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Vom Nachttisch geräumt: Vergessen / Pop-Art / Kommunikation / Punk / Barcelona / Frauen / Deutsch

VERGESSEN

„Ich will doch nur, daß ihr mich liebt“, hat Fassbinder gesagt. Aber die Liebe des Publikums ist nichts wert. Die schmachtenden Blicke, die Hingabebereitschaft der Fans scheinen ein Stück massenhafter Autoerotik zu sein. Das Objekt der Begierde dient nur als Auslöser. Wo waren all die Frauen, die ihre Spiegel gespickt hatten mit Fotos und Autogrammen von Robert Dorsay, wo die Männer, die Mathilde Sussin in den Berliner Theatern und in fast dreißig Filmen zugejubelt hatten, als jener 1943 wegen Wehrkraftzersetzung in Plötzensee hingerichtet wurde und diese im selben Jahr in Theresienstadt starb? Ulrich Liebe ist sieben Biographien von Schauspielern, die zu Nazi-Opfern wurden, ausführlich nachgegangen und listet 38 weitere Fälle auf. Es ist nicht die Menge, die einen so hilflos wütend werden läßt, sondern der Gedanke, daß auch die, die verehrt und geliebt wurden, für die Fassbinders Traum in Erfüllung gegangen war, jederzeit verschleppt und umgebracht werden konnten, ohne daß einer, ohne daß eine sich rührte von den Millionen Fans.

Ulrich Liebe: Verehrt — verfolgt — vergessen. Schauspieler als Nazi- Opfer. Beltz Quadriga, 278Seiten, zahlreiche Schwarzweiß-Fotos, 68DM.

POP-ART

Der Katalog der im April zu Ende gegangenen Ausstellung im Kölner Museum Ludwig. Simpelst gegliedert: amerikanische, englische, europäische Pop-art. Jeweils ein paar mehr oder weniger kluge einleitende Bemerkungen, Fotos und Statements resp. Texte der Künstler. Neben den hervorragenden Fotos interessieren natürlich vor allem die Äußerungen der Künstler. Robert Indiana brachte es 1963 auf den Begriff. Er erklärte nicht nur gegen den Künstlerkult der abstrakten Expressionisten, sondern auch in weiser Vorausschau gegen die späteren Exegeten der Pop- Kunst: „Pop ist nicht das Latein der Priesterschaft. Pop ist ordinär.“ Roy Lichtenstein artikuliert seinen Zorn: „Ich bin gegen die Nuance, gegen das ewige Wegkommenwollen von der Tyrannei des Rechtecks, anti Bewegung und Licht, gegen das Mysterium, anti Farbqualitäten, anti Zen und gegen all die brillanten Ideen früherer Kunstrichtungen, die jede immer so vollständig zu verstehen vorgibt.“ Ebenfalls 1963 gab Andy Warhol seine berühmte Erklärung ab: „Alle sehen gleich aus und tun das gleiche, und dahin entwickeln wir uns immer mehr. Ich meine, jeder sollte eine Maschine sein. Ich meine, jeder sollte jeden mögen. Es geht darum, Dinge zu mögen.“ Die englischen und schon gar die kontinentaleuropäischen Künstler gaben sich gesellschaftskritischer, waren stärker involviert und swingten weniger begeistert ein auf die Melodie, die eh schon angestimmt war. Aber wer hat den Verhältnissen die ihre am besten vorgespielt, wer brachte sie zum Tanzen? Mimesis-Theoretiker könnten hier ansetzen, Texte und Bilder miteinander vergleichen und die Ikonen der Pop-art noch einmal neu lesen.

Die Materialien dazu findet man fast alle in diesem Band. Auch daß nur eine Frau mit von der Partie ist, Niki de Saint Phalle, muß weniger gerügt als gelesen und interpretiert werden.

Pop Art. Herausgegeben von Marco Livingstone, übersetzt von Magda Moses, Bram Opstelten und Christiane Court. Prestel Verlag, 312Seiten, zahlreiche farbige und Schwarzweiß-Abbildungen, 98DM.

KOMMUNIKATION

Eine Zeitung, auch diese, lebt von den Nachrichten. Darüber, wie sie produziert und verbreitet werden, wird wenig geschrieben und noch weniger nachgedacht. Wie die Praktiker aller Sparten interessieren sich auch Nachrichtenredakteure kaum für Theorie oder Geschichte ihres Metiers. Denen, die nicht nur ihre Arbeit tun, sondern auch verstehen wollen, was sie tun, kann Dieter Basses gründliche Geschichte eines der ersten Nachrichtendienste Europas nützliche Dienste leisten. Wolff's Telegraphisches Bureau war 1849 möglich geworden durch die Freigabe des Telegraphen auch für private Zwecke. Mit dem Ende des staatlichen Monopols über die Telegraphie begannen private Unternehmen, die Nachrichtenübermittlung als Profitquelle auszuschöpfen. Basse geht ein auf die Schwierigkeiten, die der neue Unternehmenszweig hatte. Die Reaktion nach dem Scheitern der Revolution von 1848 verschärfte das Presserecht. Dabei spielte die oft untersuchte Zensur im Vergleich zur scharfen finanziellen Gängelung eine eher geringe Rolle. Mit den Folgen dieser Maßnahmen haben wir noch heute zu tun. „Sahen viele nichtdeutsche Zeitungen, besonders die angelsächsischen, das sogenannte ,news-gathering‘ als ihre Aufgabe an, so beherrschte der räsonierende, kommentierende Artikel die deutschen Zeitungen, ergänzt durch ein ebenso belehrendes Feuilleton. Versuchten die ersteren ihre Leser durch Vermittlung von Fakten in die Lage zu versetzen, eine eigene Beurteilung des Geschehens vorzunehmen, so sprachen die letzteren ein Publikum an, das einer wohlformulierten, ausgiebig begründeten und häufig unveränderlich festen Meinung folgen sollte.“ Wie „deutsch“ die taz doch ist!

Dieter Basse: Wolff's Telegraphisches Bureau 1849-1933. K.G. Saur, 346Seiten, 88DM.

PUNK

Vier Seiten Text, dazu 52 Anmerkungen auf 5,5 Seiten. Ohne Zweifel ein wissenschaftliches Buch. Aber kein Kapitel aus einem Handbuch der Byzantinistik, sondern das über die Sex Pistols in Thomas Laus Die heiligen Narren — Punk 1976-1986. Ein krasses Mißverhältnis, das durch Laus Bemühen, einen locker-flockigen Text zu schreiben, eher noch verschärft wird. Der Autor verheddert sich bei der Anstrengung, es beiden recht zu machen: den Freunden des Punk und den fußnotengeilen Tieren der Alma Mater.

Lernt man diesen Grundfehler zu übersehen, finden sich in Laus Buch jede Menge interessanter Beobachtungen aus der Punk-Zeit. Lau macht vor allem die körperliche Dimension der Punk-Rebellion deutlich, die Genauigkeit, mit der sie direkt ins vegetative Nervensystem einer Generation traf. Sehr klar wird einem bei der Lektüre von Lau auch wieder, daß jeder radikale Fotschritt — entgegen den Behauptungen der Pädagogen — nur durch Niveauunterschreitung erreicht wird. Wer die Vorfahren überbieten möchte, der spielt noch ihr Spiel, bewegt sich noch auf ihren Wegen, innerhalb ihrer Schranken. Wer wirklich anderes möchte, der wird sich nicht aufs dialektische Spiel der immanenten Kritik einlassen: „Der anfänglich propagierte und vollzogene Dilettantismus mit den sich daraus ergebenden reduzierten technischen Unzulänglichkeiten — oder eben umgekehrt — erlaubt ebenso wenig Instrumentalsoli wie die Einbindung jedes einzelnen Mitglieds in eine Gruppe eine derartige Herausstellung weder verlangt noch duldet. Punk kennt keinen Instrumentalisten oder Vocalisten, dem über längeren Zeitraum eine außerordentlich virtuose Beherrschung seines Instruments bescheinigt wird. Unterstützt wird genannte Virtuositätsvermeidung auch dadurch, daß eine Punk-Band fast ausschließlich mit Bass, Gitarre und Schlagzeug instrumentiert ist.“

Die taz ist, so betrachtet, mehr ein Relikt der Punk-Epoche als eine Nachgeburt von '68. Mit allen Vor- und Nachteilen. Vielleicht muß sie sich erst darüber klar werden, daß sie, kaum war sie geboren, mehr mit den Toten Hosen als mit dem Otto- Suhr-Institut zu tun hatte. Möglicherweise krankt sie nicht unwesentlich an den Anstrengungen einer Verbindung von beidem. Die Institutionalisierung einer Punk-Bürokratie muß scheitern. Die, das zeigt Lau auch, Rebellion hört auf eine zu sein, wenn sie sich organisiert. Sie läßt sich nicht konservieren und bei Bedarf aufwärmen.

Lau weist auch auf Ähnlichkeiten der Punk-Bewegung mit früheren Strömungen einer arte povera hin. Von den Franziskanern über die Narrenkultur bis zu Dada. Die Ästhetisierung des Häßlichen, die Leugnung des herrschenden Kanons, die entschlossene, radikale Unterschreitung des vorgegebenen Niveaus. Zu diesen prinzipiellen Parallelen kommen die augenfälligen, unübersehbaren von Frisur und Kleidung. Auch einige Heilige haben ihre Karriere als Punks begonnen.

Thomas Lau: Die heiligen Narren — Punk 1976-1986. Walter de Gruyter, 192Seiten, mit farbigen Abbildungen, 36DM.

BARCELONA

Ursprünglich hatte er ein kleines Buch über den katalanischen Jugendstil schreiben wollen, einen Architekturführer für die Besucher Barcelonas. Nun ist es ein fast 640seitiges Buch geworden über die Hauptstadt Kataloniens. Vielleicht das beste über die Kulturgeschichte der Stadt. Robert Hughes beginnt nach einer sehr persönlich gehaltenen Einleitung altmodisch beim römischen Barcelona und endet, nachdem er Jahrhundert um Jahrhundert abgeschritten hat, bei Antoni Gaudi, dem Architekten der klassischen Moderne Barcelonas. Der Kunsthistoriker informiert auch über katalanische Literatur, über die „abgöttische Liebe“ der Katalanen zu ihrer Sprache, über Politiker und Theater, Musik und Bildende Kunst in Barcelona.

Robert Hughes: Barcelona — Stadt der Wunder. Kindler, 639Seiten mit cirka 200 Schwarzweiß-Abbildungen, 58DM.

FRAUEN

Auf eine der wichtigsten Sammlungen klassischer Texte der internationalen Frauenliteratur sei wenigstens kurz hingewiesen: Englands Pickering Women's Classics, herausgegeben von Janet Todd. Eine Bibliothek, in der Sophie La Roches Die Geschichte des Fräulein von Sternheim in englischer Übersetzung ebenso schön ediert vorliegt wie Mary Wollstonecrafts Mary and Maria und Mary Shelleys Matilda. Florence Nightingales Cassandra und andere Texte aus Suggestions for thought wurden genauso ausführlich und sachkundig kommentiert und eingeleitet wie The New Atalantis von Delarivier Manley, eine kräftige Satire auf das Hofleben aus dem Jahre 1709. Auch eine der frühesten Science-fiction-Geschichten, The Description of The New Blazing World, verfaßt 1666 von Margaret Cavendish, der Duchess von Newcastle, wurde bei Pickering schon herausgebracht. Die Reihe macht nach und nach mit den wichtigsten Texten natürlich vor allem der englischen Tradition vertraut. Wer nur stöbern will, kommt ebenso auf seine Kosten wie der, der nach Erläuterungen einzelner Wörter und Sachverhalte oder aber des historischen Kontextes sucht.

Janet Todd: Pickering Women's Classic. Verlag: Pickering & Chatto, London, jeder Band zwischen 200 und 300Seiten, 24,95 Pfund.

DEUTSCH

Cora Stephan hat unter dem Titel Wir Kollaborateure acht Aufsätze zum Thema „Der Westen und die deutschen Vergangenheiten“ gesammelt. Am brillantesten Henryk M. Broders Der betörende Charme der Diktatur, der an die Geschichte des Verhältnisses der BRD-Linken zur DDR erinnert. Sie war vor allem ein Reflex auf den staatlich verordneten, bürokratisch durchexerzierten und an allerhand untauglichen Objekten exekutierten Antikommunismus. Wenn ein Jugendlicher — wie Broder — sich Anfang der sechziger Jahre Broschüren aus der DDR zuschicken ließ, dann bekam er es mit der politischen Polizei zu tun, die ihn schnell zu einem engagierten Verteidiger der DDR machte. Nicht alle hatten das Glück, durch eigene Anschauung so schnell kuriert zu werden wie der junge Broder. Besonders gefallen haben mir Broders Erinnerungen an die merkwürdige Art, wie die Neue Linke mit offiziellen Vertretern der DDR diskutierte. Bei aller Kritik war doch ein gänzlich unangebrachter Respekt, eine völlig falsche Zurückhaltung bei der Kritik im Spiel.

Claus Leggewie und Horst Meier entwickeln einen ausgeprägt wachen Sinn für die vertrackten Paradoxa, in die die Verfolgung der Staatskriminalität der DDR führt. Eine Lektüre, bei der man das Gefühl hat, von Satz zu Satz dümmer zu werden, immer weniger zu wissen, was zu tun ist. Die wenigen, die ihre Gewißheiten lieber zerstören als bestätigen möchten, werden den Beitrag mit Genuß lesen. Die anderen, die ihn unbedingt lesen sollten, werden sich sehr schwer damit tun. Helfen könnte die Lust an der Zuspitzung, die den Text auch da, wo man nicht mit ihm übereinstimmt, immer wieder zu einem Vergnügen macht: „Wegen der Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit ist die DDR von ihren Bürgerrechtsgruppen attackiert und demontiert worden, und ihre Einführung kommt jetzt zu allererst den erklärten Gegnern des Rechtsstaates zu.“

Cora Stephan (Hg.): Wir Kollaborateure. Rowohlt Aktuell, 157Seiten, 9,90DM.

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