: Von und für die Straße
■ Zwischen ersten Unruhen und dem Fall der Mauer: »Keine Gewalt« — Ein Film des ehemaligen Kneipenwirts Mario Worm
Kaum zwei Jahre sind vergangen, seit die Mauer gefallen ist. Heute kämpfen wir mit dem Alltag: Werde ich die Miete zahlen können; werde ich meinen Job behalten, welche Kürzungen noch? Dem »Wessi« scheint die Luft dünner zu werden, die »Ossis« bekommen erst gar nicht genug. Wir sind vereint, wenigstens in unseren Ängsten. Aber wie war das eigentlich 1989; Wieviel Hoffnungen, Wünsche, Träume, Utopien gab es?
Als Mario Worm, ein Ostberliner Kneipenwirt, schon 1989 mit der Idee, das alles in einem Film festzuhalten, hausieren ging, riet man ihm ab. In zwei Jahren werde es tausend Filme über diese historische Umbruchszeit geben, und viel professionellere dazu. Aber der Laienfilmer Worm scharte seine Freunde, Kollegen und Stammgäste um sich, drehte mit einfachsten Mitteln trotzdem seinen Film und behielt recht. Bis heute gibt es keine vergleichbare Auseinandersetzung, zumindest nicht in Spielfilmform. Aufgehängt an drei Einzelschicksalen, spielt der Film die Entwicklungen und Wirrungen zwischen den ersten massiven Unruhen und dem Fall der Mauer durch: Maik, der FDJ-Sekretär einer Berliner Brigade, versucht sich im Alltag der DDR einzurichten, möglichst ohne große Auseinandersetzungen. Bodo, sein Kollege, erkennt mehr und mehr die Chancen zur Veränderung, engagiert sich in unliebsamen Bürgerbewegungen, träumt von einer anderen DDR. Sabine, Maiks Freundin, nutzt die vermeintliche Chance einer Rumänienreise, um alles hinter sich zu lassen und flieht über die ungarische Grenze. Sie alle versuchen ihren eigenen Weg zu gehen, aber am Schluß reißt der Strudel der Maueröffnung ihnen den Boden unter den Füßen weg.
Es gibt keine DDR mehr, in der man sich einrichten, oder für die man sich engagieren kann. Der schmerzhafte Entschluß zur Flucht, der Vertrauensbruch mit denen, die blieben, hat plötzlich keinen Sinn mehr.
Sicher, »Keine Gewalt« ist ein Laienfilm, auf S-VHS gedreht, mit schlechtem Ton, technisch und dramturgisch oft unzulänglich. Der Regisseur bezeichnet ihn als Film von der Straße für die Straße, und es ist ein Kompliment für ihn, wenn man die Darsteller »unbeholfen« nennt. Aber diesmal ist es keine Koketterie, keine »Flucht nach vorn«. Alle Mitwirkenden leben noch ihr Leben, sprechen ihren Jargon, und obwohl es nicht ihre persönliche Geschichte ist, die erzählt wird, spürt man, daß sie alle Gefühle so oder ähnlich erlebt haben. Die Tränen in der bewegend einfach gefilmten Fluchtszene sind so echt wie die Dokumentaraufnahmen, die dazwischengeschnitten werden.
»Keine Gewalt« war ein Slogan der großen Novemberdemonstrationen. Im puren, physischen Sinn war es auch eine weitgehend »gewaltlose« Revolution. Die andere Gewalt, die Gewalt der Geschichte, des Alltags, unserer Gefühle und Vorurteile, entlud sich dagegen, und sie entlädt sich immer noch. Als beredtes Zeitzeugnis erinnert der Film daran, auch diese Gewalt nicht zu vergessen. aRaa
Babylon Mitte, Sonntag, 12.7., 11Uhr, Donnerstag, 17Uhr, Sonntag, 14Uhr.
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