Nukleare Zeitbomben

■ Der Gemeinschaftsfonds für Osteuropas Atomkraftwerke ist geplatzt

Nukleare Zeitbomben Der Gemeinschaftsfonds für Osteuropas Atomkraftwerke ist geplatzt

Die Bundesrepublik und Frankreich haben gestern in München mit ihrer Idee eines Gemeinschaftsfonds zur „Ertüchtigung“ der osteuropäischen Reaktorinvaliden offenbar eine Bauchlandung vollzogen. Der geplante Hilfsfonds mit einer klaren Finanz- und Verantwortungsteilung für die vorgesehenen Nachrüstmaßnahmen der morschen Ost-Meiler wurde von den USA, Kanada und Japan abgebügelt. Vor allem der Bonner Umweltvorsteher Töpfer hatte die Einrichtung eines großen Atomtopfes der sieben Reichen seit Monaten vorangetrieben und sich dafür nach eigenem Bekunden die „Hacken abgelaufen“. Vergeblich. Es blieb gestern bei vagen Absichtserklärungen. Möglicherweise werden Hilfspakete im Rahmen von sogenannten Patenschaftsmodellen einzelner Länder und über die OECD geschnürt. Diese Regelung ist erstens unverbindlich und bietet den USA, Kanada und Japan zweitens bessere Chancen, den Daumen auf ihrem Geld zu halten und dafür zu sorgen, daß die jeweils eigenen Atomindustrien von den Nachrüstaufträgen profitieren.

Die Hilfsmaßnahmen für die Meiler im Osten sind nämlich alles andere als ein karitatives Mutter- Teresa-Programm. Geholfen werden soll nicht nur den armen Russen mit ihren Katastrophenreaktoren, sondern vor allem der westlichen Atomindustrie, deren Auftragsbestände weltweit gegen Null tendieren. Der neue Markt im Osten bietet hier glänzende Möglichkeiten. Claus Berke vom Deutschen Atomforum hat die Höhe der notwendigen Investitionen auf 16 bis 18 Milliarden Mark beziffert. Zudem: Sollte es gelingen, über Nachrüstgeschäfte den Fuß in die Türe zu kriegen und die westliche Atomtechnik als sicherheitstechnischen Wunderknaben anzudienen, könnte vielleicht schon bald der Bau eines kompletten Atomkraftwerks realisiert werden, so die Hoffnungen der Branche. Die Atomindustrie selbst hat noch aus einem ganz anderen Grund ein handfestes Interesse an der Nachrüstung im Osten. Sie weiß sehr genau, daß sie einen zweiten Super-GAU in Osteuropa auch im Westen nicht überleben würde.

Der Ausstieg als sicherste Art, ein zweites Tschernobyl zu verhindern, war in München kein Thema. Am Fortbestand der GUS-Atomkraftwerkparks wurde von keinem der sieben Regierungschefs gerüttelt. Hilfen, die nicht in die „Ertüchtigung“ der Atommeiler, sondern in den ökologischen Umbau des Energieparks fließen, haben die GUS-Staaten nicht zu erwarten. So werden die nuklearen Zeitbomben in Osteuropa in jedem Fall erhalten bleiben. In München wurde lediglich die Frage diskutiert, ob die Zündschnur ein wenig, etwas mehr oder überhaupt nicht verlängert wird. Nach der unverbindlichen Entscheidung von gestern geht die Tendenz eher zu sehr kurzen Schnüren. Manfred Kriener