: Wenn die Ratte zweimal klingelt
■ Schädlinge in der Wohnung: »Wen's erwischt, den erwischt's«/ Vorsicht im Umgang mit der chemischen Keule/ Im Notfall hilft oft nur der Fachmann, aber auch viele Schädlingsbekämpfer haben keine Ausbildung/ Mancher ist schon gegen die Taube auf dem Dach allergisch
Berlin. Als Lia spätabends in ihrem Badezimmer das Licht anknipste, huschte ein schmaler Schatten an ihren Füßen vorbei. Die Studentin dachte nicht weiter darüber nach. Sie war hundemüde und legte sich ins Bett. Ruhig schlafen konnte sie allerdings nicht. Von Zeit zu Zeit starrte sie in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers. Manchmal glaubte sie, ein Rascheln zu hören. War da etwas? Als sie am nächsten Morgen aufwachte, hockte am Bettende ein graubraunes, fettes Vieh mit einem unbehaarten Schwanz, der länger als es selbst war. »Erst habe ich gedacht, ich halluziniere«, erinnert sie sich an die unheimliche Begegnung. »Ratten nisten sich in anderer Leute Wohnung ein, aber doch nicht in der eigenen«, glaubte sie bislang.
Was Lia erlebte, ist kein Einzelfall. Mit allerlei Getier müssen sich die BerlinerInnen in ihrer Wohnung herumschlagen. Von der Schabe über die Ratte bis zur Taube auf dem Dach reicht die Palette. Für Schädlinge gilt, daß sie nicht nur Vorräte tilgen, sondern vor allem Krankheiten übertragen können. Doch wer in der Wohnung eine einzelne Motte entdeckt, vermutet nicht, daß die Insekten unter Matratzen oder hinter Tapeten nur so wimmeln könnten. Ignoriert man die Plage, bis es an allen Ecken und Enden krabbelt, ist es meist zu spät, der Lage allein Frau oder Herr zu werden. Der Schädlingsbekämpfer muß her.
Hals über Kopf verließ Lia ihre Wohnung und richtete sich bei einem Freund häuslich ein. Ein paar Tage später zog sie mit einem Rattenfänger ins Gefecht. Von ihm wurde sie in die Geheimnisse ihrer Nager eingewiesen. Wo der Abfluß der Toilette in der Wand verschwand, war ein Loch, das den bequemen Einstieg aus der Kanalisation erlaubte. Der Schädlingsbekämpfer legte an den Einstiegsstellen Giftköder aus. Das habe nicht gewirkt, berichtet Lia, denn auf ihren Kontrollgängen durch die Wohnung fand sie keine toten Ratten. Die Mieterin bestreute Plastiktüten mit Mehl, um die Spuren der unwillkommenen Besucher zu sichern. Immer noch kamen sie. Schließlich bezahlte die Wohnungsgesellschaft zwar den Rattenfänger, nicht aber die Sanierungsarbeiten. Ein Freund mußte die ganze Holzvertäfelung herunterreißen, um die Löcher dahinter zu stopfen.
In der Regel sind Menschen nicht selbst dafür verantwortlich, daß sie von Schädlingen heimgesucht werden. »Sie werden eingeschleppt, wenn man sein Gemüse nach Hause trägt, oder sie finden Schlupflöcher bei Modernisierungsarbeiten«, erklärt Dr.Stephan Scheurer vom Landesmedizinaluntersuchungs-
amt (LMUA) Berlin. Von ganz wenigen Fällen abgesehen handele es sich bei Schuldgefühlen um falsche Scham. »Wen's erwischt, den erwischt's«, sagt auch der Schädlingsbekämpfer Klaus Gajek. Er versuche, die Leute zu beruhigen, wenn sie erklärten, sie seien geradezu penibel sauber. Gegenwärtig bekämpft er Schaben, die bei Renovierungsarbeiten an ganzen Häuserzeilen in Berlin zu Tage kommen. Die Tierchen, wie fast alle Schädlinge nachtaktiv, bemerke man erst spät. Die erste Generation bekomme man selten zu sehen, »aber die Schaben vermehren sich in sechs Wochen.« Wer nachsehen will: an Wasserleitungen und unter Kühlschränken findet man sie zuerst.
So mancheR kann die Taube auf dem Dach nicht auf die leichte Schulter nehmen. Svenja hat mit verschiedenen Allergien zu kämpfen, unter anderem gegen Taubenkot. Ständig hat sie den Dreck auf Balkon und Fensterbrett. »Ich würde im Sommer gern das Fenster öffnen, aber Wind weht mir den Kot ins Zimmer. Ich habe ihn schon im Bett gefunden«, sagt sie. Ein Protest beim Vermieter habe nichts gebracht: Taubengitter anzubringen, das sei ihm zu teuer.
Mit dem Vertreiben der Luftratten ist es oftmals nicht getan. »Die Taubenzecken machen uns Sorgen«, sagt Stephan Scheurer vom LMUA. Die Blutsauger bleiben, auch wenn die Tauben vom Dach verschwunden sind. Mehrere Jahre können sie hungern. Kommen die Tauben nicht zurück, finden sie den Weg zum Menschen. Der unmittelbare Stich ist zwar nicht schmerzhaft, aber allergische Reaktionen können auftreten.
Die chemische Keule sollte beim Kampf mit den Schädlingen nicht ohne den Rat eines Fachmannes angewandt werden. Die Mittel werden meist nur auf ihre Wirksamkeit geprüft, nicht aber auf ihre toxikologischen Gefahren. Und der schlichte Hinweis einiger Schädlingsbekämpfer, es müßten nur die Lüftungszeiten eingehalten werden, ist mit Vorsicht zu genießen. In der Kreuzberger Lenau-Grundschule und der Reinickendorfer Erpel-Grundschule führte der Einsatz von chemischen Mitteln durch einen Schädlingsbekämpfer zu Schleimhautreizungen, Kopfschmerzen und Übelkeit bei Lehrern und Schülern. »Bei den Schädlingsbekämpfern gibt es solche und solche«, erklärt Dr.Scheurer, »einige spritzen einfach los!« Die verantwortungsvollen würden schon mal bei ihm anrufen oder eine Probe bringen, um zu erfahren, was sie da überhaupt bekämpfen. Für ein Übel hält er, daß die Schädlingsbekämpfer nur eine Gewerbegenehmigung zur Ausübung ihres Berufes brauchen. »Rund ein Drittel der Schädlingsbekämpfer besitzen in Berlin keinen geprüften Sachkundenachweis«, sagt auch Jürgen Ksinsik vom Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verband (DSV) in Berlin. Seit Jahren weise der DSV auf die Notwendigkeit einer Lehrausbildung hin. Ralf Knüfer
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