: DIE KLEINE MEDIENPRAXIS — FRAGEN SIE FRAU DR. MONIKA
Haben Sie es schon bemerkt? Das Fernsehen ist auf dem besten Wege, sich überflüssig zu machen. Nein, ich meine nicht die Vervielfältigung des immer Gleichen auf 26 TV-Kanälen. Nicht die unzähligen Grilldamen, Falkenau-Förster, Wörthersee-Touristen oder Hawaii-Ärzte, die im televisionären Programmdschungel ihren hoffnungslosen Kampf um sinkende Einschaltquoten führen. Nicht die Spaßversteher, die Wettkönige, Einsprucherheber und Turmtalker, die die Hand des Dauerzappers ermattet niedersinken lassen. Nein, der jüngste Meilenstein auf dem Weg in die fernsehfreie Zukunft heißt „Reality-TV“. Oder auf gut deutsch: „Wirklichkeitsfernsehen“.
Das Fernsehen mit der Echtheitsgarantie wurde erfunden, weil mittlerweile auch diejenigen, die keine französischen Modephilosophen lesen, wissen, daß unser Fernsehen mit der Wirklichkeit ungefähr soviel zu tun hat wie eine Steuererklärung mit Sex. Wo selbst die Nachrichtensendungen, bislang fürs Reale zuständig, nur höchst subjektive Einblicke ins Weltgeschehen geben, klafft eine reale Lücke. Andererseits wissen die Programm-Macher seit Ede Zimmermanns XY Ungelöst, daß TV- Glotzer am liebsten den eigenen Nachbarn als Serienmörder enttarnen. Der Wirklichkeitsverlust und die private Sensationsgier bilden den Humus fürs Real-TV.
Die Idee kommt natürlich aus dem Fernsehwunderland USA. Was aber, wenn die deutsche Realität so langweilig, so hölzern und so undramatisch daherkommt, daß sie nur noch zum Abschalten reizt? Jetzt starten die Privaten jedenfalls als erste den Versuchsballon in Sachen Wirklichkeits-TV. Bei RTL jagen seit geraumer Zeit echte Polizisten Auf Leben und Tod falsche Verbrecher. Donnerstags kann man dann beim Notruf Zeuge der wundersamen Rettung der Vera F. aus Wolfenbüttel werden, die in letzter Minute von der Feuerwehr aus ihrem Heißlufttrockner befreit wurde — oder so ähnlich. Jedenfalls ist alles garantiert echt, ganz unscharf und irgendwie überflüssig. Beim Betrachten dieser wirklichen Menschenschicksale wird der Zuschauer systematisch seiner letzten Televisionen beraubt. Fernsehen ist nicht mehr schöner, grausamer oder spannender als die Wirklichkeit, sondern so banal wie das echte Leben eben. Warum dann überhaupt noch hinsehen?
Ja, ja, ich weiß, noch haben die Reality-Shows grandiose Einschaltquoten. Aber RTL plant schon die nächste Offensive zum Bildschirm- Blackout. Im September startet eine Show mit dem Titel Spurlos: reale Geschichten von Leuten, die irgendwann verschwunden sind. Der Hauptdarsteller ist also real abwesend. Ich stelle mir die Sendung ungefähr so vor: Eine endlos lange Einstellung zeigt einen Zigarettenautomaten. Dazu aus dem Off der lakonische Kommentar: „Wortlos zog er sein Regencape über und sagte: ,Ich geh nur mal schnell Kippen holen‘“— die pure Subversion. Die Sinnlosigkeit des gezeigten Realbildes läßt das Medium selbst sinnlos werden. Beruhigt können wir uns anderen Dingen zuwenden. Und ganz allmählich erhält das Fensehgerät so seine realste, ursprünglichste Bedeutung zurück: ein schlichtes Wohnzimmermöbel, so selbstverständlich vorhanden wie Tisch und Stuhl, deren Existenz wir längst nicht mehr wahrnehmen. Oder?
Herzlichst Ihre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen