung, er könne gleichzeitig das gigantische Haushaltsdefizit der USA reduzieren. Die Staatsverschuldung beträgt inzwischen vier Billionen Dollar, das Haushaltsdefizit beläuft sich in diesem Jahr auf 390 Milliarden Dollar. Zu Beginn des Wahlkampfs war Clinton noch mit dem Vorsatz angetreten, bis 1996 ein ausgeglichenes Budget präsentieren zu können. Um sich jetzt im Endspurt von den Republikanern nicht den Vorwurf haltloser Versprechungen anhören zu müssen, hat er die Trauben etwas tiefer gehängt: Auf rund 150 Milliarden Dollar soll das Haushaltsloch für 1996 verkleinert werden.

Den veranschlagten Ausgaben und dem Defizit stehen auf der „Habenseite“ 300 Milliarden Dollar gegenüber, die Bill Clinton durch Einsparungen im Haushalt und durch Steuererhöhungen eintreiben will. Das Pentagon soll mit insgesamt 140 Milliarden Dollar am meisten Federn lassen. Wohlhabende Senioren will er bei der Krankenversicherung stärker zur Kasse bitten und überhaupt das gesamte Gesundheitswesen reformieren. Amerikaner mit einem Jahreseinkommen über 180.000 Dollar sollen künftig ebenso höher besteuert werden wie ausländische Unternehmen mit US-Niederlassungen. Das macht auf der Clintonschen Rechnung insgesamt noch einmal 150 Milliarden Dollar aus.

Auf scharfe Kritik stießen bereits in der eigenen Partei die versprochenen Steuererleichterungen für die mittleren Einkommensgruppen. Clinton hat sie inzwischen um die Hälfte zusammengestrichen — ein Zugeständnis, mit dem sich der Spitzenkandidat die Unterstützung seines ehemaligen Konkurrenten Paul Tsongas auf dem Parteitag der Demokraten in diesem Monat versichern will. Tsongas hatte solche Steuererleichterungen immer als „wirtschaftlich unverantwortlich“ abgelehnt.

Nun ist das Wirtschaftsprogramm eines Präsidentschaftskandidaten in erster Linie nicht darauf angelegt, die Wirtschaft zu sanieren, sondern Wahlen zu gewinnen. Kritiker halten die versprochene Reduzierung des Defizits für faulen Zauber. Bestenfalls um 15 Milliarden Dollar, so rechnete das 'Wall Street Journal‘ vor, könne Clinton mit seinem Programm das Budgetdefizit verkleinern. Clinton aber avisiert eine Reduktion um insgesamt 142 Milliarden und hofft dabei auf Wachstumsraten, die, wie auch Präsident Bush erfahren mußte, keineswegs auf Bestellung geliefert werden. Unwahrscheinlich ist auch, daß sich der neue US-Kongreß im Fall von Clintons Wahl auf dessen Ausgabenprogramm einläßt.

Und so dürften die meisten Seiten des Kapitels „Put People First“ im Falle seiner Wahl in den Papierkorb wandern. Aber, wie gesagt, Clinton ist bislang der einzige der drei Präsidentschaftskandidaten, der sich mit ökonomischen Sachfragen zu profilieren versucht. „Manchmal kommt einem selbst ein Zelt wie ein Wolkenkratzer vor“, bemerkte kürzlich ein Wirtschaftsexperte in einer Fernsehdiskussion, „wenn drumherum nur Wüste ist.“

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