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G-7: Landkorridor nach Bosnien

■ Die „Sieben“ schließen in ihrer Gipfelerklärung militärisches Eingreifen in Bosnien-Herzegowina nicht aus/ Kosovo soll Autonomiestatus erhalten/ KSZE-Ausschluß Serbiens gefordert

München/Sarajevo (ap/taz) — Werden die USA nach der Luftbrücke nach Sarajevo nun auch einen Landkorridor in die umkämpfte bosnische Hauptstadt eröffnen? Werden Sie die Aufrechterhaltung der Luftbrücke mit militärischen Mitteln ermöglichen? Diese Fragen stellen sich nicht nur die seit Monaten hungernden BürgerInnen Sarajevos, sie wurde auch von Teilnehmern und Beobachtern des Münchner Weltwirtschaftsgipfels der sieben wichtigsten Industrieländer „G-7“ heftig diskutiert. Eine erste Antwort enthält die „Sondererklärung zur Lage im früheren Jugoslawien“, die die sieben Staats- und Regierungschefs am Dienstag verabschiedeten: Der UN- Sicherheitsrat, so heißt es da, müsse gegebenenfalls auch „andere Maßnahmen zur Durchsetzung seiner humanitären Ziele in Erwägung ziehen, wobei militärische Mittel nicht ausgeschlossen werden“. Außerdem, so die dreiseitige Erklärung der USA, Kanadas, Großbritanniens, Japans, Frankreichs, Italiens und Deutschland weiter, könne die Luftbrücke nach Sarajevo nur der Anfang umfassender humanitärer Bemühungen sein. Sicherer Zugang auf dem Landweg auch in andere notleidende Teile der Republik müsse gewährleistet werden. Welche „anderen Teile“ der Republik bald Hilfe brauchen könnten, wurde noch am gleichen Tag deutlich: Im Norden Bosniens sollen serbische Truppen die Stadt Derventa eingenommen haben. Der Grund für die heftigen Kämpfe, bei denen beide Seiten zehntausend Mann zusammengezogenn haben sollen, ist die strategische Bedeutung des Gebietes: Gewinnen die Serben, können sie entlang des Grenzflusses zu Kroatien einen Korridor bis in die Serbenenklave Krajina ziehen. Gewinnen die Kroaten, sind große Teile der serbischen Gebiete in Bosnien- Herzegowina von Neu-Jugoslawien abgeschnitten.

Serbische Führung trägt Hauptverantwortung

Während die „Sieben“ einerseits Serbien die Hauptverantwortung für den einjährigen Bürgerkrieg anlasteten, warnten sie andererseits alle betroffenen Parteien davor, die Hilfslieferungen nach Sarajevo weiter zu behindern: „Wir betonen, daß Serbien und Kroatien die territoriale Unversehrtheit Bosniens-Herzegowinas respektieren müssen und daß alle militärischen Kräfte, die der Befehlsgewalt der Regierung Bosnien- Herzegowinas unterstehen entweder zurückgezogen oder aufgelöst und entwaffnet werden müssen.“

Eine klare Aufforderung zur Konfliktschlichtung — und eine deutliche Warnung an Serbien — enthält auch der Passus der Erklärung, der sich mit der früheren autonomen serbischen Region Kosovo beschäftigt: „Wir fordern die serbische Führung dringend auf, Minderheitenrechte in vollem Umfang zu respektieren, sich weiterer Unterdrückung im Kosovo zu enthalten und in einen ernsthaften Dialog mit Vertretern Kosovos einzutreten.“ Ziel müsse es ein, einen Autonomiestatus im Einklang mit den Beschlüssen der EG-Friedenskonferenz für Jugoslawien festzulegen. Die Sieben stellten fest, daß sie Serbien und Montenegro nicht als alleinige Nachfolgestaaten Jugoslawiens anerkennen würden. Daher forderten sie die Suspendierung ihrer Delegation von der KSZE sowie anderen internationalen Organisationen.

Sarajevo fordert: „Gebt uns Waffen“

Welche Hilfe Sarajevo von der UNO tatsächlich erwartet, wird in den Vorschlägen deutlich, die die Eingeschlossenen der Hauptstadt über radio Bosnien mitteilen. „In einer Blitzaktion muß Amerika den Belgrader Flughafen einnehmen — das reicht schon.“ Solche Sendungen mit praktischen Tips bringt der Hauptstadtsender mehrmals täglich. Meist sind es aber keine Tips zum Überleben, sondern Gedanken und Ideen, die die Bürger loswerden wollen. Und da in Sarajevo außer Flugblättern keine Zeitungen mehr erscheinen, das Fernsehprogramm wegen technischer Schäden meist ausfällt, ist der Radiosender das einzige Forum von Öffentlichkeit. Nur in den Erklärungen der Politiker wird internationaler Hilfe viel Lob gezollt, hat aber das Volk das Wort, mischt sich unter Dank viel Kritik. „Wie sollen wir mit den Almosen zurechtkommen“, „Lebensmittel allein genügen nicht — gebt uns Waffen“, „Wir wollen nicht im Ghetto ausharren, wann läßt man uns ausfliegen?“ Des Volkes Stimme fragt auch kritischer: „Was hat Europa bisher getan, mit Waffen wären wir weitergekommen“. Pazifistische Worte sind verstummt. Militante Töne der Verzweiflung werden nicht mehr verhehlt: „Wir werden uns rächen für alle Toten und Verhungerten — nieder mit den serbischen Faschisten!“ oder auch: „Es gibt viele Sarajevos und sie gehen unter wie das Warschauer Ghetto — Europa läßt uns verhungern.“

Noch schärfer dürften solche Töne werden, wenn es in den nächsten Tagen nicht gelingen sollte, die Versorgungslieferungen zu erweitern. Vorerst mußten am Dienstag nachmittag die Flüge wegen schlechten Wetters eingestellt werden. hof/her

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