: Wundertüte oder Schönwetterkonzept?
Investivlöhne sollen im Osten zum Aufschwung verhelfen — doch die Modelle enden in der Sackgasse ■ Von Alexander Spermann
Die Idee ist einfach und faszinierend: Arbeitnehmer stellen Unternehmen einen Teil ihrer Lohnerhöhungen zur Verfügung. Die Unternehmen erhalten so zusätzliches Kapital, um Investitionen zu finanzieren. Damit wiederum sollen Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden. Unternehmer und Belegschaften ziehen sich auf diese Weise gegenseitig aus dem Sumpf. Ist der Investivlohn das Wundermittel für den Aufschwung Ost?
Ulf Fink, CDU-Vorsitzender in Brandenburg und stellvertretender DGB-Chef, jedenfalls glaubt an den Erfolg der Investivlohn-Idee. Er erwartet einen „Aufschwung durch Arbeitnehmer-Kapital“, wenn der Bund mit einem entsprechenden Investivlohngesetz die Initialzündung für tarifvertragliche Vereinbarungen geben würde. Und das, obwohl der Investivlohn nicht einmal geringere Lohnkosten für die Unternehmen mit sich bringt. Das Land Sachsen hat den Investivlohn sogar als ideales Modell für strittige Tarifverhandlungen empfohlen. Doch die Gewerkschaften spielen da vorerst nicht mit. Sie wollen, sofern sie sich überhaupt für diese Idee erwärmen können, Investivlöhne nicht zu schlichten Kapitaleinlagen für die Unternehmen werden lassen.
Diskutiert werden zur Zeit verschiedene Investivlohn-Varianten. Fink argumentiert mit der weitesten Definition des Investivlohns. Nach diesem Modell verzichten die Arbeitnehmer auf die Auszahlung eines Teils ihres Lohnes. Der nicht ausgezahlte Teil — beispielsweise zwanzig Prozent der vereinbarten Lohnsteigerung — ist ihr investiver Lohnanteil. Er muß von den Arbeitnehmern zwangsweise gespart werden und wird den Arbeitgebern entweder als Fremdkapital in Form von Arbeitnehmerdarlehen zur Verfügung gestellt oder als Eigenkapital in Belegschaftsaktien angelegt. Für Darlehen erhalten die Beschäftigten eine feste Verzinsung; bei Aktien lockt eine Dividende. Vor allem das zweite Modell birgt Chancen und Risiken: Floriert das Unternehmen, kassieren die Arbeitnehmer über ihre Eigenkapitaleinlage mit. Dafür sind sie am Risiko des Unternehmens beteiligt.
Die IG Chemie setzt sich für ein Investivlohn-Gesetz ein, um die Eigenkapitalanlage in einem „Branchenfonds Chemie“ zu ermöglichen. Mit dem Geld soll dann Strukturpolitik betrieben werden. „Branchenfonds ermöglichen eine breite Riskostreuung“, unterstreicht Gottlieb Förster von IG Chemie den Gewerkschaftsvorschlag. Der entscheidende Vorteil: Ein Arbeitnehmer ist zwar immer noch dem Risiko ausgesetzt, seinen Job zu verlieren. Daran ändert auch der Investivlohn nichts. Aber es kommt kein Vermögensrisiko mehr hinzu. Denn ohne Branchenfonds würde er bei einem Konkurs seiner Firma nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch sein im Unternehmen angelegtes Kapital verlieren.
Gegen solche Branchenfonds haben die Arbeitgeber bereits ordnungspolitische Bedenken angemeldet — sie sehen sich dadurch in ihrer unternehmerischen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. „Eine Ausweitung der Mitbestimmung über Branchenfonds kommt für uns nicht in Frage“, sagt Holger Eisold von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Für die Firmen bringe eine solche Lösung wenig, so wird argumentiert, außerdem sei der Kapitalbedarf gar nicht das drängendste Problem ostdeutscher Unternehmen.
Daß dennoch gerade kleinere Firmen eine Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer gut gebrauchen könnten, ist unstrittig. Die Eigenkapitaldecke ist häufig sehr dünn und die Kreditlimits der Banken nicht gerade üppig. Steigen die Mitarbeiter mit Eigenkapital ein, werden sie die Geschicke „ihres“ Unternehmens mitlenken wollen. Bei kleinen Unternehmen wird diese Einflußnahme leichter fallen — sie wären deshalb für entsprechende Vereinbarungen prädestiniert. Die Investivlohn-Idee würde dann mit dem in Ostdeutschland von der Treuhandanstalt unterstützten „Mitarbeiter-Buy-outs (MBO)“ zusammenfallen — mit dem feinen Unterschied, daß sich die Mitarbeiter nicht auf einen Schlag in das Unternehmen einkaufen, sondern sich schrittweise über den Verzicht auf Barauszahlung eines Teils seiner Lohnerhöhungen an dem Unternehmen beteiligen. Doch dazu ist weder ein Investivlohn-Gesetz noch eine Vereinbarung der Tarifpartner nötig; das läßt sich auf Betriebsebene regeln. Für die Kreditgewährung an Unternehmen durch die Arbeitnehmer gilt dies gleichfalls.
Schläft die neu entfachte Diskussion über Investivlöhne wie bereits in den siebziger Jahren bald wieder ein? Dafür spricht einiges: Die IG Metall interessiert sich wenig für die Investivlohn-Idee, aber sehr für ihr Modell eines Treuhandfonds in Verbindung mit Treuhand-Industrieholdings. In der Baubranche hält die Gewerkschaft die Investivlohn-Idee gar für „überholt und falsch“. Statt dessen erhofft man sich von Gewinnbeteiligungen eine „leistungs- und erfolgsorientierte Vermögensbildung“. Und selbst die in Sachen Investivlöhne engagierte IG Chemie sieht angesichts nahezu stagnierender Reallöhne in den nächsten Jahren „keinen Spielraum für Investivlöhne — soweit sie nicht als Zusatzlöhne ausgehandelt werden“. Darin besteht der kleinste gemeinsame Nenner der Gewerkschaften: Investivlöhne sollen als Aufschlag auf vereinbarte Lohnerhöhungen — sozusagen als vermögenswirksame Leistungen — ausgehandelt werden.
Die Investivlohn-Idee, so scheint es, ist ein Schönwetterkonzept. Wenn alle gut verdienen, verschenken Unternehmen gerne ein paar Belegschaftsaktien als zusätzliches, aber stimmrechtloses Bonbon an ihre Mitarbeiter. Wenn die Geschäfte schlechter laufen, ist sich jeder selbst der nächste. Die Mitarbeiter wollen nicht auch noch einen Teil ihrer mageren realen Lohnsteigerungen im Unternehmen anlegen; die Arbeitgeber wollen sich in Krisenzeiten erst recht nicht in Managemententscheidungen reinreden lassen.
In manchen kleineren Unternehmen in Ostdeutschland könnten Investivlohn-Vereinbarungen allerdings in folgender Variante für beide Seiten attraktiv sein: Das Unternehmen erhält einen Teil der tariflich vereinbarten Lohnerhöhungen als Eigenkapital, die Mitarbeiter dürfen im Ausmaß ihrer Kapitalbeteiligung mitbestimmen. Doch generell sind Investivlöhne kein Wundermittel für den Aufschwung Ost. Sie eignen sich höchstens als Vitaminspritze für kleine Unternehmen.
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