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Ende einer Spielzeit

Ohrenbetäubende Inkompetenz: Hindemiths „Neues vom Tage“ in der Lindenoper. Ein Rückblick auf eine weitgehend stimmlose Saison an den Berliner Opern, von denen mindestens eine zuviel ist.  ■ Von Elisabeth Eleonore Bauer

Zum Auftakt der letzten Premiere am vergangenen Freitag trat ein grauer Herr vor den Vorhang der Berliner Lindenoper und kündigte abermals Abgang an. Ausgefallen war diesmal die Primadonna (lädierte Stimmbänder, kann jedem passieren); Nachsicht erbeten für die kurzfristig eingesprungene Ersatzlösung (klar doch, geht in Ordnung, freundlicher Applaus). Doch dann kam's: Der Herr konnte sich's nicht verkneifen und kommentierte das Malheur mit einem launigen Zitat aus dem fünften Bild des Werkes, das zu erwarten war: „Es ist zu ertragen, man kann's überwinden, zweifellos läßt sich Angenehmeres denken.“ Und schon machen sich die Gedanken frei: Was, bitte sehr, ließe sich Angenehmeres denken für eine Hauptstadt als drei florierende Opernhäuser in belebender Konkurrenz? Oder, anders herum und immer mal wieder nachgefragt: Wieviele Opernhäuser kann Berlin überhaupt ertragen? Überwinden? Bezahlen? Na?

Die Antwort ist einfach und beinahe täglich der Presse zu entnehmen: Erstens, bezahlt wird nicht. Hammwanich und könnwanich. Zweitens, jede Hauptstadt hat genau die Oper, die sie verdient. Früher zum Beispiel hatte hüben die Hauptstadt der DDR ihre frisch verblattgoldete und leicht ranzige alte Lindenoper (LO), hatte drüben die Insel das neue internationale Imponierhaus Deutsche Oper (DO); und dann war da noch, als gutes künstlerisches Gewissen für beide Seiten, die kleine, feine Komische Oper von Kupfer (KO). Billig war das freilich nicht, aber angenehm und gut angelegt, denn mit Oper läßt sich repräsentativ Staat machen wie mit keiner anderen Kunstgattung sonst. Hier und heute dagegen braucht die designierte Bundeshauptstadt eigentlich augenblicklich nur noch ein designiertes Opernhaus. Ob's darin Oper gibt, oder ob die Linde rauscht, das scheint vorläufig ziemlich piepe.

In der Tat eine scheußliche Situation: dreimal die Zauberflöte, dreimal Don Giovanni, drei Opernhäuser, dreifach Subventionen weggeschluckt wie nichts — und das alles ganz ohne politische Begründung! Kein Wunder, daß da manch ein Senator auf populäre Gedanken kommt und nachfragt: Was ist wichtiger für die verdoppelte und doppelt gedrosselte Stadt, die Müllabfuhr oder die Musentempel? Wollnwanich wenigstens ein Opernhaus mal ein bißchen dicht machen? Gewiß, das Gerücht von der drohenden Schließung der DO war so gespenstisch schnell wieder vom Tisch, wie es aufgebracht wurde — nur: gesagt ist gesagt, die Fama hat lange Beine, und irgend etwas bleibt immer hängen.

Vor allem aber hat dieser kulturpolitische Zwischenakt zum Ende der Saison noch einmal klar gemacht, wohin der Hase läuft. Die Entscheidung ist längst gefallen, die designierte repräsentative Staatsoper wird, aus bloßen Renommiergründen, der alte Knobelsdorff-Kasten in Berlin-Mitte werden. Entsprechend groß ist jetzt schon die Klappe des neuen Intendanten Quander, entsprechend größenwahnsinnig sind die Pläne der LO für die kommende Jubiläumsspielzeit: vom Opernball bis zum Open-Air-Spektakel qualmt und quandelt es mächtig. Mit den tatsächlichen Möglichkeiten des Hauses, metropoles Musiktheater zu machen, hat das gar überhaupt nichts zu schaffen, ganz im Gegenteil: So jammervoll provinziell wie neuerdings ging es noch nie zuvor zu an diesem sich selbst abwickelnden Hause, und es mag wohl (hilf Barenboim!) noch Jahrzehnte dauern, bis der Mief sich wieder verzogen hat.

Ginge es also nach rein künstlerischen Kriterien, nach Leistung, Format und Ökonomie, dann hätte von Rechts wegen die DO zur Staatsoper deklariert werden müssen: Dort fand und findet einzig noch repräsentable Oper statt, dort sind Graben und Bühne groß genug für den fettesten Strauss, Wagner oder Verdi, sind Ensemble und Spielplan auf zack. Nur leider, wie sähe das, rein architektonisch, bloß aus: der Kanzler ganz demokratisch wie Jedermann in einer Reihe, oben offen auf dem ersten Rang — und ein Staatsakt wie im Schwimmbad, ganz nüchtern, nackt, ohne Lüster und Blattgold?

Die Bilanz dieser ersten Spar-Saison: In der KO ist seit Katzers Antigone rein gar nichts mehr los, da rieselt nur noch der Kalk. In der LO hat man mit viel Tamtam ein paar Wiederaufnahmen und nach mehrfacher Verschiebung eine blamabel miserable Afrikanerin auf die Beine gestellt. Die DO, mit immerhin drei Neuproduktionen, steckte die einzig nennenswerten Glanzlichter auf. Was zu Beginn der Saison als großer Wurf geglückt war: die neue Zauberflöte in der Regie von Günter Krämer — das brachte sogar noch neulich bei der 24. Aufführung volles Haus und ein Musikfieber wie zur Premiere. So atemberaubend treffsicher die Inszenierung, so traumwandlerisch leicht die Balance zwischen Parabel und Zauberstück, so hinreißend das Sängerensemble und das Orchester, daß das gesamte Publikum am Ende gar nicht mehr heimgehen wollte und sich glänzenden Auges sehend immer noch die Hände rotklatschte, als sich der Orchestergraben längst geleert hatte und die Kontrabässe schon eingepackt waren.

Übrigens: für die kurzfristig erkrankte Sängerin der ersten Dame der nächtlichen Königin hatte die DO an diesem Abend ohne Reibungsverluste Ersatz zu schaffen gewußt. Die gleiche Sängerin (Brigitte Eisenfeld), immer noch ohne Stimme, agierte eine Woche drauf stumm in der letzten Premiere der LO, mit erheblichen Einbußen seitlich vom Stehpult aus besungen von einer eingesprungenen Kollegin.

Weder ihr noch Eisenfeld sei aus diesem Malheur ein Strick gedreht — zweifellos läßt sich Angenehmeres denken als notwendig einprogrammierte Playback-Pannen wie etwa die, daß die eine zu früh den Mund aufmacht und die andere zu spät einsetzt (zum Glück gab es nicht allzu viele Zeugen: das Haus war, an diesem Premierenabend, zu nur zwei Dritteln besetzt).

Es ist, zugegebenermaßen, eine erste Zauberflöten-Dame leichter zu haben als eine passable Hauptpartie für die selten gespielte Hindemith- Oper Neues vom Tage. Aber immerhin hat es diese Rarität auch schon anderswo in der Republik gegeben (zum Beispiel vor fünf Jahren in Bielefeld, und zwar mit weitaus weniger finanziellen Mitteln um Längen besser). Probenzeit für einen echten Austausch wäre auch reichlich vorhanden gewesen — außerdem und obendrein: Seit wann ist es üblich, Neuproduktionen an einem großen Haus zu planen ohne eine zweite Besetzung?

In allen drei Berliner Opernhäusern führt derzeit der Rotstift die Regie. In der LO kommt strafverschärfend hinzu: die ohrenbetäubende Inkompetenz der Leitung. Und wie schon der graue Herr vor Heben des Vorhangs so launig zu sagen wußte: „Man kann's überwinden.“ Dann hob sich also der Vorhang zur allerletzten Premiere der Saison: Neues vom Tage von Paul Hindemith — auf alte Tante geschminkt von vorvorvorgestern. Das Stück ist quasi eine Jugendsünde des Meisters aus seiner frühen Bürgerschreck-Phase, komponiert nach einem Textbuch des Kabarettisten Marcellus Schiffer, uraufgeführt 1929 an der Krolloper unter Otto Klemperer und randvoll mit respektlosen E-Musik-Zitaten und gefällig derangierten Operettenschlagern. Eine Zeit-Oper, die es faustdick hinter den Ohren hat — und es ist gewiß gut, daß sie endlich wieder in Berlin auf dem Spielplan steht. Besser wärs freilich gewesen, wenn sie nicht gar so biedermeiermäßig brav über die Bühne gegangen wäre; wenn der Regisseur (Horst Bonnet) nicht so stur auf das Gold der Zwanziger Jahre geschielt, nicht so harmlos hohl auf Revue-Klamotte gesetzt (große Geste, lange Beine, viel Gehampel, nichts dahinter) und sich mehr um das Blech der Neunziger bekümmert hätte; und wenn schließlich der Dirigent (Hanns-Martin Schneidt) nicht so geräuschvoll dick aufgetragen und ein bißchen mehr Platz gelassen hätte für die feinen ironischen Pointen, die diese Musik wohl auch zu bieten hätte.

Gesungen wurde gut. Bis auf, wie gesagt, besagte Playback-Panne ausgerechnet im fünften Bild. Wo die Dame von Welt nackt in der Hotelbadewanne sitzt, überrascht erst vom Liebhaber, dann von der Geliebten des Liebhabers, vom gesamten Personal und von der Öffentlichkeit. Und wo alle miteinander ausholen zum großen glanzvollen Opern-Finale: Ende einer Spielzeit.

Paul Hindemith: Neues vom Tage. Musikalische Leitung: Hanns- Martin Scheidt, Regie: Horst Bonnet, Bild: Alfred Hirschmeier. Deutsche Staatsoper Berlin, nächste Aufführung am 2.September.

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