: Wie der Eiscreme die Seele eingehaucht wird
■ Von der Ursuppe zum zarten Mundschmelz: Jeder Bremer verputzt neun Liter Fabrikeis pro Jahr
Noch ist nichts zu erahnen von ihrer endgültigen Bestimmung: „Astroman“ und „Schlumpfi“, „Grand-Prix Walnuß-Bourbon- Vanille“ und die „Eisrolle Windsor“ dümpeln im Aggregatzustand Ursuppe in zwei 5.000-Liter-Edelstahlbottichen vor sich hin. Nichts in dieser vanillefarbenen, nach Butter riechenden Flüssigkeit weist auf Industrie- Eis-Kreationen hin, nichts auf den zarten Schmelz zur Befriedigung sommerlicher Gelüste.
In diesen Bottichen der In der Pasteurabteilung beginnt bei der Eiskremfabrik Warncke in Schwanewede die Erstarrung der Dinge. Hier fließt durch ein Rohrgewirr zusammen, was einmal in den Tiefkühltruhen der Nation landen soll: Hektoliter eingedicktes Magermilchkonzentrat, tonnenweise Zucker und geschmolzene Butter, die auf dem Gang in in 500-Kilo-Packs lagert. Das alles auf 80 Grad erhitzt und gut gerührt: Fertig ist die Grundmischung, die nun in der Mixküche verfeinert wird.
Aus riesigen Vorratstanks werden nach festen Vorschriften und Rezepturen die Zusatzstoffe in Töpfe gegeben, die vor Kälte dampfen. Erdbeersirup, Kakaopulver, Kokosfett etc.. Ein Rezeptbuch für die 200 verschiedenen Warncke-Produkte gibt es tatsächlich. Abgesehen von kleinen, handgemalten Zeichnungen, die zeigen, wie die Schleckerei aussehen soll, lassen sich daraus hauptsächlich Dinge wie die EDV-Nummer des Produktes entnehmen, die erforderliche Taktzahl der Maschinen und der vorgeschriebene Fettgehalt.
Denn eine Eiscreme, so das Lebensmittelrecht, muß mindestens einen Anteil von 10 Prozent Milchfett enthalten. „Das ist der Unterschied zum Fruchteis — der warme Mundschmelz einer Eiscreme...“, erklärt Fertigungsleiter Landau.
Bis es mit dem zarten Mundschmelz soweit ist, dauert es noch ein bißchen. Die fertige Mixtur — eine milchige Emulsion — ließe sich nicht einfach so gefrieren. In einem sogenannten „Freezer“ wird in diese Flüssigkeit komprimierte Luft eingepustet: „So erhält die Eiscreme ihre Seele“, sagt Betriebsleiter Riegert voller Stolz. „Das ist das Geheimnis der Eiscremeschöpfung.“
Der eher unscheinbare Geheimnisträger, ein kleiner, viereckiger Stahlkasten, verschwindet fast im Maschinenpark der riesigen Fabrikationshalle. Ein Durcheinander von Rohren und Förderbändern zieht sich durch die ganze Halle. Zwei riesengroße, bis an die Decke reichende Tiefkühlschränke — Innentemperatur: minus 45 Grad - beherrschen das Bild. Mal riecht es nach Amarena, mal nach Schokolade, mal nach gar nichts. Die Maschinen machen einen Höllenlärm.
Aus einem Rohr quillt ununterbrochen Erdbeereismasse - der Strang wird jeweils nach zehn Zentimetern automatisch abgeschnitten, das Stück plumpst in einen Becher. Deckel drauf, Haltbarkeitsdatum — zwei Jahre — draufcodiert und per Förderband ab zum 45minütigen Gefrieren in das „Tiefkühlmöbel“, wie der Betriebsleiter es nennt — fertig ist die 1.000-ml-Familienpackung „Fraise“. Die 5.000-ml-Packungen werden per Hand abgefüllt. Eine Frau quast mit einem Schlauch die Masse in die Behälter und ab geht's in die Tiefkühlabteilung.
9.000 bis 15.000 Portionen Stückeis erkalten pro Stunde in den sogenannten „Rundgefrierern“: Innerhalb einer 15minütigen Umdrehung wird die Eismasse in Formen gefüllt, schockgefroren und wieder herausgezogen. Dieselbe Maschine tunkt das Eis zur Hälfte in Schokoladenglasur und pappt ihnen zwei Waffeln an — fertig ist der „Eiskluten“. Direkt anschließend werden die Stücke verpackt.
Aus den Rohren einer anderen Maschine quellen kleine Männchen: der Kopf Vanille, Augen und Mund Erdbeer. Als Nase werden bunte Kaugummis hineingepreßt. Ganze Eistorten entstehen durch die richtige Rohrkombination, die da einen Hauch Schoko, dort einen Klecks Kirsch beifügt. Machen die Maschinen mal einen Fehler, platscht das mißratene Stück in einen der großen Plastikeimer. Von diesem Inhalt könnten sich ganze Kindergeburtstage ernähren.
In der Entwicklungsabteilung steht die ganze Eisfabrik nochmal in klein: Hier kreiert und erprobt eine gelernte Hauswirtschafterin neue Produkte — der Markt schläft nicht. Die Angestellten werden das Eisschlecken einfach nicht leid: In der Kantine steht eine große Eistruhe, aus der sich alle nach Herzenslust bedienen können — „die müssen wir im Sommer mehrmals am Tag nachfüllen“, erzählt Riegert. Und er selber muß jeden Tag an einer Verkostung teilnehmen — „mit Wonne“, wie er betont, „und man siehts' auch“ — genüßlich streicht er sich über den Bauch. 20 Millionen Liter Milch, 1,5 Mio. Kilo Butter und 2 Mio. Kilo Zucker hat Warncke im letzten Jahr zu Eis verarbeitet — heraus kamen 197 Millionen Stückeis, vom Stieleis bis zur 5-Liter-Dose. Und die Deutschen stürzten sich mit Wonne darauf: Pro Kopf verputzen sie nämlich etwa neun Liter im Jahr. Susanne Kaiser
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