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„Das lassen wir uns nicht bieten“

■ Bremer Behinderte machen gegen Sparvorschläge der Sozialsenatorin mobil

Die Bremer Behindertenverbände sind auf Krawall gebürstet. Nachdem die Gesundheits-und Sozialsenatorin Irmgard Gaertner in einem taz-Interview die Sparvorstellungen ihrer Ressorts bekanntgegeben hat, richtet sich die Landesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte auf Kampf ein. Bei einer gestrigen Pressekonferenz protestierte die LAG gegen die Kürzungspläne beim Behindertenfahrdiest und beim Landespflegegeld.

„Wir sind bereit, über Kürzungen beim Fahrdienst zu reden“, meinte Norbert Breeger vom DPWV. „Aber das macht erst dann Sinn, wenn der ÖPNV behindertengerecht ausgebaut ist.“ Der Fahrdienst wird bislang intensiv genutzt, meist von Rollstuhlfahrern ohne eigenen PKW. Sie erhalten im Vierteljahr 26 Einzelfahrkarten für Taxis oder die Sonderfahrzeuge der Wohlfahrtsverbände. Die Kosten von 5,8 Millionen Mark sollen nun um ein bis eineinhalb Millionen gekürzt werden.

Bislang sind erst ein drittel der Busse und etwa 20 Straßenbahnen für Rollstuhlfahrer zu benutzen. Die Bremer Straßenbahn AG plant, die wenigen Niederflurstraßenbahnen nur auf der Linie 2

Schon vor Jahren wurde für behindertengerechten ÖPNV diskutiert, wenig geschah.Katja Heddinga

einzusetzen. Horst Frehe von Selbstbestimmt Leben: „Uns würde es viel mehr bringen, wenn die Bahnen auf der Linie 2 und der 6 und damit auf zwei Achsen fahren würden.“ Am Hauptbahnhof und am Bahnhof Vegesack gibt es schlecht funktionierende Hublifts, die Rollstuhlfahrern das Einsteigen ermöglichen sollen. Aber an denen, die die beiden einzigen behindertengerechten Hal

testellen nicht vor der Haustür haben, fährt die Bahn vorbei. Horst Frehe: „Wir brauchen ganz dringend einen Modellversuch, bei dem Hebebühnen in den Bahnwaggons ausprobiert werden.“

Das Argument, der Bremer Fahrdienst sei im Vergleich zu anderen Städten zu teuer, wollen die LAG-Vertreter nicht gelten lassen. In anderen Städten dürften die Behinderten nicht die Taxis benutzen und die Zahl der Sonderfahrzeuge werde bewußt niedrig gehalten. Die Umstellung auf einen pauschalen Fahrtkostenzuschuß sei auch keine Lösung, weil sie Behinderte, die nur kurze Wege hätten, vor anderen begünstige. „Die Bremen-Norder wären gekniffen“, meinte Wolfgang Schnackenberg aus Vegesack, selbst auf den Service angewiesen.

Heftige Kritik übten die LAG- VertreterInnen an den geplanten Kürzungen beim Landespflegegeld für die rund 2.500 schwerst Behinderten in Bremen. Damit seien vor allem zwei Gruppen betroffen: die Bezieher höherer Einkommen, denn die einkommensunabhängige Zahlung fiele weg, und die Heimbewohner. Schwerst Behinderte in Pflegeheimen erhalten nicht die pau

schalen 750 Mark, sondern nur 325 Mark als Zusatz zum Taschengeld. Frehe: „Bei den Schwächsten zu sparen, das ist besonders pervers.“

Die Arbeitsgemeinschaft schlägt vor, statt der geplanten Kürzungen auf Kosten der Behinderten das Verwaltungswirrwarr im Zuschußwesen zu beseitigen. Wer jetzt pflegebedürftig wird, der meldet sich zuerst bei der Krankenkasse, dann beim Sozialamt und muß zwei ärztliche Gutachten über sich ergehen lassen. Am Ende wird er möglicherweise von der Krankenkasse, der Landes-und der Bundeskasse bezuschußt, die allerdings alle ihre Leistungen gegeneinander verrechnen. Dem setzen die Verbände „Aus drei mach eins“ entgegen. Norbert Breeger: „Statt bei den Betroffenen zu kürzen, sollte eher der Verwaltingsaufwand minimiert werden.“

Die Landesarbeitsgemeinschaft ist wild entschlossen, gegen die Kürzungen zu kämpfen. Horst Frehe: „Die Senatorin hat ja schon den Vorschlag gemacht, wir könnten uns an den Roland binden. Das werden wir wohlwollend prüfen. Was da geplant ist, das werden wir uns nicht bieten lassen.“ Jochen Grabler

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