: Soziale Sprengkraft-betr.: "Jeder zweite im Osten ausländerfeindlich", taz vom 23.6.92
betr.: „Jeder zweite im Osten ausländerfeindlich“, taz vom 23.6.92
Nun gibt es also eine Studie über den Rechtsruck bei der ostdeutschen Jugend. Nur helfen uns Untersuchungen dieser Art wenig weiter, wenn ihre Ergebnisse nicht in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden. Natürlich haben es die Jugendlichen in den neuen Bundesländern schwerer, unter einer alles erdrückenden Propaganda-Glocke aufgewachsen, jetzt plötzlich emotionslose und kritische eigene Standpunkte zu entwickeln. Der einzige Grund für ihr Abdriften nach rechts ist dies aber sicher nicht.
Würde man einmal eine ähnliche Befragung unter westdeutschen Jugendlichen machen, die in einer vergleichbaren sozialen Lage sind — arbeits- und perspektivlos, in depremierenden Wohnverhältnissen lebend —, würde man auch bei ihnen einen Rechtsruck feststellen. Es handelt sich also um ein gesamtdeutsches Phänomen, das an den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen deutlich erkennbar war.
Zahlen sind aber scheinbar nicht so geeignet, Probleme zu veranschaulichen. Sie beeindrucken, wenn überhaupt, nur kurzfristig. Wer sich selbst ein Bild von der bedrohlichen Stimmungslage in den sozial benachteiligten Regionen machen möchte, sollte sich nur einmal die Wandschmierereien in den Wohnsilos ansehen und mit den dort lebenden Jugendlichen sprechen. Er wird erschrocken sein über die soziale Sprengkraft, die ihm da entgegenschlägt. Wolfgang Lütjens,
Deutsche Hilfe für Kinder von
Arbeitlosen e.V., Hamburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen