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Wenn ein Township zum Schlachtfeld wird

Im südafrikanischen Alexandra regt die alltägliche Gewalt niemanden mehr auf/ Angst, verhärtete Fronten und Resignation/ Immer mehr Bürgerkriegsvertriebene leben als Flüchtlinge in der eigenen Stadt/ „Mein Traum ist zerstört“  ■ Aus Alexandra Hans Brandt

Er liegt mitten auf der Straße, auf dem Rücken, die Arme weit von sich geworfen. Ein junger Mann, einfaches blaues Hemd, graue Hose, am Halsansatz ein klaffendes Loch, die Austrittwunde einer Kugel. Das Gesicht ist geschwollen von den Steinen, den Betonbrocken, die blutbeschmiert neben der Leiche liegen. Die Todesangst der letzten Sekunden hat seine Züge verzerrt. Ein kalter Winterwind wirbelt Staub in die offenen Augen, aber sie zucken nicht.

Dutzende von Menschen stehen am Straßenrand. Zwei Kinder schieben ein drittes auf einem klapprigen Einkaufswagen an der Leiche vorbei. „Was passiert ist? Keine Ahnung, ich war im Haus“, sagt eine alte Frau. „Ich wohne zwei Straßen weiter“, meint schulterzuckend ein Jugendlicher. „Ich war in der Kneipe hier“, raunzt ein älterer Mann. „Fragen Sie doch die Polizei.“

Ein Panzerwagen ist vorgefahren. Die Polizisten lassen keine Autos vorbei, warten auf Detektive. Die kommen in einem zweiten Panzerwagen, harte junge Männer, Schwarze und Weiße, automatische Gewehre über die Schultern gehängt, Pistolen an den Hüften. Mit Kreide markieren sie die Straße. „Was wollen Sie?“ herrschen sie mich an. „Gehen Sie weg, wir müssen beraten.“ Und sie stecken die Köpfe zusammen mit einem schwarzen Mann in blauer Arbeitskleidung.

„Das ist einer der Schlimmsten“, ruft mir über den Zaun ein Mann am Straßenrand zu und zeigt auf den Gesprächspartner der Polizisten. „Phoswa von Inkatha. Der zettelt die Gewalt an.“ Ich gehe zum Zaun und Roy Siko erklärt, was passiert ist: „Es war vor etwa vierzig Minuten. Drei Zulus sind von dem Wohnheim dort drüben gekommen, hier die Straße entlanggelaufen. Die Jugendlichen haben sie angegriffen. Einer konnte fliehen, der zweite wurde schwer verletzt und den dritten haben sie umgelegt.“

„Dort drüben“, an der nächsten Straßenecke, beginnt das Niemandsland, im Volksmund „Beirut“ genannt. „Beirut“ ist etwa einen Quadratkilometer groß: ausgebrannte Häuser, verlassene Geschäfte, zerstörte Slumhütten, deren Bewohner vertrieben wurden. Hier und da haben Anhänger der Wanderarbeiter im Wohnheim die Häuser übernommen. Das Heim steht in der Mitte wie eine Festung, vierstöckig um einen zentralen Hof gebaut. Drinnen wohnen etwa 2.000 Männer, alle Zulus, Mitglieder der Zulupartei Inkatha. Die Leute von Alexandra machen große Umwege um das Heim. Schon mehrfach haben Heckenschützen aus den oberen Stockwerken Passanten erschossen.

„Kennen Sie den Toten? War er Inkatha-Mitglied?“ frage ich Robinson Phoswa, den Mann in der blauen Arbeitskleidung, Leiter der Inkatha- Jugendbrigade in Alexandra. „Wie soll ich den erkennen?“ fragt er zurück und zeigt auf das zerstörte Gesicht. „Aber hier ist ANC-Gebiet, drüben Inkatha-Gebiet. Wenn dieser Mann von drüben kam, war er wohl ein Zulu. Ich bin jetzt sehr wütend.“ Die Polizisten haben eine Plane über die Leiche gelegt. Aber der Wind weht das Tuch immer wieder weg. Bis es mit den Steinen beschwert wird, mit denen dem Mann das Gesicht zertrümmert wurde.

Roy Siko wohnt in einem kleinen Haus direkt neben der Leiche bei seinem Sohn. Sein eigenes Haus und seine kleine Autowerkstatt sind in „Beirut“. „Mein Traum ist zerstört“, sagt er verbittert. „Ich war mein eigener Boß. Jetzt bin ich vom Einkommen meiner Frau abhängig.“ Seit Monaten zieht er zwischen Eltern, Söhnen und Freunden hin und her. Wie er leben Hunderte von Familien als Flüchtlinge in Alexandra. Sie haben das Gebäude der Stadtverwaltung vollkommen besetzt.

Aber auch die Heimbewohner haben Zweifel. Große Teile des Heimes sind verlassen. Metallschränke liegen in großen Haufen im Innenhof, an verschiedenen Stellen haben Bomben Fenster zersprengt. Ziegen suchen in den Müllbergen nach Eßbarem. In kleinen Gruppen sitzen Männer auf dem Boden, trinken Bier, spielen Karten. „Wir haben Angst“, sagt einer. „Wir sind arbeitslos, aber wir können keine Arbeit suchen, weil wir uns nicht in den Ort trauen.“

Die Lebensweise der Städter ist diesen Leuten vom Land fremd. Sie sprechen nur Zulu, können den Township-Slang aus einem halben Dutzend verschiedener Sprachen nicht verstehen. Sie haben als einzigen Halt nur einander und die gemeinsamen Zulu-Traditionen. „Wer kontrolliert das Heim?“ frage ich. „Inkatha“, kommt die Antwort. Aber Friedensgespräche halten die Männer für aussichtslos. „Der ANC will nicht verhandeln, die wollen uns nur umbringen.“

Genau dasselbe sagt Roy Siko über die Zulus: „Die reden von Frieden, aber dann fangen sie sofort wieder an zu morden. Das Heim ist das Problem, vom Heim geht die Gewalt aus. Das Heim muß geschlossen werden.“ Für ihn sind die Zulus im Heim Ausländer, Eindringlinge, Tiere. „Was sind das für Menschen, die zu zehnt eine Frau zu Tode vergewaltigen?“ fragt er mit Tränen in den Augen. „Die Leute erstechen und dann das Blut vom Speer ablecken?“

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